laut.de-Kritik

Jede Wartemarke an der Fleischtheke hat mehr Inhalt.

Review von

"Ich schätze es sehr, dass man nur meine Musik kennt, ich aber trotzdem noch unerkannt durch die Straßen laufen kann." Angesichts des neuen Enigma-Albums "The Fall Of A Rebel Angel" kann man Michael Cretu zur popkulturellen Tarnkappe nur gratulieren. Denn viel Freundliches würde den Passanten sicherlich nicht einfallen.

Zugegeben: Das Projekt hat seine Meriten. Dank des Debütalbums "MCMXC A.D." von 1990 gilt Enigma weltweit als Inbegriff des kommerziellen Sakro-Pop. Doch was dereinst als sexy Statement gegen Prüderie funktionierte, eine mönchisch-mystische Clubästhetik erfand und den Zeitgeist definierte, verkam im Laufe von 25 Jahren zum ranzigen Klosterfrau Melissenzombie. Spätestens diese Platte birgt nur noch Schimmelpilz unter der bereits mottenzerfressenen Kutte.

"The Fall Of A Rebel Angel" lädt auf eine philosophische Sinnsuche samt Marquis de Sade und groß angelegter Symbolik ein - internationale Gaststars inklusive. Doch je näher man der Scheibe kommt, desto mehr entpuppt sie sich als Trugbild. Die Story ist nicht ansatzweise der Rede wert. Jede an der Fleischtheke gezogene Wartemarke hat mehr Inhalt. Den großen französischen Denker missbraucht Cretu dazu eiskalt kalkuliert als nützliches Feigenblatt und degradiert ihn zum Stichwortgeber.

Co-Autor Michael Kunze ist ohnehin ein Meister darin, große Stoffe wie Polanskis "Tanz Der Vampire" oder das Leben der K.u.K-Monarchin Elisabeth in gleichnamigen Musicals zu verwässern. Auch hier macht er seinem Hang zur niedersten Musikform seit es Theater gibt alle Ehre. Die Darbietung von Sängerin Anggun transportiert so viel Ausstrahlung, wie es ihr 22. Platz beim 2012er ESC in Aserbaidschan vermuten lässt.

Übrig bleibt Cretus auffallend angestrengter Versuch, seine blechernen Soundscapes ins goldene Ikonenregal neben kreative Könner wie beispielsweise Jean Michel Jarre zu mogeln. Der provinzielle Schuss geht komplett nach hinten los und offenbart ein grachtenbreites Qualitätsgefälle wie zwischen Tiffany's und Kik.

Große Teile der Platte klingen nach dem in Eso-Kreisen beliebten Unterwasser-Effekt. Am Ende der Scheibe weiß man dann: Das Album gehört auch versenkt. Drumherum drapiert der Rumäne immergleichen, ramschigem Trance-Pop und Billig-Ambient.

Die in angedeuteter Terrassendynamik gepushten Melodien sollen geheimnisvolle Spannung aufbauen. Neben den nicht vorhandenen oder höchstens kinderliedhaften Melodien steht sogar manches Schiller-Verbrechen wie großes Songwriting da. Quälender Cher-Effekt, ausgelutschtester Monk-Pop, unpassendes Indianergeheule und die fadenscheinigste Klassikverwurstung seit Bachs Hinscheiden.

Mit "Sadeness (Part II)" reißt Cretu dann restlos alles nieder, was er vor einem Vierteljahrhundert mit dem ersten Teil aufgebaut hat. Während Exfrau Sandra seinerzeit tatsächlich einen Hauch Eros versprühte, reicht es bei Anggun lediglich zu verschnupft-sterilem Geflüster für angetrunkene "Fifty Shades Of Grey"-Vetteln.

Das penetrante Bach-Zitat stellt dazu unfreillig die Frage, wie sehr man sein gebeuteltes Publikum unterschätzt oder hasst. Wie sonst könnte man die jahrzehntelang praktizierte Idee aller Klischee-Gregorianiker begreifen, diesem in Dauerschleife "Toccata & Fuge" rein zu würgen, als ob es kein anderes Klassikstück auf Erden gäbe? Doch mit diesem Rätsel bleibt der verstörte Hörer allein zurück.

Trackliste

  1. 1. Circle Eight
  2. 2. The Omega Point
  3. 3. Diving 3. Diving
  4. 4. The Die Is Cast
  5. 5. Mother
  6. 6. Agnus Dei
  7. 7. Sadeness (Part II)
  8. 8. Lost In Nothingness
  9. 9. Oxygen Red
  10. 10. Confession Of The Mind
  11. 11. Absolvo
  12. 12. Amen

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13 Kommentare mit 27 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    Die Kunst, ein Album, das einem nicht gefällt, zu rezensieren, besteht NICHT darin, mit möglichst vielen absurden, gleichwohl nichtssagenden Worthülsen "Das ist Kacke" zu sagen. Die wahre Kunst besteht darin, das Album vor der Rezension auch zu HÖREN und dann zu schreiben, WAS einem daran nicht gefällt. Das hat Klein Ulfi allerdings nicht geschafft. Vermutlich war er damit überfordert - wobei diese Überforderung wohl grundsätzlicher Natur sein muß, da er nahezu JEDES Album aus dem größeren Ambient-Dunstkreis zerreißt. Dem Künstler, aber auch Klein Ulfi und dem geneigten Leser wäre hingegen mehr gedient, würde der Rezensent auf seine "Bewertung" verzichten - getreu dem Motto "Wenn man keine Ahnung hat ...".

    • Vor 6 Jahren

      "Die wahre Kunst besteht darin, das Album vor der Rezension auch zu HÖREN und dann zu schreiben, "

      Du meinst also, wenn er sich die scheibe tatsächlich auch angehört hätte, hätte er automatisch die einzig wahre meinung über das album, nämlich deine?

    • Vor 6 Jahren

      @mapseromon:
      Wieso - in der Rezi hat Klein Ulfi doch geschrieben, womit er vor allem nicht einverstanden ist. Kinderliedhafte Melodien, ramschiger Trance-Pop, Billig-Ambient, textlich und konzeptionell relativ wenig Substanz, unmotivierte Gäste, in Sachen Songaufbau relativ wenig Abwechslung, Rumreiten auf Autotune-Effekten, das Festhalten an immer dem gleichen klassischen Stück (Bach) etc. - also, er scheint das durchaus gehört zu haben und seinen Stinkefinger hat er meines Erachtens gut begründet. Ich würd' die Gesamtsumme zwar so auch nicht unterschreiben, zumal Enigma schon früher mit "The Screen And The Mirror" deutlich größeren Scheiß abgeliefert hat, aber jeden einzelnen Punkt der Kritik konnte ich zumindest beim Hören des Albums nachvollziehen - wobei ich das aktuelle Dingens jetzt auch schon seit einigen Monaten nicht mehr aus dem Tiefschlaf geholt habe ...
      Und ich bezweifle, daß er jedes Album aus dem größeren Ambient-Dunstkreis zerreißen würde, dazu schätzt er Brian Eno zu sehr.
      Gruß
      Skywise

    • Vor 6 Jahren

      Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 6 Jahren

      Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 6 Jahren

      @paranoid_android: Nein. Ich behaupte nicht, dass meine Meinung die einzig richtige ist. Geschmäcker sind zum Glück verschieden, und entweder mag man dieses Album oder man mag es nicht. Mir ist halt nur aufgefallen, dass er grundsätzlich alles zerreißt, was aus dieser Richtung kommt. Ich habe noch keine einzige positive Rezi von ihm über Enigma oder auch Schiller gelesen, um nur zwei Künstler aus diesem Genre zu nennen. Das und andere Rezensionen lassen den Schluss zu, dass er diesen Musikstil allgemein nicht mag. Einverstanden - nur dann soll er sich um andere Alben/Künstler kümmern und nicht grundsätzlich etwas schlechtmachen, was ihm von vornherein nicht gefällt.
      Nur am Rande: Ich habe selbst schon Musik-Rezis geschrieben, und manches Album, was mir beim ersten Durchhören nicht gefallen hat, habe ich mir dann auch mehrmals angehört, um einen besseren Zugang zu bekommen und dann auch spezifisch beschreiben zu können, WAS mir daran nicht gefiel. So KLINGT es hier auch, doch beim genauen Lesen fällt auf, dass er sich (darauf haben auch schon einige Vorredner hingewiesen) einfach nur leerer Worthülsen bedient hat, um seine Abneigung kundzutun. Professionell ist das nicht.

    • Vor 6 Jahren

      Prinzipiell ist es doch sehr problematisch, verallgemeinernde Aussagen treffen zu wollen (Alles aus Genre X wird verrißen.), wenn die Stichprobengröße mit N = 2 doch sehr zu wünschen übrig lässt, da es nicht unwahrscheinlich ist, dass es dann-insbesondere bei Datensammlung via subjektiver Einzelwahrnehmung-eine Vielzahl von Alternativerklärungen für diese handvoll Beobachtungen gibt. In diesem Fall: Schiller und Enigma sind vielleicht nicht die Helden des new-age Ambient, für die Du sie womöglich hältst.

    • Vor 6 Jahren

      "Mir ist halt nur aufgefallen, dass er grundsätzlich alles zerreißt, was aus dieser Richtung kommt."

      Sein gutes recht!

      "Das und andere Rezensionen lassen den Schluss zu, dass er diesen Musikstil allgemein nicht mag. Einverstanden - nur dann soll er sich um andere Alben/Künstler kümmern und nicht grundsätzlich etwas schlechtmachen, was ihm von vornherein nicht gefällt."

      verstehe, du stehst auf jubelperserrezensionen um dir von dritter seite zu deinem geilen musikgeschmack gratulieren zu lassen. Und wehe, es wagt jemand, die von dir hoch geschätzten künstler nicht so geil zu finden. das wäre dann nämlich unprofessionell!
      dann wird der autor der rezi halt auch mal zu Klein-Ulfi der ohnehin keine ahnung hat.

    • Vor 6 Jahren

      Musik sollte mensch ausschlielich danach auswählen, ob sie gute Kritiken erntet. Dann kommt es auch zu keiner fiesen kognitiven Dissonanz beim Lesen von Kritiken!

  • Vor 6 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.

  • Vor 6 Monaten

    man merkt dass der Autor keine Ahnung von Musik hat