laut.de-Kritik

Ein blinder Aborigine erobert die Popcharts.

Review von

Auf der Grundlage einer SWR3-Empfehlung tritt eine Berichterstattung im ZDF die Lawine los. Von 0 auf 1 schießt "Gurrumul" am Folgetag in den Amazon- und iTunes-Charts. Und das, obwohl Geoffrey Gurrumul Yunupingu eigentlich die Nischenohren der Worldmusic-Szene bedient. Wie ist dieser Über-Nacht-Erfolg eines Weltmusikers zu erklären?

Liebe & Friede heißen die Zauberworte, die Gurrumul in zwölf beseelte Songs verwandelt. Den Gesängen der Sirenen gleich, berauscht der sanfte Ausdruck seiner Stimme und seines Gitarrenspiels ab der ersten Note die Sinne der Hörenden; umgarnt sie mit lieblichen Chören und lockt mit anmutigen Melodien auf einem besinnlichen Singer/Songwriter-Gitarrenbett.

Dass derartige Konzepte auf Albumlänge funktionieren, beweist u.a. der singende Surfer Jack Johnson. Die Leichtigkeit, die seine vertonte Lebenslust kennzeichnet, weicht bei Gurrumul einer melancholischen Sehnsucht, wie sie etwa im Saudade, der "seine Seele auf der Zunge trägt", zum Ausdruck kommt. Eine ähnlich wehmütige Leidenschaft verströmen Gurrumuls Lieder.

In "Wiyathul" besingt er den Vogel, dessen Ruf von den Vorfahren der Aborigines und deren (verlorenen) Ländereien erzählt. Andere Liedinhalte drehen sich um die 40.000 Jahre alte Kultur der Aborigines, oder um den Menschen, der im Einklang mit der Natur lebt und nach Glück und Friede strebt und nicht nach Macht und Geld.

Nicht die Asche anzubeten, sondern das Feuer seiner fast untergegangenen Kultur weiterzutragen ist Gurrumuls erklärtes Ziel. Dabei greift er die Tradition seines Volkes auf, auf das geschriebene Wort zu verzichten und Wissenswertes in Liedern und Geschichten zu überliefern. Außerhalb der Texte spiegelt sich dieses Ansinnen in einfachen, sich wiederholenden Melodien und schlichten Harmoniewendungen wider.

Auf die westliche Pop-Moderne trifft dieser traditionelle Ansatz im Gitarrenspiel Gurrumuls in Form eines zurückhaltenden Singer/Songwriter-Playbacks. Diese Verbindung ist es, die die Sehnsucht nach innerem Frieden in die Herzen der stressgeplagten Europäer trägt und zur selben Zeit befriedigt.

Direkt ins emotionale Zentrum zielt das Dutzend auf "Gurrumul", das für manchen auf Dauer etwas einlullend wirken mag. Denn Geoffrey Gurrumul Yunupingus (überzeichnete) Seligkeit und sein betörender Gesang ist nicht jedermanns Sache. Aber es gibt da ja noch die andere Hälfte der Menschheit.

Trackliste

  1. 1. Wiyathul
  2. 2. Djärimirri
  3. 3. Bäpa
  4. 4. Gurumul History (I Was Born Blind)
  5. 5. Marrandil
  6. 6. Marrwurrumburr
  7. 7. Galiku
  8. 8. Baywara
  9. 9. Gäthu Mäwula
  10. 10. Galupa
  11. 11. Wirrparju
  12. 12. Wukun

Weiterlesen

3 Kommentare

  • Vor 15 Jahren

    Könnte es sein, daß bei dir die "überzeichnete Seligkeit" einen 4. Balken verhinderte?
    Wenn dem so wäre: Schande über dich. :D
    Denn deine Worte lesen sich wie ****.
    Ich würde nach mittlerweile einem halben Dutzend Genießerstündchen mit dem Album sogar fast auf ***** gehen.
    Ich war übrigens schneller als Du, wollte auch schon vor Tagen anfragen, ob Du das Ding nicht auch bereits in die Finger bekommen hast. Hat sich natürlich hiermit erledigt. ;)

  • Vor 15 Jahren

    yep jan,

    die Seligkeit hat tatsächlich einen 4. balken verhindert ...
    den radio-edit der single "Wiyathul" finde ich mit knappen 4 minuten spielzeit völlig ausreichend. in den 4 minuten ist m.e. alles gesagt ... die cd-version überspannt da den seligkeits-bogen etwas ...

    so gehts mir eigentlich mit allen stücken ...

    aber das ist nur (m)eine bescheidene meinung ;-)

  • Vor 15 Jahren

    Lass doch einfach mal ein Eimerchen mehr an Se(e)ligkeit an dein Herzilein. :D
    So ganz hinten im Hinterkopf kann ich dir folgen. Aber manchmal kann es auch sein, daß man beim Musikhören gewisser Alben von einer gewissen Gefühlsseligkeit selbst übermannt wird...sowas soll gelegentlich vorkommen. ;)