laut.de-Kritik
Eindruck schinden in Ruhrkultur.
Review von Anastasia HartleibMit Fortsetzungen ist es immer so eine Sache. Keiner weiß, ob man das heißgeliebte Stück Pop-Kultur wirklich noch einmal in der zweiten Runde sehen will. Meistens scheiterts an der Umsetzung, so richtig glücklich ist keiner. Wer wissen möchte, wie man diese Gratwanderung meistert, schenke seine Aufmerksamkeit fortan Hinz & Kunz.
Das Duo aus Dortmund, Verzeihung, Krupplyn hatte mit seinem Debüt vor gut drei Jahren bereits ein wunderbar anzuhörendes Stückchen Deutschrap vorgelegt. Auch jetzt, mit dem Nachfolger namens "Aus Allen Wolken (Im Eifer Des Geschwätz Pt. II)", besinnen sich Elsta und Flip Ferocious aka Moses erneut auf ihre Talente.
Ganz abgesehen davon, dass das Cover zu "Aus Allen Wolken" bereits ein Kunstwerk für sich darstellt und zum stundenlangen Anstarren einlädt, bietet es doch ein ziemlich passendes Bild für den derzeitigen Gemütszustand: Die Welt steht Kopf, brennt noch dazu, aber irgendwie ist es ganz schön, dabei zuzuschauen. So weit, so Corona.
Widmen wir uns lieber den Beats. Dass es sich bei "Aus Allen Wolken" um eine waschechte Platte aus dem Ruhrgebiet handelt, bemerkt bereits, wer einen Blick in die Credits wirft: Produziert hat die Scheibe zum Großteil das ebenfalls aus Krupplyn City stammende Duo Orange Field (verantwortlich für Lakmanns "Fear Of A Wack Planet"). Auch Prezidents Haus- & Hofproduzent Jay Baez steuerte mit "Cumbodscha", "Somalia" und "Klinisch Tot" ein paar Produktionen bei. Die Kamikazes zeichnen für "Aus Allen Wolken", "Glaspaläste" und "Stricke" verantwortlich.
Obwohl hier einige Köche am Brei beteiligt waren, besticht das Endprodukt mit eine stimmigen, aber trotzdem abwechslungsreichen Atmosphäre. Die Produktionen siedeln sich größtenteils im Boombap an, unternehmen hier und da aber auch Syntheziser-Exkurse und leihen sich bei der Generation Cloudrap ein paar Trap-Snares aus. Die Samples machen Spaß, changieren zwischen wohlig warm und düster melancholisch.
Am meisten stechen dann aber doch die Kamikaze-Produktionen heraus, die mit ihren unzähligen Ebenen und Wendungen manchmal eher an einen Kafka-Roman erinnern als an einen Hip Hop-Beat. Aber auch Jay Beaz' dezent psychedelisches "Klinisch Tot" kann sich durchaus hören lassen.
... und dann sind dann ja auch noch Elsta und Flip, die mit der genau richtigen Mischung aus Selbstironie, Hänger-Attitüde, Gesellschaftskritik, Weltschmerz und kernigem Pottlertum ordentlich "Eindruck Schänden". Mit "'nem Zinken für 'ne Kokskarriere" verpackt Flip "auch die schäbigste Binsenweisheit noch auf prächtig in 'nem Ballkleid", während Elsta sich "vor recht Fertigen rechtfertigen" muss und "hinten rechts inner Russenhocke" das Geschehen beobachtet.
Die beiden schwimmen von humorigen Punchlines zu den eigenen Versagensängsten. "Zwischen Sehnsucht und Realitätsflucht, gut so und geht so / zwischen future und retro tun wir so, als hätten wir's im Griff". Dazwischen blitzt immer wieder das kalte Feuer der Sozialkritik: "Höher, weiter, schneller, besser, schöner Schein, schnelles Cash / all die selben Muster / sie glauben weiter felsenfest dran / es geht vom Tellerwäscher zum Millionär in die grellen Lichter, zurück in die Kellerlöcher ab hinter die Zellengitter / tot-gefeiert, tot-designt bis auf's rohe Fleisch allein im Schein des Mondes / Hinz & Kunz - endlich vogelfrei!"
Bei all den gut unterhaltenden Lines möchte man sogar bei dem, nett ausgedrückt, etwas 'ungeschickten' Annäherungsversuch in "Türkischer Vogel (LAH)" an das weibliche Geschlecht beide Augen ganz fest zudrücken. Zwar liefern Orange Field einen wirklich smoothen Beat, aber, sind wir ehrlich: Mit "Lass' dich vom Hocker hauen Püppchen, heute kriegste locker aus der Hüfte" schießt sich auch der talentierteste Vogel aus dem Rennen.
Vernünftigerweise drücken Hinz & Kunz daher dann auch lieber Prezi den "Mottek" in die Hand (für alle nicht Pottler: Mottek bedeutet so viel wie Vorschlaghammer) und zerreißen mit Kamikaze-Bruder Mythos noch ein paar "Stricke", bevor sie sich selbst für "Klinisch Tot" erklären.
"Aus Allen Wolken" stellt einen würdigen Nachfolger für "Im Eifer Des Geschwätz" dar. Die beiden Dortmunder machen genau dort weiter, wo sie das Mic vor drei Jahren gedroppt haben, ohne dabei den Blick nach vorne zu vergessen. Bleibt nur zu hoffen, dass Elstas Androhung sich auch bewahrheitet: "Noch mit 70 geb ich's dir mit Beat und Siegel, solang' die Quellen noch nicht versiegt sind, lass' ich's knallen!"
1 Kommentar
Klang nach dem ersten Hören schon sehr gut. Die Beats klingen super und vor allem sehr eigenständig und beide können rappen. Der Bärtige sowieso, aber auch Elsta, mit dem ich stimmlich immer meine Probleme hatte, geht mir besser rein als je zuvor.
Taugt schonmal besser als das Pöbel Album.