laut.de-Biographie
Chuck Berry
"If you tried to give rock and roll another name, you might call it 'Chuck Berry'": dieser Satz auf dem Mund von Beatles-Sänger John Lennon bringt auf den Punkt, wofür andere ganze Bücher brauchen. Und eines ist auch nach Jahren noch richtig: Jeder Versuch, sich Charles Edward Anderson Berry anzunähern, endet früher oder später in einer Orgie aus Superlativen. Kein Wunder verdankt der Rock'n'Roll wohl niemandem so viel, wie dem Mann aus St. Louis, wo Charles am 18. Oktober 1926 als drittes von sechs Kindern zur Welt kommt.
Sein Vater arbeitet als Diakon der baptistischen Gemeinde in "The Ville", einer der wenigen Stadtteile, in denen Schwarze überhaupt Gründstücke erwerben dürfen, was vor allem wohlhabende Familien anlockt. Berry entdeckt durch seinen Cousin Harry Davis schon früh die Liebe zur Fotographie, eine Leidenschaft, die ihn durch sein Leben begleiten wird. Noch vor seinem Abschluss an der Sumner High School, an der auch Tina Turner die Schulbank drückt, kommt Berry in Konflikt mit dem Gesetz: In Kansas City finden sich Berry und zwei Freunde 1944 auf dem örtlichen Polizeirevier wieder und werden anschließend wegen bewaffnetem Überfall zu zehn Jahren Jugendhaft verurteilt.
Nach rund zwei Jahren hinter Gittern begrüßt die Freiheit ihn an seinem 21. Geburtstag wieder zurück. Kurz darauf heiratet er Themetta Suggs und hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, bis er an Sylvester 1952 mit dem Sir John's Trio das erste Mal vor Publikum auftritt. Bandleader und Pianist Johnnie Johnson und Drummer Ebby Hardy wählen schnell den charismatischen Gitarristen Chuck Berry zum neuen Namenspatron der Combo und erspielen sich einen Namen in der lokalen Szene.
1955 fährt Berry nach Chicago, um dort sein Idol Muddy Waters zu treffen, der ihm den Kontakt zu Leonard Chess, dem Inhaber von Chess Records, einer der besten Adressen in Sachen Blues und R 'n' B in jenen Tagen. Chess ist von Berrys "Ida Red" begeistert und veröffentlicht ihn unter dem neuen Titel "Maybellene" am 21. Mai 1955. Chess verschafft dem Song auch Spielzeit in der Radioshow des legendären DJs Alan Freed, der Chuck Berrys Debüt zum Charthit macht. Ein Erfolg der teuer erkauft ist, denn Chess verspricht Freed für dessen Promotion das Copyright des Songs. "Maybellene" schafft es bis auf Platz fünf der Charts und Berry ist über Nacht ein gefragter Musiker. In den folgenden Monaten schreibt Berry einige der größten Rock'n'Roll-Klassiker, wie das beinahe schon punkige "Thirty Days", "Roll Over Beethoven", das hymnische "Johnny B. Goode", "Rock And Roll Music" oder "Sweet Little Sixteen", die sich allesamt bis in die Charts vorarbeiten, den Erfolg von "Maybellene" jedoch nicht wiederholen können. Auf dem Album "Chuck Berry Is On Top" versammeln sich einige seiner größten Hits.
1958 steht Berry in einigen von Alan Freed initiierten Musikfilmen vor der Kamera und bereist mit seinem Freund Buddy Holly und Jerry Lee Lewis, dem Newcomer auf Sam Phillips' Sun Records, im Rahmen der "Big Beat Tour" die Vereinigten Staaten. Zwischen Berry und Lewis kommt es im Laufe der Tour zu einer Reihe von Eifersüchteleien, da beide als Top-Act die Shows beschließen wollen. In der Retrospektive wird dieses Kapitel von beiden mit einem Lächeln abgehackt.
Das eingespielte Geld aus den Hitsingles fließt in ein Stück Land bei St. Louis, das Berry bereits 1957 erwarb. Knapp ein Jahr später eröffnet er seinen eigenen Nachtclub Bandstand, in dem Rassenschranken keine Rolle spielen, was im Amerika vor der Bürgerrechtsbewegung die Ausnahme ist. Damit macht sich Berry zum Feind der lokalen Behörden, die den Club 1959 schließen, als gegen Berry Vorwürfe erhoben werden, er fördere die Prostitution von Minderjährigen. Erneut angeklagt verurteilt ein Richter, dem rassistische Aussprüche nachgewiesen werden, Berry zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und einer Geldstrafe.
Zwar fechten die Anwälte von Berry das Urteil aufgrund der Befangenheit des Richters an, eine Revision führt aber zum gleichen Strafmaß und so tritt der Vater des Rock'n'Roll am 19. Februar 1962 seine zweite Gefängnisstrafe an. Während er hinter Gittern sitzt, wird England vom Beat-Fieber gepackt. The Rolling Stones und The Beatles sind die Bands der Zeit. Und beide ehren Chuck Berry mit Coverversionen von "Come On" oder "Roll Over Beethoven", die Berry und seinen eigenwilligen "Duckwalk" nun auch in Europa weithin bekannt machen.
Im Gefängnis arbeitet Berry an neuen Songs, die Mitte der 60er den Berry-Hype weiter beflügeln. Seine Single "Promised Land" wird später gar vom King gecovert. Auf seinen ersten Nummer Eins-Hit muss Berry allerdings noch 1972 warten, als seine Single "My Ding-A-Ling" schließlich an die Spitze der Charts stürmt. 1979 kommt Berry wegen Steuerhinterziehung erneut mit dem Gesetz in Konflikt und sitzt eine kurze Haftstrafe ab.
Doch das Stehaufmännchen Berry ist nicht unter zu kriegen. 1986 gehört Chuck Berry neben Fats Domino und Elvis Presley zu den ersten Musikern, die in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen werden, im darauf folgenden Jahr schreibt er seine Autobiographie. 1993 erhält er eine Einladung von Präsident Clinton, auf dessen Inauguration zu spielen. Zweifellos einer der Höhepunkte für den Mann, der sein ganzes Leben lang gegen die rassistischen Vorurteile seiner Landsleute ankämpfen musste.
1994 tanzen John Travolta und Uma Thurman in "Pulp Fiction" zu seinem Song "You Never Can Tell". Für den Rest der Dekade pflegt Berry das Image des Rock'n'Roll-Erfinders mehr schlecht als recht und vergrault viele Fans mit zum Teil zweitklassigen Performances. Trotzdem tourt er auch nach seinem 75. Geburtstag unermüdlich.
Ende 2016 kündigt Chuck Berry noch einmal ein neues Album mit dem Titel "Chuck" an, das 2017 erscheinen soll. Als Berry im März 2017 im Alter von 90 Jahren stirbt, erklärt seine Familie, an dem Releaseplan festhalten zu wollen.
Die Musikwelt ist sich unterdessen einig, dass sie einen der Größten verloren hat: "Chuck Berry was rock's greatest practitioner, guitarist, and the greatest pure rock 'n' roll writer who ever lived." (Bruce Springsteen). "All of us in rock have now lost our father." (Alice Cooper)
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