laut.de-Kritik

Ein Mann auf dem Weg zur Selbstzerstörung.

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Alles Getier im Haulewald duckte sich in seine Höhlen, Nester und Schlupflöcher. Es war Mitternacht und in den Wipfeln der uralten riesigen Bäume brauste der Sturmwind. Die turmdicken Stämme knarrten und ächzten. Doch anders als in Fantasia huscht hier kein schwacher Lichtschein durch den Wald. Nein, in dieser Geschichte gibt es kein Licht. Und kein gutes Ende.

Stattdessen gibt es einen Mann mit Sturmmaske, der auszieht, um sich selbst zu zerstören. Um sein Vorhaben unumkehrbar zu machen, tauft er sich selbst auf den Namen Destroy Degenhardt. Dies ist seine Geschichte. Sie steht geschrieben in "Das Handbuch Des Giftmischers". Seid gewarnt, ihr werdet hier keine Wärme finden. Keine wohltuenden Worte, kein Mitleid, kein Erbarmen. Bloß die völlige Destruktion.

Nun also begibt sich Destroy Degenhardt auf seinen unheilvollen Weg hin zum "Ende". Düster grollen synthetische Donnersphären über seinem Kopf, Bässe und Gitarrenblitze zucken über den wolkenbehangenen Himmel, ohne die Gegend zu erhellen. Hin und wieder erklingen die verzweifelten Anschläge eines ängstlichen Klaviers. Schon bald erscheint die grausige Fratze des "Dr. Schlingensief" aus dem Dunkel. Doch lang hält sich Dege nicht mit ihm auf:

"Hey Gott-Satan vom Mars, hier ist alles am Arsch / denn das Ende ist schöner als das Leben danach / ich will Amok über alles und für jeden / dafür geboren heißt nicht, dass wirs überleben". Nein, Schlingensief, diese Nacht ist nicht für dich, nicht für mich. Dies ist "Eine Nacht Für Niemand". Verstehst du? "Ob ich noch online bin / ob ich nur noch besoffen bin / ob irgendwer das einfach nicht vermisst - Degenhardt gibt es nicht."

Noch bevor er die "Otaku Shore" erreicht, läuft ihm sein alter Freund Prezident über den Weg. Er begleitet Degenhardt ein kleines Stück, gemeinsam stellen sie sich der "Carhartt Depression" der Menschenkinder. "Und das bisschen Schlagseite macht dich nicht zum Drogenwrack / die eine kleine Lüge macht dich nicht zum Staatsfeind Nr. 1 / und mit 18 Jahren bisschen überfragt sein macht dich nicht zum Outcast mit geficktem Dasein." Während Prezident die Jugend maßregelt, überschüttet Dege sie mit Benzin: "Ich find' euch nicht behindert, weil ihr crazy oder cool sein wollt - das will ich auch / ich zünd' euch an, weil ihr so wenig dafür tun wollt."

Er muss weiter. Weiter durch seine eigene Vergangenheit. Vorbei an dem Geist der Silke Bischoff, die ihm zuflüstert: "Und die Leichen tragen Lippenstift zum Aufstehen und Tanzen / aber weder Sex noch Alkohol kann sie zurückverwandeln." Plötzlich steht er vor einem Gebäude, mit blinkenden Neonlichtern und seiner einladend-bekannten Gemütlichkeit. Eine strahlende Erinnerung im finsteren Wald der Zerstörung. "Glitzerglücklich" läuft er durch die "Puaka Starlight"-Videothek, "über alten roten Teppich", und streichelt seine ganz eigene Welt "aus bunten Postern und Hüllen". Doch Degenhardt weiß, dass diese Welt der Vergangenheit angehört. So jagt er gemeinsam mit Yaesyaoh in der "Nacht Der Langen Messer" die Blair Witch, die ihm den Ausgang versperrt.

Die Überfahrt über "Aldi Und Das Meer" scheint unendlich lange zu dauern. Zum wiederholten Male setzt er die Flasche mit der Tinktur des Giftmischers an, die die finstersten Gedanken seines Geistes offenbart: "Ich dreh' dieselbe leere Bierdose im Sand wie auf Beton, wenn die zwei verschiedenen Einsamkeiten wiederkomm' / der Aldiparkplatz ist um zwei Uhr nachts ein schwarzes Feld / wenig Bordstein, wenig Inhalt, schöne neue Welt."

"Und mein Kopf ist mein Gott, ist mein Feind / ist mein Teufel auf Zeit, der letzte Freund der mir bleibt": Noch während er das denkt, fliegt ein schwarzer Schatten über seinen Kopf hinweg. "Fuchur", bist du das? Doch erst auf den zweiten Blick offenbart sich: Das ist kein Glücksdrache, das ist der Engel des Todes, der Politoxialltag. Und er kämpft mit Koljah um dessen Leben. Um hier zu siegen, hilft nur Reflektion: "Blut und Bongwasser geleckt, sich mit Plazebos angesteckt / Eskapismus war im Endeffekt nur Ekel vor mir selbst."

Eisern leert Degenhardt die Flasche. Er merkt wie das Gift seine Wirkung entfaltet. Gegen die eisige Kälte singt er noch ein letztes Lied: "Keine Gefühle, keine Blöße / ein Schrei, der nur verhallt." Ein letztes Mal noch lässt Degenhardt sein Leben Revue passieren, lässt den "Straßentechno" noch einmal aufleben: "Ich lernte Sex hinter der Turnhalle / Küssen auf Lunge / wir sind pubertäre Prä-Junkies / ersguterjunge."

Und dann ist es da, das "Ende". Die völlige Selbstzerstörung. Destroy Degenhardt hat sein Ziel erreicht. Er existiert nun nicht mehr. Doch trauern müssen wir nicht um ihn. Jedes Ende bedeutet bekanntermaßen einen Neuanfang. Auch für Degenhardt.

Trackliste

  1. 1. Dr. Schlingensief
  2. 2. Eine Nacht Für Niemand
  3. 3. Carhartt Depression (feat. Prezident)
  4. 4. Otaku Shore
  5. 5. Silke Bischoff Deluxe
  6. 6. Puaka Starlight
  7. 7. Die Nacht Der Langen Messer (feat. Yaesyaoh)
  8. 8. Aldi Und Das Meer
  9. 9. Fuchur
  10. 10. Fuchur 2 (feat. Koljah)
  11. 11. Think About Mutation
  12. 12. Zu Kalt
  13. 13. Straßentechno
  14. 14. Ende

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13 Kommentare mit 38 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Dieses "Schaut wie depri und verrückt ich bin!"-Gehabe fand ich bei Rappern vielleicht noch mit 18 Jahren deep und intelligent. Wer über die Pupertät hinauswächst, weiß jedoch, dass es nur Wohlstands-Gesudere ist.

    • Vor 7 Jahren

      Die Alternative in diesem Genre wäre dann ständiges Gelaber über Gewalt, Sex und teure Autos oder aber fröhliches dideldidum.
      Da bevorzuge ich depri und verrückt.

    • Vor 7 Jahren

      Dank Julia Engelmann wissen wir schließlich alle, dass nur jugendliche Rockhörer aus Kiribati, die mindestens zwei Extremitäten verloren haben und die sich ein Jahr lang von einem runtergenudelten Autoreifen ernähren müssen, Depressionen haben dürfen. Bei allen anderen hilft eine Grapefruit und etwas Sport.

    • Vor 7 Jahren

      ui dünnes eis, mein freund. mann kann auch als wohlstandlauch in den abgrund blicken.

    • Vor 7 Jahren

      Das wollte ich damit überhaupt nicht sagen, dass man auch in einer Wohlstandsgesellschaft genug Gründe haben kann, depressiv zu sein. Nicht für alle mögen diese Gründe legitim sein aber ich versuche alle zu verstehen und finde mich zum Teil wieder, wenn ich an meinen Lebenslauf denke. Texte wie von Degenhardt wirken für mich aber so, als würde der Autor künstlich einen Grund finden zu wollen für die Depression, mit weitausgeholten, dialektischen Gründen, gefischt aus der Tiefe der Tiefe einer Theorie findet sich immer ein Grund für so etwas. Aber aus der Tiefe der Tiefe einer Theorie konnte auch die RAF vor Gericht mit dialektischem Geschwurbel ihren Terror rechtfertigen, der/die NormalbürgerIn kann diesen Ausführungen kaum mehr folgen, nickt aber weil es irgendwie schlau klingt.

  • Vor 7 Jahren

    Eben mal stellvertretend für den Rest des Albums in „Carhartt Depression“ reingehört, da ich Prezident ganz gerne höre.
    Fand ich echt öde. 08/15 ihr tut alle nur Depri, obwohl ihr Mittelschicht seid, wahre Probleme nicht kennt, blablabla. Schon zig mal gehört.
    Und dafür, dass er immer so betont keine Kunstfigur zu sein, klingt alles viel zu gewollt nach Kunst und „Anspruch“.
    Da höre ich lieber Acts wie Donato, wenn ich mal Bock auf Depri haben sollte.

  • Vor 4 Jahren

    Toll, wie sich hier die Lappen erlauben, ein Album und einen Künstler zu bewerten, den /das sie entweder gar nicht kennen, oder sich, wie sie selbst zugeben, gerade man einen (1!!!!) Track angehört habt.

    Also mein Fazit :
    1. Wenn keinen Plan, dann einfach auch mal nichts dazu sagen.

    2. Degenhardt - ABSOLUT BESTER MANN IM DEUTSCHEN RAP. ACH WAS SAG ICH, IN DER GESAMTEN DEUTSCHEN MUSIKSZENE. Und zwar mit jeder einzelnen seiner VERÖFFENTLICHUNGEN!