laut.de-Kritik
Emotional und tiefgehend wie schon lange nicht mehr.
Review von Alexander CordasWenn Campino im Promo-Video über die neue Hosen-Scheibe verrät, dass das Grundthema der Scheibe 'Energie' sei und sich 'relativ viele harte und schnelle Stücke' darauf befinden, nimmt man das zur Kenntnis.
Alleine: Es stimmt nicht wirklich. Selbstredend wäre ein Hosen-Album nicht ebendies, wenn es nicht energetisch zur Sache ginge. Wo der Sänger jedoch den Eindruck her hat, der Härtegrad und das Geschwindigkeitslevel würde sich - gemessen am Bandkontext - im oberen Drehzahlbereich abspielen, bleibt aber ein mittelschweres Rätsel.
Das vorab als Gratis-Download erhältliche "Strom" mag Campinos Statement bestätigen. Bieten die Düsseldorfer hier doch einmal mehr einen typischen Opener mit Mitgröl- und Hymnenfaktor an. Textlich gesehen zwar durchaus vernachlässigbar, aber mit einer fast an Hip Hop-Verhältnisse angelehnten Großmäuligkeit darf der Song durchaus als selbtsronisches Statement durchgehen. Hosen halt. "Innen Alles Neu" spinnt den Faden weiter und hält am Ende sogar ein wenig Kritik an (schein)heiliger Gläubigkeit parat.
So weit so gut. Bis zum Gang in die "Disco". Denn da ertönen auf einmal - man höre und staune! - Konservenbeats. Eine an Franz Ferdinand oder die Gang Of Four erinnernde Rhythmik gibt dem Song einen überraschenden Dreh. Im Refrain geht es dann wieder zu wie immer, die Auflockerung mit eher ungewohnten Mitteln weiß aber sehr zu gefallen. Im schönen four to the floor-Beat rummst es wie weiland "Disco In Moskau".
Damit aber noch nicht genug der Neuerungen. "Auflösen" scheint eine musikalische unplugged-Nachwehe zu sein. Campino und Co. funktionieren auch einmal ganz leise. Hier mit Unterstützung der Schauspielerin Birgit Minichmayr, die den weiblichen Part des Songs übernimmt. Von der Stimmung her ist das ganz großes Tennis. Birgits Stimme klingt sicher gewöhnungsbedürftig und geht dem einen oder anderen eventuell auf den Zeiger, in der Gesamtheit haben die Toten Hosen aber ein wunderbar knuffiges Ballädchen auf Silberling gebannt.
Der aufmerksame Leser wird bemerkt haben, dass bislang noch kein Wort über Suff- und Blödelhymnen gefallen ist. Der schlichte Grund: Es gibt keine. Weder geht eine Leber zugrunde, noch schiebt irgendwer Meeressäuger zurück ins Element. Das mag man bedauern, aber so macht sich eine thematische Stringenz bemerkbar, die das Album von vorne bis hinten durchzieht und "In Aller Stille" zu einem der nachdenklichsten Longplayer der Bandgeschichte macht. Liebe, Tod, Verlust und Ratlosigkeit sind die Klammern, die die Scheibe fest im Griff halten.
Einen der besten Hosen-Songs der letzten Dekade schmuggeln die Düsseldorfer unprätentiös genau in die Mitte der Trackliste. "Ertrinken" bewegt mit einfühlsamen Zeilen, die jeden berühren dürften, der emotional schon einmal die gefühlte Hölle durchlebt hat. Akzentuierte Piano-Klänge unterstreichen die herzzereißende, aber zu keiner Zeit pathetische Stimmung.
"Alles Was War" und Tauschen Gegen Dich" präsentieren sich als absolut runde Kompositionen, die es sich im Spannungsfeld von Indie und abgehangenen Rock gemütlich macht. Die Gitarrenklänge zu Beginn von Ersterem erinnern sogar ein wenig an Manic Street Preachers "Motorcycle Emptiness", was an dieser Stelle als Kompliment verstanden werden darf.
"In Aller Stille" präsentiert sich als Album, dass die Hosen in seiner Gesamtheit ohne Probleme in voller Länge live auf der Bühne zum Besten geben könnten. Die Band scheint sich langsam aber sicher über die selbst gesetzten Grenzen hinweg zu bewegen. Es sind zwar kleine Schritte, die weg von der Erwartbarkeit führen, aber sie scheinen mit Bedacht gewählt zu sein.
So darf man am Ende Campino und seinem Statement ein ganz herzliches "gar nicht wahr!" entgegen schmettern. Die Toten Hosen 2008: emotional und tiefgehend wie schon lange nicht mehr.
74 Kommentare
... die Entscheidung von Campino nicht mehr "Sauflieder für 20 - Jährige" zu machen find ich gut.
In der News steht auch, dass sein Engagement als Schauspieler dazu geführt hat sich mehr mit den Texten zu beschäftigen....
http://www.musik-base.de/news/D/Die-Toten-…
Hört sich ja recht vielversprechend an. Gerade dass der Saufsong diesmal endlich untern Tisch fallen durfte erfreut mein Herz.
kommt demnächst noch ein interview, in dem er dezidiert darauf eingeht. einfach die tage mal die homepage checken.
Mir wäre es auch lieber, ich würde ähnlich empfinden, da ich die Hosen nicht mag. Tatsächlich finde ich die Scheibe aber nach wie vor recht gut. Echt schade.
Sicher nicht das beste Hosen-Album aller Zeiten, aber unglaublich aktuell und verdammt ehrlich.
Schöne Stimmung, gute Kracher dabei, perfekt für die Wahnsinns Konzerte, 4/5.
Haben die Herren eigtl. jemals Pessimist und Leben ist tödlich live gespielt?Für mich mit die stärksten Lieder einer guten Platte.