laut.de-Kritik

Große Ambitionen münden leider in zu viel Stückwerk.

Review von

Haken machen es einem wirklich nicht leicht. Mit dem grandiosen Album "The Mountain" hatten sich die Engländer endlich stilistisch freigeschwommen und einen Achtungserfolg erzielt. Klang die Band vorher oft stark nach Dream Theater, fand sie dort ein eigenes Profil und bewies Mut zur Weiterentwicklung. Auf ihrem neuen, vierten Langspieler drehen die Musiker das Rad leider wieder etwas zurück und zitieren alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Man kann das wahlweise putzig oder unoriginell finden.

"Affinity.exe" beginnt mit einem Morse-Code, der vermutlich irgendetwas Schlaues mitzuteilen hat und geht in den ersten Song "Initiate" über. Dort präsentieren sich Haken erstmal in guter Form. Ein wenig Spacerock mischt sich unter ihren Signatursound, der immer noch Progressive Metal heißt. Es deuten sich aber auch schon Elemente an, die später etwas problematisch werden: elektronische Beats und eine wummernde Basslinie aus dem Rechner. Außerdem quäkt Sänger Ross Jennings etwas zu monoton in den höheren Tonlagen vor sich hin.

"1985" läutet dann den fröhlichen Zitierreigen ein. Bereits die ersten Akkorde sind unverkennbar an "Owner Of A Lonely Heart" von Yes angelehnt. Danach geht es soundmäßig kreuz und quer durch die Untiefen der 80er Jahre. Simmons Drums, wirklich? Es gibt Dinge und in unserem Fall Sounds, die sollte man am bestem im musikgeschichtlichen Mülleimer liegen lassen. Man schreckt nicht mal vor den grausigen "Final Countdown"-Keyboards zurück. Auch sonst macht der Song keinen Hehl daraus, welche Bands Haken mögen. King Crimson, Rush, erwähnte Yes, suchen Sie sich was aus. Zugegeben besitzt der Song aber noch genug eigene Note, um nicht als vollständiges Plagiat durchzugehen.

"Lapse" wie auch der Rauswerfer "Bound By Gravity" düdeln etwas ereignislos vor sich hin. Während ersterer dabei immerhin noch ein paar flotte Teile einbaut, langweilt letzterer über die komplette Distanz. Wo sind eigentlich die packenden Melodien hin, die sonst im Dutzend jeden Haken-Song aufwerten? In diesen beiden Songs haben sie sich jedenfalls nicht versteckt. Natürlich, und das gilt für das komplette Album, spielen sich diese Songs auf technisch hohem Niveau ab. Die Engländer beherrschen ihre Instrumente nun mal. Aber das alleine reicht nicht.

Ein Longtrack darf selbstverständlich auch nicht fehlen, die Prog-Fans stehen einfach drauf - und von Bandseite wird ihnen gerne entgegengekommen. "The Architect" breitet in sechszehn Minuten die erwartbaren Stilveränderungen und atmosphärischen Wechsel aus. Jeder, der schon mal einen Longtrack aus dem Prog-Bereich gehört hat, weiß im Vorfeld, was ihn erwartet. Dazu gehört auch etwas schwebendes Tastengesäusel im Mittelteil. Man fragt sich oft, ob Bands das machen, damit die Stücke länger werden. Einen musikalischen Mehrwert nehme ich selten mit. Der Longtrack hat einige gute Sequenzen, haut den Hörer aber auch nicht gerade aus den Socken. Einar Solberg von Leprous als Gast-Röchler macht beispielsweise eine gute Figur.

"Earthrise" hingegen überzeugt von vorne bis hinten. Dieser Song hätte problemlos auf eine der bisherigen Haken-Scheiben gepasst und wäre nicht negativ aufgefallen. Kommen wir also zum schwächsten Song des Albums: "Red Giant". Die Band hatte im Vorfeld angekündigt, dass alle Musiker eigene Ideen einbringen würden. Das Teil hier geht bestimmt auf das Konto des Keyboarders, der mit vielen tollen Soundflächen rumspielen darf. Viel Gewaber, viel Rhythmushackerei, wenig Lied. Der Schlussteil wertet das Stück etwas auf, Haken ziehen das Tempo an.

Und was muss noch in den Mix, wenn man sich als ambitionierte Band versteht, die sich keine stilistischen Grenzen setzt? Richtig, Dubstep. Herr im Himmel. Verständlich, dass sich befähigte Musiker in allen möglichen Richtungen betätigen wollen und eine Menge von Einflüssen ins Boot holen. Aber warum muss es unbedingt eine Stilistik sein, die ihren Höhepunkt längst hinter sich hat und schon heute hoffnungslos überaltert und zeitgeistig klingt? Schade, denn "The Endless Knot" ist bis dahin ein spannendes Stück mit einem packenden Aufbau.

Am Ende bleibt man etwas ratlos zurück. Eigentlich haben die Londoner alles richtig gemacht und viele Zutaten zusammengemischt. Nur für meinen bescheidenen Geschmack leider die falschen. Haken haben schon bessere Melodien geschrieben, ein weiteres Problem. Schlechte Songs im engeren Sinne finden sich auch auf "Affinity" keine, dafür aber einiges an Stückwerk und enttäuschendere Teile. Das Album besitzt trotz erkennbarer Ambition nicht viel, das wirklich aufhorchen lässt. Vielleicht war die Erwartungshaltung nach "The Mountain" zu hoch. Auch die "Restoration"-EP konnte mich nur begrenzt überzeugen.

Trackliste

  1. 1. affinity.exe
  2. 2. Initiate
  3. 3. 1985
  4. 4. Lapse
  5. 5. The Architect
  6. 6. Earthrise
  7. 7. Red Giant
  8. 8. The Endless Knot
  9. 9. Bound By Gravity

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7 Kommentare mit 2 Antworten

  • Vor 8 Jahren

    Mal wieder etwas zu schlecht bewertet hier (wie auch schon die Long Distance Calling) .. sicher nicht die Überplatte wie The Mountain .. aber immer noch weit weit besser als so viele CDs!!!

  • Vor 8 Jahren

    Mein Gott, welches Album habt ihr denn gehört?! Die flankierenden Yes- und 80er Zitate sind lediglich Gimmicks in wunderbaren Progsongs. Auf tolle Melodien, filigrane Übergänge und unfassbar gute Musikerleistungen wird gar nicht eingegangen. Habe die Scheibe jetzt ca. 50x gehört und finde sie vom Level "The Mountain" absolut ebenbürtig.

  • Vor 7 Jahren

    ich kannte Haken bis zu dieser Review und dem Tip eines Freundes nicht (welch Fehler!). Während "The Mountain" mich sofort restlos überzeugt, bin ich bei diesem Album noch unschlüssig. V.a. die Stimme (z.b. auf Initiate und Endless Knot) enttäusch doch ziemlich im Vergleich zum Vorgänger-Album (Cockroach King!!! Paredolia!!!). "The Architect" ist allerdings ein tolles Teil!
    Und, Mann: "elektronische Beats und eine wummernde Basslinie aus dem Rechner" als Kritikpunkt... echt jetzt? 2016 und noch immer ein dumpfer Impuls "Elektronik = böse"? C'mon...!