laut.de-Kritik
Schwelbrand hinter misanthropischer Fassade.
Review von Dani Fromm"Naja." Mit dem ersten Wort, das Prezident in die Runde raunzt, sagt er schon alles. Die ganze, aus tiefstem Herzen quellende Abneigung gegen die Seelenlosigkeit der Generation Irgendwas-mit-Medien spricht daraus, und zugleich das Wissen, dass das Ziel des Spotts im Grunde noch nicht einmal den Spott wert ist.
Eigentlich is' es doch egal, alles läppisches Theater. Was sollte man über die, die sich "erst totstellen, dann sterben, dann weiter totstellen", über einen "Autor bei der Vice oder YouTuber, irgendwas Würdeloses", auf jeden Fall, "irgendwas mit Cordhose", auch groß weiter sagen, als "naja"?
"Wer noch was mitbekommt, ist kein Teil davon." Upps! Wo die Percussion hergekommen ist, die urplötzlich im schrappigen Beat herumklappert, als sei sie von Beginn an dagewesen, hab' ich schon einmal nicht mitbekommen. Hab' mich wohl von den Lyrics ablenken lassen, nichts gemerkt, hilfe: "Keiner merkt was. Sonst wärs ja die Hölle. Aber is' nur der Limbus."
Prezident braucht höchstens eine halbe Tracklänge, um seine Hörerschaft zu greifen und in seine von Whiskey-Schwaden durchzogene Welt zu zerren. Bei "Knapp 9000 M Tief Im Köhlerliesl" hängt, wer sich auf ihn eingelassen hat, längst blutend neben ihm im Stacheldraht. Klebrige Zuckerwatte lässt er denen, die den Zugang zum gewohnt wenig rosigen Wuppertaler Wunderland nicht finden. Oder gar nicht finden wollen: Halligalli gibts dort nämlich nur stark eingeschränkt.
Klar kann Prezident auch den "Fressfeind" raushängen lassen und, Genetikk-Diss inklusive, richtig draufhauen. Insbesondere, wenn er in Gesellschaft der Kamikaze-Brüder antritt, erscheint die Forderung "Mach' ein Fass auf für uns" wie ein hochgradig angemessener Vorgehens-Vorschlag, um dem Hoodiewetter im Bergischen Land zu trotzen. "Man muss die Götzen feiern, wie sie fallen. Warum nicht uns, jetzt gleich, in diesen Hallen?" Spontan fällt mir da jedenfalls kein brauchbares Gegenargument ein.
Der andere Featuregast, Absztrakkt, wirkt im staubigen, reduzierten, extrem wirkungsvollen Setup von "Prometheus" ebenfalls wie zu Hause. Den Rest der Spielzeit kommt Prezident aber bestens alleine klar. "Eigenliebe ist die halbe Miete, hier im Niemandsland." "Schon viel zu lange viel zu alt für den Scheiß", grenzt er sich gegen die ab, die er (treffend) als "Teleshopping-Rapper" schmäht.
Prezident suhlt sich in Nihilismus. "Wir leben und wir sterben, irgendwann ist eben Schluss." Um die Schwelbrände hinter der misanthropischen Fassade nicht zu bemerken, müsste man die Augen aber schon ganz schön feste zukneifen. Alltägliches Einerlei ohne Exzess, ohne Opfer, ohne Wunden, abstumpfen, lauwarm auskühlen, was auch immer "Halb So Wild" finden, reicht diesem Mann eben genau nicht, und diejenigen, die glauben, das Hamsterrad biete ausreichend Lebensraum, sind ihm herzlich gleichgültig.
Für Smalltalk und Höflichkeiten ist er ohnehin nicht der Typ. Prezident trägt, Fotzibärstyle, "Zornesfalte von der Stirn bis zum Steiß", dazu das Herz auf der Zunge, ja, lecker, "wie Belag", erklärt im Vorüberschlurfen, warum Desillusioniertsein gar nicht der übelste Bewusstseinszustand ist, und lässt dann auch noch gleich gar nicht mal so freundlich wissen, wo man sich seinen Likedaumen hinstecken kann.
Ebendort lege man auch gleich seine Erwartungen an gängige Songstrukturen ab. Konventionelle Vers-Hook-Vers-Hook-Abfolgen finden sich in diesem "Limbus" eher selten, so die Tracks denn überhaupt nennenswerte Hooklines aufbieten. Der Doppelschlag "Dr. Eisenstirn | Kaffee Hilft" braucht derlei zum Beispiel überhaupt nicht, sondern setzt stattdessen auf kontinuierliche Steigerung.
Vieles bleibt schwer greifbar, knistert und schrappt am Ohr vorbei. Verwehte, verdrehte, verzerrte Loops und Gesangssamples, Akustikgitarren, Streicher und Drums ergeben verquaste Kulissen, in die man sich bedenkenlos fallen lassen kann, "bis ganz auf den Grund". Vorausgesetzt, man hat sich eine Spur Restvertrauen, Wahnsinn oder beides bewahrt.
Dann gerät die rabenschwarze Nacht zum angenehm sanften Ruhekissen, auf dem es sich bequem angesoffen herumlümmeln und das Geschehen beäugen und kommentieren lässt. Meist verächtlich, versteht sich. Ein bisschen Selbstreflektion gehört aber auch dazu: "Bring' deine Schwächen schön zur Geltung / Lass' die falschen Entscheidungen wie von selbst kommen." Nur zu! Erfahrungsgemäß beschert einem der Scheiß, zu dem man sich so hinreißen lässt, immer noch die lohnendsten Erfahrungen.
14 Kommentare mit 17 Antworten
genius album schöne seitenhebe gegen genetikk/Fressfeind und Lappisches Theater sind absolute anspieltips
Total überzeugt. ich finde es sogar noch stimmiger als sein schon starker Vorgänger. Klangbild diesmal mehr nach meinem Geschmack. Schlüssiger. Artwork eher mau. Lieblingssong: "Halb so wild".
Interessant, dass dein Lieblingslied ausgerechnet eines ist, in dem es u.a. um ein Thema geht, das deine Lieblingsrapperkinder erst in so 10-15 Jahren besprechen koennen.
Traum: Was Glaubt Die Welt Denn, Wer Sie Ist?
Jaaap!
War auf der Arbeit und musste mich kurz halten
Kam bei den Vorgängern nie so ganz auf die Stimme klar, aber dieses Mal ist der Rest einfach so geil, dass es trotzdem passt. Zum Glück hab ich doch noch reingehört, bisher im Rapbereich AOTY für mich.
Hammer 4/5
Nachdem ich mich vor ein paar Monaten wieder aus meiner Prezident-Übersättigung herausgetraut hatte, muss ich sagen: Er hat endlich Mal wieder abgeliefert.
Auf jeden Fall Top 5 der letzten beiden Deutschrapjahre.