Porträt

laut.de-Biographie

Kamikazes

"Ich leiste mir die Außenseite." Weit entfernt von Ruhmsucht und gespielter Attitüde gibt es da im Tal der Wupper zwei Kamikaze-Brüder, bescheiden und gleichermaßen impertinent in ihrem Glauben an alles, das sie vom Rest der Welt trennt: "Was unterscheidet uns bei ähnlicher Bekleidung? Alles und noch mehr, das ist ehrlich meine Meinung."

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In der wütenden Akzeptanz der eigenen Ohnmacht stehen sie als Antagonist und Mythos auf jeden Fall immer auf der anderen Seite als du: "Du bist das Gegenteil von mir und das ist alles, was du bleibst."

Ihre Lines bewegen sich "im Schatten der Stadt", spucken in die Untiefen der Wuppertaler Rinnsteine und kratzen an den Oberflächen der menschlichen Seele: "Das hier ist dreckig und schmucklos." Warum du die nicht kennst? Tja: "Unentdeckt unter Deck schmeckt der Dreck so lecker."

Mit zwei Jahren Altersunterschied teilen die Brüder bereits zu Grundschulzeiten nicht nur ihr Musikinteresse, sondern auch den Herzschmerz: "Damals saßen wir im Kinderzimmer und brüllten unsere selbstgeschriebenen Liebeslieder durch die Gegend, mit der musikalischen Untermalung von Trommeln auf Keksdosen und Klampfen auf einer Ukulele." Die Entwicklung der menschlichen Psyche ist gnadenlos, der Herzschmerz wächst sich zum Weltschmerz aus.

Die musikalische Wendung hin zum Hip Hop kommt mit der Jahrtausendwende. Zunächst inspiriert von der Hamburger Szene um Dynamite Deluxe, Die Beginner und Eins Zwo, später angezogen vom dreckigen Sound von KKS und MOR, verbringen die Brüder die folgenden Jahre im Wesentlichen damit, gemeinsam um die Häuser zu ziehen: "Skateboard fahren, Rumrappen, Abhängen."

Die ersten Tracks entstehen nach eigenen Angaben aus "unfassbar billigen selbstgemachten Beats und eigenen, zum Großteil ebenfalls billigen Texten". Um dem, das sie tun, einen adäquaten Namen zu geben, nennen sie sich ab da Kamikaze-Brothers.

Als Schlüsselereignis ihrer Biografie betrachten die beiden das Treffen mit dem Wuppertaler Rapmeister im Schwergewicht, Prezident, der zu dieser Zeit mit dem Cousin der Kamikazes eine Stufe besucht. Benannter Cousin war schon damals als DJ des Running Irie Soundsystems im Bereich Reggae/Dancehall tätig. Während einer weedgeschwängerten Freestylesession in dessen Hause trifft Antagonist Prezident erstmals zwischen 2001 und 2002. Er war direkt begeistert von dessen Skills.

Die erste gebrannte Prezident-CD mit sagenumwobenen ganzen zwei Tracks läuft in der folgenden Zeit rauf und runter. Die Brüder suchen wiederholt Kontakt zu Prezident, der sie daraufhin unter seine Fittiche nimmt: "Er gab uns immer mal wieder Beats ab und ließ uns bei sich aufnehmen, wobei er keinen Hehl draus machte, dass er die Resultate eher scheiße fand."

Kamikazes - Hohes Fest
Kamikazes Hohes Fest
"Und sie sagt noch, mach dich locker, aber ich leg' nie den Kopf ab."
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Ab 2007 fruchten die Bemühungen aber, musikalisch wie textlich. Eine Auslese aus Tracks, die in den nächsten zwei Jahren entstehen, findet 2009 ihren Platz auf dem Debütalbum "Besser Zu Viel Als Zu Wenig". Schwankend zwischen Mitleid und Schadenfreude belächeln die Kamikazes die Profilneurosen der Menschheit, um im selben Atemzug die eigenen mit jeder Punchline durch die Köpfe zu jagen:

"Du machst dich nicht schmutzig, du machst mich nicht stutzig, ich mach', was ich muss, nicht aus Absicht oder Lust, ich hab' es nötig." Das hier ist größenwahnsinnige Selbstzerfleischung. "18 Jahre und noch nichts für die Unsterblichkeit getan." Das hier ist Kamikaze.

Bereits 2008 zieht Antagonist nach Frankfurt zum Studieren um, sein Bruder Mythos folgt ihm ein Jahr später. Eng verbunden mit der Wuppertaler Basis, pendeln die Brüder zwischen ihrer Heimatstadt und Frankfurt und bewegen sich musikalisch in den folgenden Jahren ebenfalls fast ausschließlich im Dunstkreis ihrer "Wupperclass", vorrangig bestehend aus Prezident, Eks und Hop und Lokikkz. Die personifizierte Ausnahme, die sie für das eine oder andere Feature heran ziehen, bildet der Frankfurter Ali B.

In der Zwischenzeit forcieren sie die musikalische Zusammenarbeit mit Prezident. Die Kamikazes tauchen vermehrt auf dessen Tracks auf. Anfang 2012 spielen die drei gemeinsam mit den Antilopen eine Minitour durch Deutschland. Ab diesem Zeitpunkt gehören die beiden Brüder zum festen Inventar auf jedem Prezident-Gig.

2011 veröffentlichen sie als Kamikazes ihre "Königsmische", das ehrliche Bekenntnis eines resignierenden Desinteresses: "Ich krieg' meinen Arsch noch grad' so hoch, um kräftig drauf zu scheißen.": die hängeschultrige Kampfansage an ein Leben auf Raten, vergilbte Gardinen, Raop und pseudointellektuelles Studentengequatsche. "Du bist so leblos emo, so reglos retro, du kriegst 'ne Zehn auf meiner Geht-so-Skala, Partner" - ein tiefes Inhalieren der Erkenntnis, dort zumindest nicht hinzugehören.

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Über Prezident, Untergrund, Befreiung - und diesen Typen Rap.

Im Frühjahr 2014 erscheint das Album "Kleiner Vogel". Der zwitschert: Das hier ist die selbsternannte Liga der Außenseite. Das hier ist die "einsame Spitze", "von euch da unten einfach nicht mehr sichtbar." Es ist außerdem erst der Anfang.

So furchtbar einsam erscheint die "einsame Spitze" dann gar nicht. Jedenfalls stehen die Kamikazes nicht alleine da. Davon kündet 2015 eine Kollaboration mit - klar! - Prezident: "Leiden Oder Langeweile". Für Prezidents Album "Limbus" liefern Antagonist und Mythos wesentliche Teile der Produktion.

Mit einem weiteren Bruder im Geiste resultiert die Zusammenarbeit zunächst im höchst treffend "Letzte Lover" betitelten Track. Der bleibt nicht die einzige Frucht der Kollaboration mit Degenhardt: 2016 legen die drei mit "Krahter" gemeinsam nach.

Auch, wenn viele sie noch immer so wahrnehmen, empfinden sich die Kamikazes keineswegs als eine Art Anhängsel Prezidents. Dennoch: Schritte aus seinem langen Schatten heraus erscheinen angebracht. Einer davon führt 2016 zur Gründung eines eigenen Labels. Das zeigt schon mit seinem Namen, wo sich die Kamikaze-Brüder ungebrochen verorten: da nämlich, wo oben ist. Es heißt Die einsame Spitze.

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Kamikazes - Hohes Fest: Album-Cover
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2023 Hohes Fest

Kritik von Dominik Lippe

"Und sie sagt noch, mach dich locker, aber ich leg' nie den Kopf ab." (0 Kommentare)

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