laut.de-Kritik

Der Endgegner aller Subwoofer.

Review von

"God's Country" war mal ein Debüt, dringende Empfehlung, hier reinzuhören (bester Track: "Tropical Beaches, Inc."). Wobei - ein Problem gibt es: Zuvor müsst ihr Chat Piles neues Album "Cool World" verschlingen. Oder besser gesagt, dem Album dabei zuschauen, wie es euch verschlingt. Nicht alle Entwicklungsstränge, die auf dem Vorgänger angelegt waren, verfolgt "Cool World" weiter. Das geht so weit, dass die selbstgewählte Genrebezeichnung Noise-Rock kaum mehr Sinn gibt.

Denn im Hause Chat Pile regiert der pure Groove. "I Am Dog Now" brüllt es direkt ins Ohr, legt dabei aber ein paar falsche Fährten, so aggressiv wie hier geht es in der Folge meistens gar nicht zu. Nur "The New World" reißt zum Schluss hin noch mal ab, ansonsten pendelt sich Sänger Raygun Busch ungefähr auf dem Level eines angepissten Matt Korvette ein.

Das macht er dafür - wie schon beim Erstling - exzellent und mit bemerkenswerter Stilsicherheit sowie enormer Bandbreite. Es ist ganz maßgeblich auch sein Verdienst, dass die Band komplexe Songs mit Shoegaze-Anmutung (das ist was anderes als Noise!) wie "Masc" ebenso durchzieht wie einen hochmelodisch stampfenden Sludge-Rocker namens "Milk Of Human Kindness". Oder einen Track wie "Shame", der in Teilen nicht so weit von gleichnamiger Band oder The Men entfernt ist, gleichwohl aber mit Growling aufwartet.

"Cool World" legt eine bemerkenswerte Stildichte bei gleichzeitig großer Homogenität an den Tag. Die eigenen Songs auf links zu drehen, ohne augenscheinliche Zäsuren vorzunehmen, ist eine Kunst, die Chat Pile verinnerlicht haben. Die Single "Funny Man" erinnert nicht zuletzt dank Raygun Busch an Mclusky. Der Sänger bezieht Sprechpassagen ("Tape") neben Spucken, Schreien und bemerkenswert viel Gesang ganz natürlich in sein Portfolio mit ein und gibt dank des mal relaxten, mal hektischen Tempos glasklar den Dirigenten.

Bassist Stin muss Finger aus Top-Grain-Leder besitzen: "Cool World" ist der Endgegner aller Subwoofer. Alles, was man danach hört, scheint keinen Bass mehr zu haben. Drummer Cap'n Ron arbeitet dem - ähnlich wie Gitarrist Luther Manhole - im Wesentlichen zu. Und dies dank Riffs wie bei "Tape" mit enorm hohem Pop-Appeal. Die Scheibe kann eben mehr als nur Bassgewitter.

"No Way Out" und "Camcorder" erweisen sich als die besten Songs dieses Molochs, nur "Frownland" gerät etwas zu konservativ und 'so oder so ähnlich schon mal gehört'. Da merkt man geradezu, aus welch einzigartig gebrannten Ziegeln "Cool World" ansonsten gemauert ist. Das Outro "No Way Out" löst geradezu Kopfnicken-Störungen aus. Was hier deutlich wird, und das ist die Geheimwaffe der Band aus Oklahomans: Die Brüche im Fluss passieren zwangsläufig, nicht gewollt.

"Camcorder" bleibt schwarz in schwarz und ist eine Ausnahme angesichts der ständigen Tempowechsel, eine fast sechseinhalbminütige Fingerübung und reine Freude: Busch und Ron spielen im Duett dicht und nahe der Perfektion, während Stin irgend woanders schwebt. Fast das ganze Album hindurch hört man genau drei Instrumente und einen Sänger, ohne große Effekte und ohne, dass die Beteiligten die Fingerfertigkeiten eines Thomas Erak brauchen würden.

Trackliste

  1. 1. I Am Dog Now
  2. 2. Shame
  3. 3. Frownland
  4. 4. Funny Man
  5. 5. Camcorder
  6. 6. Tape
  7. 7. The New World
  8. 8. Masc
  9. 9. Milk Of Human Kindness
  10. 10. No Way Out

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