laut.de-Kritik
Massen-Karaoke und ein Mini-Auftritt im Bordell.
Review von Michael Schuh"Die Verbindung zwischen Depeche Mode und Berlin ist sehr besonders", bricht Andrew Fletcher in den kurzen Interviewpassagen zum Livekonzert eine Lanze für die Wahl des Ortes. Natürlich stimmt das. Nach Paris, Mailand und Barcelona wurde es aber auch langsam eng mit den europäischen Metropolen, die für ein DVD-Happening noch in Frage kommen. Obwohl die Band längst ein Global Player ist (die Tour ging durch 32 Länder), existieren von Depeche Mode keine optischen Belege ihrer Popularität in Toronto, L.A. oder Moskau. Ihre europäische Identität ist ihnen wichtig. "Live In Berlin" dokumentiert zwei Berliner Nächte in der O2 World im November 2013.
Der längst zum Band-Tross zugehörige Art-Director Anton Corbijn durfte auch auf der "Delta Machine"-Tour wieder Bühne und Visuals kreieren. Ist anhand des unglaublich einfallslosen DVD-Covers die Frage erlaubt, wie lange dieser Mann noch mit ausgemalten Anfangsbuchstaben und Kritzelschrift sein immenses Gehalt abrufen darf, orientiert er sich beim Stage-Design klugerweise an der letzten Tour. Damals lautete das Credo: Weniger ist mehr.
Im Mittelpunkt der DM-Show stehen naturgemäß einzig Songwriter, Keyboarder und Gitarrist Martin Gore und Sänger Dave Gahan, so dass auch die Bühne auf die Kommunikation dieser grundverschiedenen Charaktere ausgerichtet sein muss. Hier legt die abgelaufene Tournee noch einmal eine Schippe drauf auf all die wiedergewonnene Harmonie der letzten Jahre: Gore und Gahan erwecken den Eindruck, als würden sie vor Konzerten noch gemeinsam essen gehen und danach gemeinsam feiern. Beides ist lange her. Oder wie Fletcher süffisant formuliert: "Früher stand bei uns die Aftershow-Party im Vordergrund, heute ist es die Show."
Und für die ist standesgemäß Zampano Gahan zuständig. Mehr denn je arbeitete der Sänger an seiner extrovertierten Bühnenfigur. Er schneidet Grimassen, stolziert gockelhaft umher, er dirigiert, wirft die Hände zur Hallendecke, reißt sie wieder hinunter, wedelt mit seinem Hinterteil und dreht auch mal Pirouetten bei "A Question Of Time", als wäre er noch 25. Physisch fitter ist wahrscheinlich nicht mal Mick Jagger. Das alles ist in weiten Teilen unterhaltsam, vor allem im Vergleich dazu, was hinter der Band über die großen Bildschirme flimmert.
Visuals sind natürlich immer Geschmackssache und wer Corbijns Arbeiten der Vergangenheit kennt, dürfte kaum Luftsprünge bei dem hier Dargebotenen machen. Aber auch als Unbedarfter darf man mal fragen, wieso bei "I Feel You", einem der härtesten Stücke des Abends, im Hintergrund Tänzerinnen bei einer Art Showdance in Schattenprojektion eingeblendet werden. Die in sich verhakten Frauenleiber bei "Enjoy The Silence", die den kompletten Song hindurch quasi als Bildschirmschoner fungieren, wollen auch keinen Sinn ergeben.
Die Setlist ist wie gewohnt frei von Überraschungen, mit Ausnahme von "But Not Tonight", das allerdings Martin Gore in seinen kleinen Solopart einstreut. Gahans tolle Stücke "Broken" und "Secret To The End" finden keine Verwendung, auch für Songs von den Alben "Ultra" und "Exciter" bleibt keine Zeit. Sieben Songs vom neuen Album, ein paar Songs aus der mittleren Phase ("Precious", "A Pain That I'm Used To") und dann die Überhits, 120 Minuten, fertig.
Gahan ist natürlich Dienstleister durch und durch, selbst das von allen Bandmitgliedern ungeliebte "Just Can't Get Enough", mit Live-Drums ohnehin aberwitzig, wird so inbrünstig vorgetragen wie die ernst zu nehmenden Songs. Die Liveversionen von "A Pain That I'm Used To" und "Halo" sind auch nicht gerade spannend geraten: Beide extrem reduziert arrangiert und im Falle von "Halo" (im Goldfrapp-Remix) fehlt vorne und hinten die Kraft des Originals.
Die sektenhafte Beziehung zwischen Band und Fans wird wie gewohnt bei "Never Let Me Down Again" auf die Spitze getrieben, wenn Gahan den Scheibenwischer anstellt und die gesamte Halle mit den Armen wedelt. Ebenfalls beeindruckend ist, wie die Fans nach Gores "But Not Tonight" (eine B-Seite aus den 80ern) minutenlang die markante Melodielinie grölen, bis der wieder auftauchende Gahan das Massen-Karaoke mit dem Satz "Mister Martin L. Gore" in Jubelstürme umleitet.
Das Deluxe-Boxset ist für Fans natürlich eine pralle Angelegenheit: Auf einer DVD befindet sich nur das Konzert, auf einer zweiten das Konzert mit den eingestreuten Interviewpassagen. Jedem das Seine. Hier interviewt Corbijn abwechselnd Gahan, Gore, Fletcher, Keyboarder Peter Gordeno und Manager Kessler. Die ein oder andere nette Anekdote ist zwar dabei, ansonsten erzählen Depeche Mode ihrem alten Buddy leider auch nicht mehr als herkömmlichen Journalisten. Schlimmer wird es nur, wenn Corbijn (Hardcore-) Fans vor der Halle interviewt, die die gewünschten Statements absondern ("Depeche Mode is a way of life for me").
Das Paket runden zwei CDs mit der Liveshow sowie das "Delta Machine"-Album auf Blu-ray-Disc ab. Und neben der Tatsache, dass der Song "Goodbye" in Berlin ein einziges Mal auf der gesamten Tour gespielt wurde, führt man als Kaufanreiz auch noch "Acoustic Bordello Sessions" auf. Das sind die Songs "Judas" und "Condemnation", die Gore im angeblich ältesten Bordell Berlins mit Gordeno am Klavier eingesungen hat. Damit man das bei den Nahaufnahmen auch glaubt, wurde extra noch eine Dame aufs Sofa im Hintergrund platziert. Der vielleicht törichste Einfall, seit die Band im DVD-Sektor aktiv ist. Hotelbar-Sessions oder Wohnzimmer-Konzerte bei Fans wären wahrscheinlich nicht anrüchig genug gewesen. Jetzt haben Depeche Mode erst mal wieder vier bis fünf Jahre Zeit, bevor sie sich um Live-DVD-Bonus-Features Gedanken machen müssen.
3 Kommentare mit 7 Antworten
nee du... Goodbye war fester Bestandteil der Tour damals...
..... und keine Info dazu, wie schlecht und unzeitgemäß die Bildqualität ist?
Tja, ne BluRay ist zu viel verlangt. Aber Corbi mag keine zeitgemäßen Bilder, also gibt es auch keine.
Als wenn Corbijn ein Mitspracherecht bei der Abzockveröffentlichungspolitik von Sony hätte! Ich weiß, dass er das angeblich auf Twitter als Statement warum es keine BluRay gibt abgegeben hat...Dem widerspricht allerdings schon die nachgeschobene (super getimte nach Veröffentlichung der DVD Version..als alle Fans sich diese selbstverständlich schon geordert hatten) iTunes FullHD Version. Und ich verwette meine E..er drauf, dass spätestens Anfang nächsten Jahres die BluRay in den Regalen steht...Dann natürlich nur als "Wir Sony hören auf die Wünsche der Fans und veröffentlichen jetzt doch noch eine BluRay weil wir so nett sind - Variante"...Fair (OK, ich weiß, wir sprechen hier von einem Majorlabel) wäre es gewesen, wenn man schon nur eine physische Variante als DVD veröffentlicht (aus welchen Gründen auch immer), da nen Downloadgutschein für die HD Variante beizupacken. Aber dann kann man natürlich nicht doppelt bzw. dreifach abkassieren. Ich hab mir dieses Mal den Kauf gespart...So ne Veröffentlichungspolitik unterstütze ich nicht mehr..zumal nicht nur die Qualität des Videos selbst unterirdisch und nicht zeitgemäß ist..auch Menüs, usw. sind lieblos zusammengezimmert.
Es gab von ihm ein Zitat auf Twitter bei dem er expkzit gesagt hat, er mag BluRay nicht und deshalb gibt es keine. Obs stimmt, wer weiß, aber viele Fans fordern eine BluRay deswegen kann ich mir nicht vorstellen, dass sich Sony das entgehen lassen würde.
Ist nur die Frage, ob die Bildqualität auf der Blu dann besser wäre, wenn bereits das Ausgangsmaterial grottig ist...
Das Konzert wurde in FullHD gefilmt...Immerhin gibt es das ganze als HD Download bei itunes...und die Kino Vorführungen zum Release waren auch HD.
Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es sich finanziell nicht gelohnt hätte. Depeche Mode Fans sind tendenziell eher mitte 40, da ist Geld vorhanden und wird auch ausgegeben.
One night in Paris ist und bleibt Antons Meisterwerk. Davon mal ne schöne blu Ray wäre lohnender.
http://tinyurl.com/npkk7jk