laut.de-Kritik
Der ganz normale, großartige Schwindel des Pop-Geschäfts.
Review von Hardy FunkGab das ein Gezeter, als die Fans der Sex Pistols Anno 1980 lernen mussten, dass ihre verehrte Band nur ein "Great Rock'n'Roll Swindle" gewesen war, dass die bahnbrechende Punk-Band zum Großteil von ihrem Manager Malcom McLaren erfunden war. Nun legt Hans Unstern seinen "Great Hans Unstern Swindle" vor, nachdem er im Vorfeld mit Videos von einem rasierten Schlager-Typen namens Hansi Stern und einer Pressekonferenz mit blauer, gegelter Frisur schon Verwirrung gesorgt hat.
Auf dem Plattencover verbirgt sich hinter vorgehaltenen Händen nun aber doch der langhaarige, bärtige Hans Unstern, den man kennt. Und auch von seiner Musik hat er den Rasierer gelassen. Der große Schwindel ist also gar kein Schwindel, oder vielmehr: der große Schwindel ist der ganz normale Schwindel des Pop-Geschäfts, in dem natürlich immer die am meisten lügen, die am vehementesten behaupten, ehrlich zu sein.
Mit der Offenlegung seiner Künstlichkeit ist Unstern paradoxerweise also ehrlicher als der ganze Rest der deutschen Singer/Songwriter-Zunft von Clueso bis Philipp Poisel. Dafür meint er sich entschuldigen zu müssen: "Ich schäme mich/ Für mich schämen sich sogar/ Die Läuse auf den Tomaten fremd / Beim Hören meiner laut markierten Zeilen" beginnt Unstern in "Ich Schäme Mich" das Album. Allerdings feiert er das sich Schämen auch mit "Yeah"-Chören, untermalt von einer Mundtrommel und einer volkstümlichen Tuba. Was für ein frisches und lustiges Lied! Bleibt bloß die Frage, warum sich immer die falschen schämen und nicht eventuell einmal all die Casting-Show-Juroren und Dschungelcamp-Kandidaten dieser Welt.
Bei "Entweder & Oder" befinden wir uns dann wieder in der sperrigen Unstern-Welt, wie wir sie kennen und lieben. ADHS-Percussion und nervöses Hummelschwarmgebrumme, Unstern mal sirenenhaft singend, mal zornig sprechend. Musik, die man unmöglich nebenbei hören kann, die vielmehr in ihrer Widerborstigkeit verlangt, dass man sich darauf einlässt und hinhört. Als Belohnung erkennt man dann vielleicht die Schönheit und das Drängende der Songs und den Reichtum der so sprunghaften wie bezugreichen Texte.
Auch wenn er schon auf dem letzten Album ein ganzes Einzelhandelsgeschäft voller Instrumente aufgefahren hat, klingt Unstern diesmal noch abwechslungsreicher: In "Mit Schwarzen Lippen Sitzen Wir Hinten" erzeugt ein hart angeschlagenes Klavier eine beunruhigende Stimmung. "Ergiebig Und Erschwinglich" beginnt mit einem einminütigen Harmonium-Intro und endet mit Akkordeon- und Glockenspielklängen. In "Unbenannte Datei" spricht eine Kinderstimme zu spannungsgeladenen Zupfklängen einer Violine, die auch schlicht ein Nylon-Faden sein könnte. Denn in der Tradition des Avantgarde-Komponisten Harry Partch spielt Unstern auch auf "The Great Hans Unstern Swindle" selbst gebaute Instrumente. Darauf folgt der fast ausschließlich mit Gitarre vorgetragene Delta-Blues "Hülle", danach das ebenso reduzierte, countryesk angehauchte "Posterboy". Das von einer tribalistischen Trommel getragene "Bea Criminal" beschließt das Album.
Die assoziativen Texte zu interpretieren, wäre müsig. Eins zu eins is' hier eh nicht und jeder Hörer wird sich etwas eigenes aus dem Gesungenen und Gesprochenen nehmen können. Unstern stellt mit seinen Wörtern aber die gleiche Unruhe und Hin- und Hergerissenheit dar, die auch die Musik oft auszeichnet. Und Unstern arbeitet weiterhin daran, sich selbst in Auseinandersetzung mit der Gesellschaft und der eigenen Geschichte zu ergründen.
Es geht ihm darum, seine Identität zu bewahren bzw. zu erschaffen: "Ich such' die Teile zusammen, die nicht passen/ Ich stell' mir vor, ich bau mich zusammen" heißt es in "Entweder&Oder". Er sucht einen Wesenskern, der kein Schwindel ist, und fällt doch nur von einer Hülle in die nächste Hülle: "Ich spiele niemandem was vor/ Ich bin völlig von der Rolle/ Es fällt Hülle um Hülle um Hülle" ("Hülle"). Natürlich geht es dabei auch um Zwischenmenschliches, "Ich reiß' dich in meine letzte Strophe" singt er in "Posterboy". Auch das mißlingt allerdings tragisch: "Du versinkst vor meinen Augen/ hab' deine Perücke in der Hand".
Letztendlich hätte es gar keinen Unterschied gemacht, wäre auf dem Cover doch das blond- bzw. blauhaarige Kurzhaarschnitt-Alter Ego Unsterns zu erkennen gewesen. Denn schon bei seiner ersten Platte "Kratz dich Raus" war klar, dass der Punk-Singer/Songwriter eher Johnny Rotten als Sid Vicious ist. Zwar betrat er als bärtiger Waldschrat die Bühne, komplett mit Straßenmusiker-Vergangenheit und abenteuerlicher Europa-Reise in der Hinterhand. Die sperrige Musik und die eckigen Texte seines Debüts schienen direkt mit seinem kratzigen Bart zu korrespondieren.
Und doch kamen die Lieder schon damals zu schlau und reflektiert daher, um nur 'authentischer' Hobo-Erfahrungsbericht zu sein. Auch diesmal singt Unstern Sachen wie "Und dann ein Lied drüber machen" ("Ich Schäme Mich") und baut damit den Blick hinter die Oberfläche in seine Songs mit ein. Hans Unstern war und ist ein Schwindel, genau wie Popmusik immer ein Schwindel war, und das Leben sowieso.
3 Kommentare
Bestimmt 5 jahre habe ich nichts mehr von und über hans unstern gehört.
ungewöhnlich,anspruchsvoll,ehrlich - nichts von der stange. es imponiert mir, was der herr b sich da erarbeitet hat - ohne die herkömmliche maschinerie.
viel glück !
Yeah, im Vorchecking großmäulig gefordert und einen Tag später bedient - so hält man alte Liebe frisch...
Habe der Rezi nur die uneingeschränkte Kaufempfehlung für Fans exaltierter deutscher Verbalakrobatik hinzuzufügen.
bzw. extra für die üblichen Verdächtigen an Board eines von drölftausend guten Zitaten der Platte:
"Klaut dieses Album nicht online, klaut es im Kaufhaus!"