laut.de-Kritik

Schwermütiges Kraftfutter für die Seele.

Review von

Genesung im Handumdrehen. Ohne Praxisgebühr, ohne eingehendes Arztgespräch, Pillen oder Tabletten. Worte und Töne, lernen wir einmal mehr, sind manchmal die stärkste Medizin. Winterdepressionen weichen der Tatkraft, frei nach Wunderheiler Konstantin Groppers Devise: überschwängliche Melodien pfeifen statt Trübsal blasen.

"Meine Musik mag desillusioniert sein, aber sie soll nicht desillusionieren. Eigentlich will ich nur Musik machen, die von der Norm abweicht, das ist mein Hauptziel." Der Mensch hinter Get Well Soon entstammt einem Dorf irgendwo in Oberschwaben. Er ist klassisch ausgebildeter Multiinstrumentalist, Popakademiker, aber in erster Linie romantischer Melancholiker. Und Gropper macht uns das Herz leichter.

Über drei Jahre lang hat er ganz auf sich gestellt an einem Album geflochten, das dem Kampf ums Goldene Kalb des Räderneuerfindens von Anfang an entsagt. Es zielt nicht auf Progress, es greift zurück: auf die herzerweichenden Trauerballaden des Leonard Cohen. Auf das passionierte Brodeln von Nick Cave. Auf die abgekämpfte Melancholie Thom Yorkes.

In Großbritannien längst gefeierter Emporkömmling mit Glastonbury-Auftritt im Lebenslauf, führt der Mann uns beiläufig vor Augen, dass die Popwelt mit der hiesigen Nachwuchsszene nach wie vor viel zu gnädig ins Gericht geht. "Rest Now, Weary Head!" genügt international zum Spitzen-Qualitätssiegel. Die Platte funkelt, lodert und brennt wie eine scheinbar endlose Lunte aus atemberaubenden und berührenden Momenten.

Die Rede geht vom neuen Conor Oberst - dieses Kompliment greift keinesfalls zu hoch. "Shoot, baby! Shoot, baby, pull the trigger! Fire a bullet, an arrow, or a poisoned dart, baby!", lässt der Crooner im bedrohlichen wie zwingenden Halbseiten-Tango "If This Hat Is Missing I've Gone Hunting" von surrealen Cheerleader-Chants vortragen. Ganz stilecht mit Bandoneon und alarmierenden Trompeten, bis der Song platzt und in ein nokturnes, geradezu weihnachtliches Piano-Akustikgitarren-Lamento verfällt.

Selbstredend bloß, um dann von Radiohead Richtung Shoegazer-Crescendo abzuheben. Alaska und Fegefeuer trennt lediglich eine simple Falltür, ohne dass das hier vor lauter Opulenz zum Ideensammelsurium zu werden droht. Ähnlich symphonisch gingen zuletzt vielleicht nur Trail Of Dead zu Werke.

Barockes Weltuntergangsdrama, fantastisches Abenteuer, Murder Story, Italo-Western, Beirut-Balkanschlager und jede Menge Herzschmerz-Tragödie – Get Well Soon liefern den Score für weltabgewandte Tage vorm emotionalen Heimkino. Schwermütiges Kraftfutter für die Seele, das erst demoralisiert und dann mit einem erbauenden Gefühl von Frühling wieder aufrichtet: "And then the sky cleared up / And everything you said became true to me". Ich lege ich mich schon mal fest: eine der Platten des Jahres.

Trackliste

  1. 1. Prelude
  2. 2. You / Aurora / You / Seaside
  3. 3. Christmas In Adventure Parks
  4. 4. People Magazine Front Cover
  5. 5. If This Hat Is Missing I Have Gone Hunting
  6. 6. Help To Prevent Forest Fires
  7. 7. I Sold My Hands For Food So Please Feed Me
  8. 8. We Are Safe Inside While They Burn Down Our House
  9. 9. Born Slippy Nuxx
  10. 10. Your Endless Dream
  11. 11. Witches! Witches! Rest Now In The Fire
  12. 12. Tick Tack! Goes My Automatic Heart
  13. 13. Lost In The Mountains (Of The Heart)
  14. 14. Coda

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LAUT.DE-PORTRÄT Get Well Soon

Konstantin Gropper ist auf der Flucht vor seiner Vergangenheit. Insbesondere sein Herkunftsort Biberach scheint dem 82er-Jahrgang ungenehm bis peinlich.

38 Kommentare

  • Vor 16 Jahren

    Wahnsinns-Debüt-Album eines genialen Songwriters, anscheinend sogar aus Deutschland, so lässt zumindest der Name Konstantin Gropper vermuten.

    Tracklist:

    1. Prelude
    2. You / Aurora / You / Seaside
    3. Christmas In Adventure Parks
    4. People Magazine Front Cover
    5. If This Hat Is Missing I Have Gone Hunting
    6. Help To Prevent Forest Fires
    7. I Sold My Hands For Food So Please Feed Me
    8. We Are Safe Inside While They Burn Down Our House
    9. Born Slippy (Nuxx)
    10. Your Endless Dream
    11. Witches! Witches! Rest Now In The Fire
    12. Tick Tack! Goes My Automatic Heart
    13. Lost In The Mountains (Of The Heart)
    14. Coda

    "if this hat is missing I have gone hunting" könnt ihr downloaden unter:
    http://www.cityslang.com/media/

    ist aber nicht mein lieblingssong, sondern "You / Aurora / You / Seaside" bzw. das "Prelude"

  • Vor 16 Jahren

    jop er ist aus deutschland. hatte aber zuerst in england erfolg und kommt jetz wohl über den umweg...

    achja...nett nett

  • Vor 16 Jahren

    die habe ich im mai live gesehen, auf einem festival (damals schon als hauptact samstag abends- nach andrew bird!), hat mir wahnsinnig gut gefallen! ich bin mal auf das album gespannt :)