laut.de-Kritik
Bergsteigen gegen den Kapitalismus.
Review von Fabian BroicherEverything Everything haben es ihrem Publikum noch nie leicht gemacht. Eigentlich kaum zu glauben, bei ihrem exaltierten Pop mit tanzbaren Beats. Aber hinter der Eingängigkeit lauern schwermütige Texte, in denen Sänger Jonathan Higgs Themen wie Terrorismus und Depression reflektiert. Auf dem monolithischen wie impulsiven Vorgänger "Raw Data Feel" von 2022 fütterte Higgs eine KI mit den Anmeldebedingungen von LinkedIn und der altertümlichen Heldendichtung "Beowulf". Die Ergebnisse ergänzte er um eigene Fragmente über Einsamkeit in Zeiten der Digitalisierung. Eine bizarre musikalische Spiegelung der Realitäten.
Der Titel verrät es bereits: "Mountainhead" ist konzeptuell wieder ein großer Brocken. Das siebte Album des Quartetts erzählt von einer Gesellschaft, unserer eigenen gar nicht so unähnlich. Unermüdlich schüttet das Volk einen riesigen Berg auf. Die Menschen schaufeln mit Spitzhacken ihr eigenes Grab, während die Mächtigen es sich auf der Spitze des Berges gemütlich machen. Inspiration für seine Kapitalismuskritik fand Jonathan Higgs in den Büchern des britischen Kulturwissenschaftlers Mark Fisher. Und zum Bergsteigen lässt sich die Band aus Manchester Zeit: 14 Tracks, 55 Minuten. Klingt erstmal wie ein mühsamer Aufstieg.
Aber den Songs merkt man diese Anstrengung nicht an. Im Gegenteil: Sie stecken voller eingängiger Pop-Hooks. Durch "R U Happy?" wabern zunächst melancholische Synth-Flächen, die von einem elektronischen Beat und glasklaren Gitarrenlinien abgelöst werden. Lyrisch kratzt der Song an existenziellen Themen, wie es nur guter Pop kann: "Dance in a skeleton way / Pain is a chemical, I / Feel this incredible thing / You are an animal, you are not alone". Eine betörende Mischung aus Leichtigkeit und Tiefgang. Und man gelangt zur Erkenntnis: Der Weg hinauf auf den "Mountainhead" mag emotional aufwühlen, aber wenigstens ist man nicht allein.
Je weiter nach oben man kommt, um so kühler werden die futuristischen Sounds. Gitarrist Alex Robertshaw produziert seine Band zum zweiten Mal, und er tut es mit einer fast mathematischen Nüchternheit. Gleich zu Beginn von "Wild Guess" prescht die Gitarre mit einem einnehmenden Solo nach vorne, bevor der Gesang sie wieder einfängt. Aber Robertshaws kalkulierte Produktion sorgt für Abwechslung: Die Trap-Beats von "Canary" fügen sich harmonisch neben den tanzbaren, hektischen Dance-Pop von "Don't Ask Me To Beg", der im Refrain fordert: "Don't go making me emotional". Zusammengehalten wird das alles von Higgs' flexibler, wandelbarer Stimme: Mal singt er in leidendem Falsett, mal klingt er rau und auffordernd.
Und irgendwann hat man den Aufstieg schließlich geschafft. Spätestens bei "Dagger's Edge": Der Song suhlt sich in Zynismus, begleitet von einem Groove, der Dr. Dre in den Neunzigern gut zu Gesicht gestanden hätte. Dann nimmt er eine unerwartete Wendung und wird monumental. Und wie ein Bergprediger verkündet Higgs: "Your life is not the one you ordered / The customer is always right". Vielleicht führen wir alle nicht das Leben, das wir bestellt haben. Aber die spektakuläre Aussicht von der Spitze des "Mountainhead" entschädigt das allemal.
10 Kommentare mit 25 Antworten
N Fünfer? Für EE? Das Ding (in das ich noch nicht reingehört habe) ist entweder die Reinkarnation von Man Alive, oder in Wahrheit ungehört 1/5.
Dieser Kommentar wurde vor 9 Monaten durch den Autor entfernt.
Reinkarnation von Man Alive haut nach bisherigem Eindruck schon ganz gut hin. In dem Sinne, dass es qualitativ insgesamt eher in der unteren Hälfte der Diskographie liegt, stellenweise noch etwas unausgegoren und identitätssuchend wirkt, aber natürlich beileibe nicht schlecht ist und wie immer viele coole Ideen und ein paar amtliche Banger bietet.
Wie langweilig darf Musik sein?
Jetzt wird hier neuerdings auch noch EE besprochen? So gehen sie dahin, die guten alten Traditionen.
(Un)gehört 5/5, eine der Bands, die seit je in ihrer eigenen Sphäre unterwegs ist, komplett unfickbar.
Aber auch ne 5/5 vom Rezensenten macht die Schmach über die absente Raw Data Feel-Rezi nicht wett. Ich fordere eine Entschuldigung dafür, und auch für die 2/5 für Vespertine, wenn wir scgon dabei sind, und wo bleibt ddr Janes Addiction Meilenstein?? AAARRGHH!
Sorry, kurz in Rage geredet...xhsvchcscv shacbv
Komplett korrekt, was Everything Everything angeht!
Die "Vespertine" hat auf laut 3/5, was natürlich immer noch viel zu lächerlich wenig ist für dieses Meisterwerk aber es halten sich ja Theorien hartnäckig, die besagen, dass das Albung sogar zeitweise nur mit 2/5 bewertet war! Dieser Affrong gefährdete jedoch die strukturelle Integrität der Website zu sehr und um einem Crash des Raum/Zeit-Kontinuums vorzubeugen, wurde dann zumindest doch auf eine 3 hochbewertet, der Affrong blieb jedoch bestehen
Und welches Albung empfiehlst du als Jane's Addiction Einstieg, Schwingo?
Ich glaube, ich habe noch nie einen Song von denen bewusst gehört.
whut, die haben das korrigiert? boah. die war definitiv mal auf 2/5, das hab ich nicht geträumt!
Nothing's Shocking und Ritual de lo Habitual, sind beide meilensteinwürdig. Gib dir mal den Song Three Days, danach weißt du vermutlich ob du mit denen was anfangen kannst, oder nicht.
Hier gehen auf jeden Fall unheimliche Dinge vor sich!
Danke für die Tipps, da höre ich gleich mal rein
und?
Ich war aufgrund von "Mountainhead"-Dauerschleife nicht besonders aufnahmefähig für andere Musik in den letzten Wochen aber vorgestern habe ich mal mit "Ritual De Lo Habitual" angefangen. Mit dem Gesang muss ich aber echt erstmal warmwerden...bisher gefallen mir die Tracks mit einer unheimlichen und mythischen Atmosphäre wie "Three Days" und "Then She Did" seehr gut, die ersten paar Lieder der Platte sind mir gerade noch ein bisschen zu frech von der Stimmung her aber langsam verstehe ich das Albung ein bisschen und es wächst auf jeden Fall
In "Nothing's Shocking" höre ich dann auch mal rein.
Danke, ich wollte mich schon länger mal mit denen beschäftigen!
Das Duo Of Course & Classic Girl, das das Album abschließt, sollte nicht unerwähnt bleiben; ist genau genommen *das* Highlight der Platte. Wie oft ich bei diesen Klängen durch Frankfurt im Sommer gestiefelt bin... hach ♥
frech/flamboyant ist eigentlich Standard JA-Modus, aber dazwischen schleichen sich eben immer wieder existenzielle Brecher - von der Nothings Shocking fallen etwa "Ted just admit it" und "Summertime Rolls" in diese Kategorie - die nicht nur durch seine Durchlaucht D. Navarro, der schon das einzig brauchbare Chili Peppers Album mitverantwortet hat, an unfassbarer Tiefe gewinnen. Perry Farrell (Sänger) macht einfach den Sound...unfassbar. Ich bin von seinem Gesang immer und immer wieder entzückt. ♥
really nice
Aber 4 Sterne hätten‘s auch getan
Kommt hierzu eigentlich noch ne Rez...Moment mal!