laut.de-Kritik
Der Ruhrpott-Untergrund rollt über Hip Hop wie ein Bus.
Review von Philipp Gässlein"Die Zeit ist reif für den neuen Scheiß / Geht rum wie Joints in deinem Freundeskreis / Creutzfeld & Jakob, endlich wieder Skills und Schweiß."
Bis auf Platz 35 stieg das Debüt der Wittener Crew in den Charts, für Vertreter des absoluten Untergrunds seinerzeit ein gewaltiger Erfolg. Und so vollmundig die Eröffnung auch klang, so war doch kein Wort davon übertrieben: Nach dem Abebben jener Deutschrap-Welle, die Acts wie Freundeskreis, Blumentopf und die Beginner in die mediale und öffentliche Wahrnehmung spülte, war die Zeit tatsächlich reif für den "neuen Scheiß", und Creutzfeld & Jakob stellten gemeinsam mit dem Put Da Needle To Da Records-Labelkollegen Kool Savas seine ersten Propheten.
Einige Jahre später wird ein gewisser Bushido konstatieren: "Deutscher Rap will Ghetto werden, doch die Nutte weiß nicht, wie." So weit gingen Lakmann, Flipstar, Ed Fucker und Till Tomorrow damals noch nicht. Wohl aber holten sie den medial wahrgenommenen Rap von den Schulhöfen und Abipartys gutbürgerlicher Gymnasien in Stuttgart und Hamburg ab und zeigten ihm eine völlig andere Lebenswelt aus Untergundclubs und übertrieben großen Hoodies.
Nur zwei Jahre später war der Inititationsritus abgeschlossen. Mit Berlin und dem Ruhrpott hatten sich zwei völlig neue Hauptzentren der Stilrichtung in den Vordergrund gedrängt. Die neuen Protagonisten trugen Masken und Lederjacken, beleidigten Mütter und tickten Koks.
In diesem Prozess setzte Put Da Needle To Da Records ganz ohne Frage die neuen Messlatten fest. Kool Savas, Flipstar und Aphroe von RAG waren ihren deutlich bekannteren Kollegen hinsichtlich eines konsequenten Flows so derart voraus, dass man an einer gemeinsamen Ligazugehörigkeit zweifelte.
Und, bitte, was sollte eine Szene, die "Geh Bitte" von den Beginnern und "10 Rapgesetze" von Curse für Battlerap hielt, mit "Fehdehandschuh" anfangen, einem Song, der nicht nur dank Funky Chris' übertrieben peitschenden Beats auch in zwanzig Jahren in keiner ernstzunehmenden Deutschrap-Top 20 fehlen wird? Da steppten ein paar Jungs aus dem zwar durchaus schon länger brodelnden, aber kaum beachteten Ruhrpott-Untergrund ans Mic und rollten buchstäblich "über Hip Hop wie ein Bus".
Dabei gehorcht der Stil von Creutzfeld & Jakob gar nicht so komplizierten Schemata: ein minimalistisches, oftmals extrem stakkatiertes Sample mit finster klingenden Disharmonien, simpel programmierte aber äußerst kraftvolle Bässe und zwei MCs, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Lakmann, der das Stakkato wie Slalomstangen nutzte, verspielt um sie dribbelte und auf Flipstar passte, der das Ding trocken und präzise wie ein Schweizer Uhrwerk einfach reinrotzte. Fünfzehn Tracks hat die Scheibe, fünfzehn Mal funktioniert das. Wer das für monoton oder einfallslos hält, hält Arjen Robben auch für einen schlechten Fußballer.
Diese Fußballanalogie ist natürlich nicht zufällig: "3. Halbzeit", die Kollabo mit RAG, ist ein weiterer Höhepunkt des Albums. Neben "Anfangsstadium", ohne Zweifel einer der besten Opener in der Geschichte des Deutschraps, und neben dem bereits erwähnten Savas-Feature "Fehdehandschuh" stechen besonders "Rhymes, Weed, Cash, Beatz", "Flucht In Ketten" und "Bunkerwelt In Witten": "W-I-DoppelT-E-N / die Zeit ist da zum Predigen / auf schwarzen Plastikmedien / verbreitet sich das Alien / und schleicht sich durch die Dunkelheit vor Bahnhofsklos / vor kurzer Zeit noch namenlos / doch jetzt ist Flipstar da, und schreibt seinen Namen groß."
Ausreißer nach unten gibt es nicht wirklich. Insgesamt ist das Album unglaublich homogen. Sowohl Instrumentals als auch Textfeatures stammen von gestandenen Ruhrpott-Granden wie Too Strong, RAG und Reimwärtz. Das Ganze rundet Großmeister Roey Marquis II ab, der nicht nur den Beat zu "Wer Meint's Ernst" beisteuerte, sondern auch bei der Abmischung seine Finger im Spiel hatte.
Wie tief diese Band mit nur zwei Alben ihrer Musikrichtung den Stempel aufgedrückt hat, lässt sich auch gut mit ihrem Nachbeben beschreiben: Während Lakmann einer der ganz wenigen Rapper ist, an denen auch nach zwei Dekaden im Untergrund absolut kein Sellout-Verdacht haften bleibt (und der wohl auch deshalb ein Ehrengast auf dem 2017 erschienenen Sido/Savas-Kollaboalbum ist), gründete Flipstar gemeinsam mit Slick One, ebenfalls aus dem Umfeld der Gruppe stammend, das Label Selfmade Records. Und das hat bekanntlich seit über zehn Jahren hinsichtlich der Frage, was gerade der "neue Scheiß" in Rapdeutschland ist, ein ziemlich beachtliches Mitspracherecht.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
20 Kommentare mit 12 Antworten
frechheit!
hihi
@abesøn (« frechheit! »):
eigentlich schon, dafür dass das so battlerap lastig war
Yes, endlich!! Neben Unter Tage wohl DER Pott-Meilenstein (wenn man Too Strong mal ausklammert), dazu sehr gut gealtert imo.
Lakis anstrengenden Proto-Doubletime-Flow musste ich mir damals echt schönhören, aber da war ich auch noch nicht ganz genrefirm natürlich technisch herausragende Reimketten zu der Zeit, heute rappt er aber wesentlich entspannter
Flipstars Parts super lässig, direkt gediggt!
Leider wurde das Album anscheinend vor kurzem von Spotify entfernt, lediglich Anfangsstadium ist noch da
Da kann ich nur zustimmen! Noch immer eines DER Alben aus dem Pott, wenn nicht sogar aus dem ganzen Deutschrap Bereich.
Allein Fehdehandschuh....da saß man damals nichtsahnend vor MTViva und war gewohnt, dass Deutscher Rap von den Beginnern, Blumentopf und Deichkind repräsentiert wurde ... und dann flimmert da plötzlich so ein Monster von Track über den Bildschirm.
Unglaublich dichtes Album von der Atmo her und das Storytelling ist auch echt nice gewesen.
Laki hat sich seit der Platte echt krass entwickelt. Damals hatte er aber definitiv Glück, Technik Skill hin oder her, dass Flip die Platte getragen und hörbar gemacht hat.
Kann nur voll und ganz zustimmen, hammer Platte, Fehdehandschuh bombe, Soundtrack meiner Jugend.
Yeah, eine schöne und überfällige Wiedergutmachung, und dazu noch von einer laut.de-Legende! Das Teil gehört für mich ganz klar zum doch recht überschaubaren Kreis wahrer Deutschrap-Meilensteine, die Deutschrap tatsächlich nach vorne gebracht haben, und ist auch würdevoll gealtert (Lakmanns Parts sind natürlich ein Fall für sich, aber er ist heute ja selbst der erste, der das ohne Rumgeeiere zugibt ). Wurden damit dann alle Leichen aus dem laut.de-Hip-Hop-Keller weggeschafft?
Nein
http://www.laut.de/Die-Fantastischen-Vier/…
http://www.laut.de/Die-Firma/Alben/Spiel-d…
Hahaha, fuk u
was stimmt an der lauschgift rezi nicht? absolutes bombenalbum und hat deutschen rap sowas von in die öffentlichkeit katapultiert wie höchstens noch freundeskreis.
die firma ist sicher fragwürdig.
@icytower danke für die blumen
Freundeskreis, eben
War eigentlich aber nur als augenzwinkernder Seitenhieb gedacht, ich kenne das Album und vor allem die damaligen Umstände gar nicht richtig, beim Erscheinen war ich fünf.
Ich bin ja aus allen Wolken gefallen, als mir letztens aufgegangen ist, dass der heutige Lakmann ein Teil von Creutzfeld & Jakob war. Wie der Typ neben Flipstar heißt war mir damals nicht wirklich bewusst, weil der gute Flipstar seinen Namen auf dem Album ja auch echt um ein vielfaches öfters von sich gibt als Lakmann. Das bestätigt mir auch ein erneutes Hören heute. Aber was das außerdem bestätigt, ist, dass Lakmann damals und Lakmann heute ja tatsächlich völlig anders klingen?