Porträt

laut.de-Biographie

Cecile

Das haben wir gern: Als Neuling in einer Szene erst einmal das Maul aufreißen. Mit ihrer Debüt-Single "Changez" pisst Cecile im Jahr 2001 einer ganzen Reihe etablierter männlicher Kollegen ans Bein. Das hätte in einem vor Testosteron nur so triefenden Geschäft durchaus ins Auge gehen können. Überraschenderweise zeigen die veräppelten Herren sämtlich Humor, und Cecile schwingt sich rasch zu einer der wenigen Ladys auf, die im Dancehall zu den fixen Größen zählen.

Cecile - Bad Gyal Aktuelles Album
Cecile Bad Gyal
Zwischen mädchenhaftem Gesang und dunkler Verruchtheit.

Dabei gestaltet sich ihr Werdegang für jamaikanische Verhältnisse ganz und gar nicht klassisch. Cecile Charlton unternimmt den Einstieg ins Entertainment-Business nicht, um sich einen Fluchtweg aus der Armut zu eröffnen. Geboren in Manchester auf Jamaika, wächst sie zwar zunächst in bescheidenen Verhältnissen bei der Mutter auf. Mit 13 Jahren jedoch zieht sie zu ihrem Vater.

Dessen Familie gehört zu den ältesten, respektiertesten und wohlhabendsten Clans in Mandeville. Der Großvater ist als ehemaliger Bürgermeister ein angesehener Mann. Cecile fehlt es plötzlich an nichts mehr. Ohnehin gilt sie als leicht zu beschäftigendes Kind, liest viel und hegt den Wunsch, einmal Englischlehrerin zu werden. Oder Schriftstellerin: Von klein an verfasst sie Gedichte und Kurzgeschichten.

Irgendwann gesellt sich die Liebe zur Musik dazu. Ceciles Verse verlangten plötzlich nach Melodien. Zunächst skeptisch, unterstützt der Vater dann doch die neuen Bestrebungen seiner Tochter und macht sie mit seinem Freund Ibo Cooper, Mitglied der Reggae-Band Third World bekannt. Cecile geht noch zur Highschool, als Cooper mit ihr erste Aufnahmen macht.

"Beat Of Her Heart" erscheint als Single. "Aber ich merkte, dass er mit mir so ein Reggae-Ding machen wollte. Das hätte aber nicht funktioniert", so Cecile im Interview mit dem Germaican Observer. "Es hätte mich in ein Schema gepresst, für das ich nicht bereit war. Ich hätte mich auf eine bestimmte Art kleiden müssen, ich wäre nicht ich selbst gewesen. Das wollte ich nicht."

Ohnehin hält Cecile das Resultat der Zusammenarbeit für zu zahm: Längst erlag sie, infiziert von den harten Rhythmen, dem Dancehall-Fieber. Die entstandenen Demo-Bänder schleppt sie ständig mit sich herum. Einem Freund gefällts. Er macht Cecile mit Steven Ventura, dem Inhaber von Celestial Sound Recordings, bekannt.

Sie wittert ihre Chance. "Ich bin unter logischen Gesichtspunkten an die Sache heran gegangen", verrät Cecile im Interview. "Wenn du Rechtsanwalt werden willst, weißt du, dass du nach der Highschool Jura studieren musst. Ich dachte mir, du willst singen, kennst aber niemanden und willst auch nicht vor den Studios rumhängen. (Germaican Observer) Was also tun?

Cecile bewirbt sich bei Celestial Sound als Sekretärin. 1995 verlässt sie Mandeville, um in Kingston die Stelle anzutreten. Dort lernt sie das Musikgeschäft von Grund auf kennen, arbeitet sich zum Studiomanager hoch und knüpft derweil wertvolle Kontakte zu Künstlern und Produzenten. "Dann begann ich, Backing-Vocals für Leute zu singen, bis jemand sagte: 'Oh, die klingt gut!' Das ist, denke ich, ein cleverer Weg, um ins Biz zu kommen."

Für Cecile geht die Rechnung auf. Sie produziert mit Ventura neues Demo-Material. Mit 24 steuert sie Backgroundgesang zu Aufnahmen von Spanner Banner und Norris Man bei. Mit ihrer Kollegin Brady covert sie 1998 "Freaky Tonight" von SWV. Daneben schreibt und produziert sie und tritt gelegentlich auf. Tagtäglich Künstler bei der Arbeit zu beobachten empfindet Cecile als höchst inspirierend. Das große Vorbild: Elephant Man.

Genervt von den verschiedenen Namen von Peppa bis Red Lobster, die man ihr anhängte, hat sich Cecile mittlerweile für einen Bühnennamen entschieden: "Ich wählte einfach die französische Schreibweise meines richtigen Namens", erklärt sie gegenüber daintycrew.com. "Um ihm etwas Besonderes zu verleihen, fügte ich einen Abstand zwischen 'e' und dem zweiten 'c' ein."

Ob Ce'Cile, Cécile oder einfach Cecile: Die Kombination aus Singjay-Style und schnatterndem Toasting auf derben Riddims avanciert zu ihrem Markenzeichen. Hinzu gesellt sich eine explosive Mischung aus Sexappeal, brutaler Ehrlichkeit und Bühnenpräsenz: Jamaika hat sein Bad Gyal.

Ihren Durchbruch erlebt Cecile 2001 mit ihrer selbstproduzierten Single "Changez". Den Chorus borgt man sich bei Mary J. Bliges "Changes I've Been Going Through", für die eigentliche Furore sorgen allerdings die Lyrics: Eine unbekannte Newcomerin hat die Eier, in ihrem Song über das Liebesleben ihrer gestandenen Kollegen zu spekulieren? Von Bounty Killer über Elephant Man, Capleton, Beenie Man, Buju Banton und Spragga Benz bis hin zu Shaggy bekommen alle ihr Fett weg.

Statt Macho-Posen aufzufahren, beweisen die Herren durch die Bank Humor. Die Marketingstrategie geht trotzdem auf: Cecile darf sich umgehend der vollen Aufmerksamkeit sicher sein und weiß von jetzt auf dann eine riesige weibliche Fanbase hinter sich. In den Dancehalls schlägt der Tune wie eine Bombe ein: Hier kommt ein Mädchen, das kein Blatt vor den Mund nimmt.

Noch deutlicher manifestiert sich das in ihrer Coolie Dance-Version, mit der sie unbekümmert und unverblümt in einem in der Karibik verbreiteten Tabu herum stochert: Von Männern ausgeführter Oralsex, so die geltende Lehrmeinung, geht gar nicht. Blödsinn: "Give It To Me".

Nach mehreren Hits auf Jamaika häufen sich die Kollaborationsanfragen. Cecile nimmt mit Shaggy, Beenieman, Elephant Man, Bounty Killer, Lady Saw, Olivia aus der G-Unit und Timbaland zusammen auf. "Can You Do The Wuk" landet 2003 auf Sean Pauls Erfolgs-Album "Dutty Rock". Dieser packt Cecile auch gleich für etliche Shows in Europa ins Handgepäck.

Mit ihrem Auftritt im Vorfeld der MTV European Music Awards katapultiert sich Cecile ins Bewusstsein eines breiteren Publikums. In Deutschland schlägt zudem besonders "Rude Bwoy Thug Life" auf dem lange Zeit aus den Dancehalls nicht weg zu denkenden Cure-Riddim ein.

2003 unterzeichnet Cecile einen Plattenvertrag bei Delicious Vinyl Records. Die Hoffnung, bei einem Indie-Label gut betreut zu werden, erweist sich jedoch als trügerisch. "Die haben eigentlich bis heute nichts für mich getan", beklagt sie gegenüber dem Magazin Big Up und bemängelt zudem fehlendes Gespür für die beste Strategie zum richtigen Zeitpunkt. "Außerdem war ich ohnehin noch nicht bereit für ein Album."

Die Fehlentscheidung kostet dennoch Zeit und Kraft. Cecile braucht lange, um sich nach der Trennung von Delicious Vinyl aus ihren Verpflichtungen freizukaufen. Ohne Longplayer bringt sie es trotzdem zu Features in den gar nicht mal so Dancehall-lastigen Magazinen Source, Vibe und XLR8R und gilt als die Frau, der am ehesten der Sprung zum Mainstream-Erfolg zuzutrauen ist. Genre-übergreifende Kollaborationen mit Künstlern wie den Stanton Warriors oder Amon Tobin schlagen in die gleiche Kerbe.

2008 startet sie durch. Als Appetithäppchen erscheint zunächst die EP "Goody". Unmittelbar darauf liegt Ende Juni auch das Album-Debüt auf dem Tisch. Verschiedene Produzenten mischen an "Bad Gyal" mit. Am Mikrofon unterstützen Bounty Killer, Ziggi, Trina und Shaggy die wortgewandte Gastgeberin, die sich außer in knackigem Dancehall auch in Reggae und Spuren von Dub ergeht.

Mit poppigen Hymnen gespickt, wirft sie den Nachfolger "Jamaicanization" 2011 über den Kölner Knotenpunkt KingStone auf den Markt. KingStone hat schon Gentlemans Tourneen organisiert und eine berühmte jamaikanische Dancehallerin und Liebessängerin, Tanya Stephens, fit für den deutschen Markt und die deutschen Bühnen bereit für sie gemacht.

Ein Highlight jagt auf der CD das nächste, von "When You're Gone" auf dem Cardiac Bass-Riddim von CR203 über den Raggamuffin "Singing This Song", das Duett "Hey" mit Agent Sasco, den schneidend gemixten, vibrierenden Digital Dancehall-Knaller "Step Aside (Sound Man Tune)" bis zum honigsüßen "Sweetness" mit Christopher Martin.

Christopher eine gewisse "Sweetness" nachzusagen, ist nur allzu nachvollziehbar. Die Dame verhilft dem Charmeur und Casting-Show-Gewinner mit diesem Tune zu einem entscheidenden Song mehr, und beide einander gegenseitig zu Nachwuchs. Als seine Karriere noch so ganz nicht zündet und ihre nicht mehr so recht, produzieren sie privat Schlagzeilen mit einer gemeinsamen Showbusiness-Tochter, dann zu Weihnachten 2014 mit der Trennung nach vier Jahren.

Als Alleinerziehende lässt sie sich aber auch nicht aufhalten, wenngleich die Alben "Still Running" mit dem defensiven Titel ("Noch am Laufen") und "Diary Of A Journey" lediglich digital in den USA erscheinen und in Europa nur zum Streaming erhältlich sind. Schöne und gut heraus entwickelte Songs befinden sich darauf allemal, darunter "Money Love" (2016), der digitalisierte Ska-Titel "Kingston Step" (2014) oder der Rap-Jungle-Grime-Pop-Crossover "Kiss U Up" (2014) mit Flo Rida.

Erschien es Anfang der 2010er Jahre noch recht normal, dass CeCile allsommerlich durch Deutschland tingelte, ergeben sich mit Kleinkind keine weiteren Möglichkeiten. Selbst auf Jamaika tritt sie fast nicht mehr auf. Lediglich das schwedische Öland Roots-Festival, erste Veranstaltung nur mit Reggae-Frauen auf dem Line-Up, holt sie 2019 eigens für eine Performance nach Europa.

Im Gepäck trägt CeCile "Music + Magic". Dieser fünfte Longplayer erscheint wieder nur digital und mutet auch im Klang überaus digital an: Laptop-Beats, in der ersten Hälfte hart und übel anzuhören, in der zweiten Hälfte mit ihren Liebessongs magisch und beschwingt wie eh und je.

Alben

Cecile - Bad Gyal: Album-Cover
  • Leserwertung: 4 Punkt
  • Redaktionswertung: 3 Punkte

2008 Bad Gyal

Kritik von Dani Fromm

Zwischen mädchenhaftem Gesang und dunkler Verruchtheit. (0 Kommentare)

Fotogalerien

Pressefotos Leckerschmecker Cecile: Kratzbürste mit Sex-Appeal!

Leckerschmecker Cecile: Kratzbürste mit Sex-Appeal!, Pressefotos | © kingstone / rootdown (Fotograf: ) Leckerschmecker Cecile: Kratzbürste mit Sex-Appeal!, Pressefotos | © kingstone / rootdown (Fotograf: ) Leckerschmecker Cecile: Kratzbürste mit Sex-Appeal!, Pressefotos | © kingstone / rootdown (Fotograf: ) Leckerschmecker Cecile: Kratzbürste mit Sex-Appeal!, Pressefotos | © kingstone / rootdown (Fotograf: )

Surftipps

Noch keine Kommentare