laut.de-Kritik

Alles kann, nix muss.

Review von

Die Black Strat ist versteigert, viele weitere Gitarren sind es auch. Ob Sechssaiter oder Ex-Band: David Gilmour hat keine Zeit mehr für Sentimentalitäten, die über seine Soloarbeit hinausgehen. Geht da also noch was?

Nun, bevor er mit dem wirklich auserzählten Promogewäsch "my best record since 'Dark Side'" um die Ecke kam (mehr als einmal hat er eigentlich das Nachfolgewerk "Wish You Were Here" als sein Lieblingsalbum bezeichnet), hat Gilmour erst mal ausgemistet. Einige seiner bisherigen Live-Musiker haben den Frühjahrsputz nicht überstanden, sie seien wohl besser in Pink Floyd-Tribute-Bands aufgehoben. Stark!

Wie gut, dass sich Produzent Charlie Andrew (Alt-J) Gilmour zufolge so gar nicht von dessen floydscher Vergangenheit beeindrucken ließ. "I like being drilled", heißt es da, er brauche keine Leute, die ihm nach dem Mund reden. Und damit wäre der erste Versuch, eine Gilmour-Solo-Rezension ohne einen Vergleich mit Roger Waters über die Bühne zu bringen, auch beinahe geglückt (aber was bringst du die Platte auch an seinem 81. Geburtstag raus, David?)

Andrew beschert "Luck And Strange" eine angenehm reduzierte Produktion, in der sich die zahlreichen Instrumentalisten (allen voran Drum-Papst Steve Gadd, u. a. Paul Simon) hektarweise Raum lassen dürfen. Gilmours eigene Bescheidenheit klingt über volle 43 Minuten durch, der sanfte Einsatz von Stimme und Soli sitzt wie eh und je. Gefühl kennt kein Alter – so sehr uns die Lyrics von Ehefrau Polly Samson das auch soufflieren wollen: "Time for this mortal man to love the child that holds my hand / And the woman who smiles when I embrace here / These eyes stay dry but my oh my guitar".

Ein Wort zu Samson: In den letzten Jahren hat sich in Fankreisen eine widerlich misogyne Yoko Ono-Mythologie um Gilmours Gattin entwickelt, wie es sich – Entschuldigung – wirklich nur watershörige Boomer-Floyd-Fans ausdenken können. Als kurzes, den "Dark Side"-Vergleich alleine auf lyrischer Ebene Lügen strafendes Indiz sollte das obige Sample allerdings trotzdem reichen.

In seiner propagierten Altersweisheit klingt "Luck And Strange" aber tatsächlich relaxter denn je, Tracks wie das streicherlastige Filter-Drum-Experiment "A Single Spark" zeugen von deutlich mehr Experimentierfreudigkeit als das hüftsteife "Rattle That Lock"-Cowbellmassaker von 2015 (folgt dafür in "Velvet Nights").

Elegische Soli, cineastische Chöre und Streicher und sogar ein paar flächige Synthies: "Luck And Strange" ist in objektiver Hinsicht ein wirklich gutes Werk. Ein Werk, das zeigt: Es musst nicht immer ein Konzeptmonstrum wie "The Wall" sein. Hier ein Blues-Track, da ein Instrumental, dann mit "Between Two Points" ein unerwartetes Cover des Dream-Pop-Duos The Montgolfier Brothers: Erfrischender Weise macht Gilmour, was er will, auch wenn dafür im Albumflow im Grunde gar nichts zusammenpasst.

Doch genau diese Coverversion reißt den gefrorenen See der Erkenntnis auseinander: "Between Two Points" steht als Highlight in der Mitte des Albums – und das nicht einmal unbedingt, weil hier statt Gilmour selbst seine Tochter Romany betörende Vocals beisteuert. Nein, die Komposition des fluffigen Spätneunziger-Popsongs kontrastiert einfach und brutal die übrigen Songwritingqualitäten der Platte. Wenn nur der Refrain der Coverversion hängen bleibt, dann fehlt dem Instrumentalisten Gilmour doch schlichtweg ein kompositorischer Sparringspartner.

Jaja, Noel schreibt wieder Songs für Liam, wäre es nicht toll, wenn auch Roger wieder ... Nö! Es musst ja nicht einmal der in "The Piper's Call" besungene Pakt mit dem sprichwörtlichen Teufel sein. Der würde Gilmour womöglich ein paar wirklich catchige Kompositionen zum Veredeln vorlegen können, aber, Himmel, man würde man ihm doch zumindest irgendwelche den Spannungsbogen strapazierende Songwriter wünschen. Oder zumindest einen, mit dem er sich die Bälle zuspielen könnte, einen, wie den 2008 verstorbenen Floyd-Tastenmann Richard Wright, dessen alte Keyboardspuren abermals für den Titeltrack recyclet werden.

Der Originalausschnitt aus diesen (in Teilen schon vor Jahren erschienenen) "Barn Jams" liegt "Luck And Strange" als Bonus-Track bei. Und in dieser Sektion schlummert auch ein weiteres Nugget, das 2020 eine noch radikalere Abkehr vom Floyd-Sound versprach: Das massive Leonard Cohen-Worshipping "Yes, I Have Ghosts". Melodiös, catchy, lyrisch: Dieser sonnengebräunte Laid-Back-Gilmour war definitiv der spannendere.

Doch stattdessen dümpelt "Luck And Strange" 2024 über weite Strecken als handwerklich makelloses Stück Musik vor sich hin, gestützt von wirklich starken Gastbeiträgen. Im abschließenden "Scattered" schenkt uns Roger Eno sogar noch ein paar kleine "Echoes"-Sound-Reminiszenzen, bevor Gilmour den Track mit einem weiteren Jahrhundertsolo beendet – denn hier bleibt Dave eben unerreicht.

"Reach for my old guitar / fed on milk and honeydew". Hach ja, die Zufriedenheit. David, sie sei dir gegönnt.

Trackliste

  1. 1. Black Cat
  2. 2. Luck And Strange
  3. 3. The Pipers Call
  4. 4. A Single Spark
  5. 5. Vita Brevis
  6. 6. Between Two Points
  7. 7. Dark And Velvet Nights
  8. 8. Sings
  9. 9. Scattered
  10. 10. Yes, I Have Ghosts
  11. 11. Luck And Strange (Original Barn Jam)

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