laut.de-Kritik
Sound gewordener Surrealismus für die Holzfällerhütte.
Review von Benjamin TrollIn Zeiten von zweiminütigen TikTok-Songs erscheint eine Platte wie diese beinahe aus der Zeit gefallen. Keine kleinen, gut verdaulichen Häppchen, sondern fünf ausufernde Werke von mindestens neun Minuten Länge haben Nick DiSalvo und seine Kollegen komponiert. Elders Kreativität hätte in kurzen Songs auch gar keinen Platz. Mit jeweils genügend Ideen für ein komplettes Album bildet jeder Song für sich ein kleines Meisterwerk.
Beim Hören von "Innate Passage" musste ich an eine Begegnung denken, die ich vor Jahren an einem Tresen im norwegischen Bergen hatte. Ich unterhielt mich mit einem Holzfäller, der in einer Hütte in der hinterletzten Provinz wohnte. Meine Frage, ob das im Winter nicht furchtbar einsam sei, beantwortete er damit, dass "eine gute Plattensammlung und guter Rotwein" helfen würden. Ich bin mir sicher, er wird "Innate Passage" lieben.
Elder kombinieren mit fast stoischer Sicherheit grundsolide und stabil vor sich hinbretternde Riffs mit exzessiver Gitarrenarbeit, harmonischen Vocals und spacigen Synthies. Mal minimalistisch, mal ausufernd, aber nie ziellos treibt die Band ihre Lieder voran. Der Opener "Catastasis" gönnt sich einen eher gediegenen Beginn, wird über die gesamte Laufzeit von fast elf Minuten zunehmend komplexer, gewinnt erst an Härte, um dann wieder in sphärische Soundlandschaften abzudriften.
"Endless Return" und "Coalescence" funktionieren nach dem ähnlichen Prinzip. Ganz, als hätten Elder angefangen und dann einfach mal geschaut, wo die Reise hingeht. Der improvisierte Charakter der Lieder gibt dem Album etwas Unvorhersehbares. Die Kontrolle über das Hörerlebnis liegt allein bei der Band und ihrer Musik selbst.
Dass dabei keinesfalls alles gleich klingen muss beweist "Merged In Dreams - Ne Plus Ultra". Mit verträumten Synthies schlägt der Song zunächst den Weg Richtung Prog ein, bis ein Riff die Ruhe durchbricht und die Nummer plötzlich in eine ganz andere Richtung treibt. Immer wieder lassen Elder den Song unverhofft in eine andere Richtung laufen, fangen ihn wieder ein, geben ihm noch neue Ebenen hinzu.
Mal nachdenklich, mal euphorisch, ändern alle Songs zwischendurch gerne einmal die Stimmung. So funktioniert mit "The Purpose" auch Song Nummer fünf. Wenn man dem Album etwas vorwerfen möchte, dann, dass die Tracks nicht so unterscheidbar sind. Den Gesamteindruck stört das aber wenig.
Musik wie diese lädt zum Fallenlassen ein, wenig Wiederkehrendes bietet dem hörenden Ohr Halt. Auf diesen Sound gewordenen Surrealismus kann man sich nur einlassen, man kann nur teilhaben. Ganz, als säße man mit einer Flasche Rotwein in einer Holzfällerhütte im verschneiten Norden und hätte sonst nichts außer dieser Musik.
4 Kommentare
Ganz großartig
Bisher nur einen Track gehört und auf dieser Grundlage das Album auf CD bestellt. Klingt spannend.
Sehr gut. Hat was PT-artiges, aber besser als das letzte Album.
Eventuell sollte man in so einem Review mal darüber nachdenken, was man schreibt. Wie genau kann einem Nicht-Wiederkehrendes Halt geben? Es kann spannend sein oder originell und es kann einen faszinieren, aber es kann eben gerade nicht Halt geben wie ein wiederkehrender Chorus. Dann schreibt der Autor, dass die Songs nie ziellos sein, nur um einen Absatz später zu schreiben, dass die Songs so klängen, als würde die Band einfach mal drauf los improvisieren. Nicht böse sein, aber es wäre schön, wenn Texte auch Sinn ergäben. Ich kann mir schon einigermaßen vorstellen, wohin die Reise bei der Band geht, aber etwas mehr Textdisziplin wäre schön.