laut.de-Kritik

Wehmut und Sehnsucht erschaffen Song-Juwelen.

Review von

"Ich weiß nicht, wie sich meine Musik anhören würde, hätte ich nicht das durchgemacht, was mir widerfahren ist." In wirklich jeder gesungenen Zeile von Charles Bradley hört man das. So viel Herzschmerz, Weltkummer und wahre Gefühle schreien einem hier ins Gesicht. Unglaublich, wie viel Seele in diesen Songs verborgen liegt. "In jeder einzelnen Silbe steckt mehr Seele als in 'nem ganzen Reisebus voller Soulsänger", rappte Blumentopfs Schu letztes Jahr. Bezogen auf Bradley ist das nicht mal eine Übertreibung.

Möglicherweise liegt die Besonderheit seiner Musik in dieser grundtiefen Ehrlichkeit, dieser Authentizität, diesen spürbaren Gefühlen, die er zutage fördert. Ein sehnsuchtsvolles "I don't wanna be lonely, Baby" genügt schon, um mit dem geschundenen Herzen mitzuempfinden. "I need some compliments." Auch gestandene Männer spätmittleren Alters brauchen Zuwendung. Und niemand könnte diese Forderung ehrlicher einklagen als der 'Screaming Eagle of Soul'. Die Bläser tragen eine wunderschöne Melancholie, die begleitet vom klagenden Schreigesang Bradleys Wehmut und Sehnsucht auslöst. Ein Juwel von Track: "Nobody But You".

Im Vergleich zu den sanfteren Klängen von "No Time For Dreaming" und dem anschließend beherzteren Sound von "Victim Of Love", zimmern ihm die Daptone-Label-Kollegen nun ein Instrumental-Gerüst zusammen, in dem sich Bradley hörbar wohl fühlt. Der Soul, den die Band hier mittels Gitarren und Bläsern zaubert, lehnt sich am Hip Hop an, liebäugelt mit dem Funk und erschafft ein eingängiges, modernes Zeitgefühl. Die treibenden Tunes veredelt Bradley ebenso packend wie die traurigen.

"Changes", das durch den Verlust von Bradleys Mutter an Emotionalität nicht mehr zu überbieten ist, versetzt den Hörer unweigerlich in eine Gänsehaut-Stimmung. Aufbauschende Bläser tragen die Traurigkeit, während diese herzzerreißende Stimme mit einfühlsamer Gewalt in Mark und Bein (und Herz) fährt. Das Black Sabbath-Cover aus dem Jahre 1972 ist das mitreißendste Stück der Platte.

Dennoch: So grandios der Vortrag dieses Songs auch ausfällt, zurück bleibt doch ein Gschmäckle, wie man im Schwäbischen sagen würde. Neuinterpretationen von Songs können bereichernd sein und das Original sogar noch toppen. Jedoch ein Album nach einem Titel zu benennen, dessen Urheber man gar nicht selbst ist, geht mir eine Stufe zu weit. Zumal weder der Sound noch die Thematik eine große Veränderung zu den Albumvorgängern darstellt.

Beklagte Charles Bradley 2011 noch die Frage "why is it so hard to make it in America", lobhudelt er 2016 "God Bless America". Er bedankt sich bei dem Land seiner Väter und "wouldn't change it for the world." Erfüllt sich dann doch mal der amerikanische Traum, scheinen die beinharten fünf Jahrzehnte vorher wohl wie ausradiert zu sein. Ein Amerikaner stört sich an solchem Patriotismus bestimmt nicht. Ob es nun an meiner eigenen politischen Gesinnung liegt oder an dem Umstand, dass ich Soul als eine Art Protest-Musik empfinde, ist zweitrangig. Es passt einfach nicht so recht ins Bild.

Am Ziel ist der 67-Jährige noch lange nicht. Soul sei für ihn mehr eine Durchlaufstation, sein Herz flamme für ein anderes Genre: "Blues ist etwas, das man durchgemacht hat und das wehtut. Es ist roh. Wenn du den Rhythm rein bringst, ist es wie den Kuchen mit der Glasur bekannt zu machen. Hier liegen mein Geist und meine Seele wirklich. Manche Dinge, die ich mache, sind moderner Rhythm And Blues, aber nicht das Original. Ich will das Original machen, aber momentan mache ich das, wozu mir meine Verantwortlichen die Gelegenheit bieten. Ich lerne erst mal, wie man ein Rumpsteak zubereitet und dann wage ich mich dann ans T-Bone-Steak." Wenn so also schon Rumpsteak klingt, kann das T-Bone-Steak ja nur noch ein wahrer Klassiker werden.

Trackliste

  1. 1. God Bless America
  2. 2. Good To Be Back Home
  3. 3. Nobody But You
  4. 4. Ain't Gonna Give It Up
  5. 5. Changes
  6. 6. Ain't It A Sin
  7. 7. Things We Do For Love
  8. 8. Crazy For Love
  9. 9. You Think I Don't Know (But I Know)
  10. 10. Change For The World
  11. 11. Slow Love

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