Wenn wummernde Bässe aus dem vorbeifahrenden Cabrio dröhnen, sich auf dem Rücksitz Stringtanga tragende Schönheiten unter kalifornischer Sonne räkeln und im Takt schütteln, was sie von ihren Mamas mitbekommen haben - dann haben wir es mit einigen der treffendsten Miami Bass-Klischees zu tun. Nicht nur das Tag Team stellt fest: "Whoomp! There It Is!"
Humorvolle, zuweilen auch recht niveaulose Texte setzen auf explizit sexuelle Inhalte. Obwohl dem Hip Hop-Elektro-Hybrid weithin der künstlerische Anspruch abgesprochen wird, erfreut sich Miami Bass in den 80er und 90er Jahren einiger Beliebtheit. Diese Strömung des Hip Hop nimmt zudem enormen Einfluss auf die Entwicklung von Drum'n'Bass und Southern Rap.
Miami behauptet seinen Platz auf der musikalischen Landkarte der USA bereits, seit sich Ende der 40er Jahre Henry Stone im Süden Floridas niederlässt. Er gründet ein Studio, mehrere Musikverlage und Labels sowie einen Vertrieb. Mit Doo-Wop, Blues, Gospel und Rhythm'n'Blues führt er sein Imperium zu Weltruhm. Später verlagern sich die Schwerpunkte auf Florida-Soul und lassen Einflüsse von den Bahamas und aus der boomenden Disco-Szene erkennen.
Mit dem Ende der Spiegelkugel-Ära sinkt auch der Stern Henry Stones. An den Riesenerfolg, den KC & The Sunshine Band einfahren, reicht man einfach nicht mehr heran. Der Putz bröckelt, der einstige Status ist Geschichte. Miamis Musikszene liegt brach.
Die Rettung kommt mit dem Bass, doch zuvor machen sich elektronische Klänge in den Vorlieben der Konsumenten breit. George Clinton versucht sich am Roboter-Sound der Stunde. Afrika Bambaataas "Planet Rock" macht das versammelte Hip Hop- und Elektro-Publikum gleichzeitig mit Kraftwerk und der neuen Technik des Samplings vertraut. Soul, Funk, Disco, Rap und alles, das unter das schwammige Etikett "Dance-Music" fällt, bestimmen die frühen 80er. Sampler und billige Drumcomputer erleben im Elektro-Funk die erste Blütezeit.
Bis zum Miami Bass ist es nur ein kleiner Schritt, den Produzenten wie Pretty Tony, DXJ (unter zahllosen Pseudonymen) und eine ganze Reihe anderer Zeitgenossen vollziehen. Als "Vater des Miami Bass" wird gelegentlich James McCaules aka Maggatron genannt. Der weist diese Ehre jedoch weit von sich: "Wenn irgendjemand diesen Titel verdient hat, dann ist das Amos Larkin."
Wechseln wir kurz die Szenerie und begeben uns in den Plattenladen Royal Sounds in Ft. Lauderdale. Inhaber Billy Hines betreibt nebenher seit 1984 das Label 4 Sight, das sich hauptsächlich handverlesener Electro- und Rap-Acts aus der näheren Umgebung annimmt. Zum 16. Geburtstag macht Billy seinem Sohn Adrian ein besonderes Geschenk: Studiozeit zur freien Verfügung.
Adrian schnappt sich besagten Amos Larkin, der unter dem Alias Leon Greene agiert. Unter Adrians Künstlernamen MC A.D.E. (will meinen "Adrian Does Everything") schustern sie 1985 den bahnbrechenden Track "Bass Rock Express" zusammen: Auch hier grüßt wieder freundlich Kraftwerks "Trans Europa Express" um die Ecke.
"Bass Rock Express" markiert die Geburtsstunde des Miami Bass. In den folgenden Jahren wird ausgiebig nachgelegt, unter anderem von Rodney O, der 1986 mit "Everlasting Bass" einen Hit landet. Neben wuchtigen Bässen, einem Tempo zwischen 90 und 130 bpm und den charakteristischen 808-Kick-Drums avancieren Cartoon-Melodien zum neuen Trend.
Der "Vater" mag umstritten sein, wer sich jedoch "König des Miami Bass" schimpfen darf, steht außer Frage: Luther Campbell verdient sich diesen Titel auf den Spuren Blowflys mit dem Ghetto-Style seiner 2 Live Crew. Der Schlachtruf "We Want Some Pussy" beschäftigt besorgte Eltern und Gerichte. Frauenverachtende Texte verbinden sich mit der überaus arschkickenden Schlichtheit roher 808-Sounds zu einem explosiv-tanzbaren Gemisch.
Womit wir glücklich bei den Hintern angelangt wären. "Boot The Booty" lenkt 1987 jegliche Aufmerksamkeit auf das weibliche Heck. Titel wie "Shake That Ass Bitch" oder "Shake Your Culo" lassen an Präferenzen und Intentionen keinen Zweifel. Miami Bass wird zu Booty Music.
In den ausgehenden 80er Jahren kehrt der zuvor von gesampleten Scratch-Sounds verdrängte DJ kurzzeitig wieder zurück. Zudem halten Salsa-Klänge Einzug in die Bass-Musik. Die Kombination resultiert in der Spielart Latin Bass. MC A.D.E., DXJ und Pretty Tony bleiben unterdessen ihrer Vorliebe für elektronische und vocoderlastige Sounds treu.
Das Tempo zieht auf bis zu 140 bmp an. Der ohnehin schon ausgeprägte Südstaaten-Slang wird bis nahe an die Unverständlichkeit übertrieben. Big Ace fordert "Shake Watcha Mamma Gave You". Seine DJ-Kollektiv Jam Pony Express macht sich mit Miami Bass-dominierten Hip Hop-Mixtapes einen Namen.
Eine weitere Entwicklung trägt einem unter Männern weit verbreiteten Imponiergehabe Rechnung: dem Protzen mit der Potenz ... der Musikanlage im Auto. Techmaster P.E.B. erkennt, was tagtäglich in den rollenden Stereoanlagen passiert. Deren Besitzer gehen MC- und DJ-Skills vollkommen am viel beschworenen Booty vorbei: Sie suchen verzweifelt nach den basslastigsten Passagen, um die Leistungsfähigkeit ihrer Subwoofer unter Beweis zu stellen. Techmaster P.E.B. versorgt diese Klientel mit einem ganzen Album für ihre Zwecke, das umgehend vergoldet wird. Später springen auch andere auf den Car Audio Bass-Zug auf.
Dieser Trend erlebt nach der Jahrtausendwende noch einmal ein Revival. 2003 setzten Fannypack aus Brooklyn oder UNKLE wieder auf Miami Bass, der sich auch in Deutschland einiger Beliebtheit erfreut. Das Bo legt 2000 mit "Türlich, Türlich (Sicher Dicker)" das Fundament, auf dem noch Jahre später Produzenten wie Frauenarzt Erfolge feiern. In Brasilien entwickelt sich auf den Grundlagen des Miami Bass die florierende Szene des Baile Funk.