laut.de-Kritik
Von der Wüste über die Skyline in den Fahrstuhl.
Review von Dominik KalusMit seinem neuen Soloalbum wagt Alternative Country-Rocker und Giant Sand-Mastermind Howe Gelb den Weg in jazzige Gefilde. Auf diese Reise begleiten ihn nur Kontrabass und dezente Percussions – er selbst sitzt am Klavier.
Der selbstbewusste Titel "Future Standards" ist dabei nicht zufällig gewählt: "Dies ist mein Versuch, Tracks zu schreiben, die die Zeiten überdauern könnten", sagt Gelb über die Scheibe. Vorbilder seien Komponisten wie Cole Porter und Hoagy Carmichael gewesen, die Lieder für als Frank Sinatra oder Billie Holiday schrieben. Ziemlich große Schuhe, die sich Mr. Gelb da anziehen will. Vor allem, weil er selbst kein typischer, ausgebildeter Sänger ist. Aber lassen wir uns von dem PR-Satz mal nicht verunsichern!
Der Opener "Terribly So" katapultiert uns sogleich in den nächtlichen Big Apple des 20. Jahrhunderts. Wir finden uns in irgendeiner halbleeren Hotelbar, es ist zwei Uhr in der Nacht und die Band kommt auf die Bühne. Kontrabass und Schlagzeug machen den Anfang, dann setzen Klavierakkorde ein, und schließlich Howe Gelbs Gesang. "When will the loving heart slender let it go? Maybe the lonely, maybe them only, will ever gonna get to know". Sound, Flair und Arrangement passen wunderbar.
Ganz groß ist vor allem die Stimme des 60-Jährigen. Teilweise gehaucht, teilweise gesungen, teilweise gesprochen. Lou Reed lässt grüßen. Aus Gelbs sonorem Bass klingt die ganze Reife und Lebenserfahrung eines Mannes, der die Welt gesehen, Frauen geheiratet und Kinder großgezogen hat. Wie er da über Liebe, Beziehungen und das Leben singt, ohne Wehmut aber mit einem leisen Seufzen, das ist ziemlich ergreifend. Ab und an überlässt er das Mikrofon der Folksängerin Lonna Kelley, die auch schon auf dem letzten Giant Sand Album vertreten war. Auch hier wieder: Das Konzept ist rund, die beiden Stimmen fügen sich sehr gut zusammen.
Viel Abwechslung gibts aber nicht. "Owning It" fällt ein wenig temporeicher aus und bietet ein Gitarrensolo, die anderen Tracks sind ruhig und gleichförmig. Die Qualität nimmt leider mit fortlaufender Spielzeit ab. Gegen Ende sind wir dann nicht mehr in der Bar des Hotels, sondern im Fahrstuhl. Trotzdem bietet die Platte zeitlose, zurückgefahrene Songs und ein stimmiges Konzept. Die beiden ersten Tracks "Terribly So" und "Irresponsible Lovers" sollten auf jeden Fall auch in Zukunft noch gehört werden.
Aber das vielleicht besser nicht auf Youtube: Das Musikvideo zu "Terribly So" zeigt nämlich nicht das vor Leben und Verheißungen sprühende nächtliche New York, nach dem das Album klingt, sondern Howe Gelbs staubige Heimat: Die karge Wüste Arizonas. Mein Kandidat für das unpassendste Musikvideo dieses Jahr.
1 Kommentar
Gutes Album, solide aber nicht weltbewegend. Gefällt mir aber. 3,5/5