laut.de-Kritik

Der Shakespeare unserer Zeit kommt aus South London.

Review von

Macht, Verantwortung und Spiritualität. Dass Dave in seinen erzählerischen Songtexten große Themen behandelt, ist nichts Neues für die Szene, aber in diesem Album zeigt er sich noch reifer und nachdenklicher als bisher.

"The Boy Who Played The Harp" ist ein ehrliches, tief emotionales Album mit spirituellen und gesellschaftlichen Themen. Das Konzept ist um die biblische Figur "David" aufgebaut. Im Alten Testament (Buch Samuel) steht Geschichte vom Hirten David, der den gequälten König Saul beruhigt, in dem er für ihn die Harfe spielt. Später wird David sogar selbst zum König. Rapper Dave, der mit gebürtigem Namen David heißt, erkennt sich selbst in der Rolle der biblischen Figur, wo Musik, Stimme und Einfluss etwas bewirken können - und gleichzeitig eine Last darstellen. Genau davon handelt diese LP und trieft zudem von der lyrischen Versiertheit für die Dave so bekannt ist.

Der Sound der Tracks zeichnet sich durch Streicher-Arrangements, Klavier-Melodien und sanfte, filmische Harmonien aus. Passend zum biblischen Konzept finden sich Gospel-Elemente und Chorpassagen, sowie Harfen-ähnliche Zupfinstrumente. Trotzdem wurden weiche UK-Drill-Drums eingesetzt, wodurch er seinen Ursprüngen treu bleibt. Auch Daves Flow bleibt wie bei bisherigen Projekten eher erzählerisch, statt aggressiv und setzt sich aus fast spoken-word-artigen Teilen zusammen.

Schon beim letzte Album "We're All Alone In This Together" arbeitete der UK-Rapper mit dem Produzenten und Sänger James Blake zusammen. Nun eröffnen sie gemeinsam die neue Platte mit "History". Dave reflektiert über seine Erfolge - macht aber deutlich, dass er noch lange nicht am Ende seiner Karriere ist: "I give a fuck about success if it ain't successive, that ain't (history)." Dave will Geschichte schreiben und ist überzeugt von sich selbst. Wenn man bedenkt, wo er angefangen hat, wirkt seine Mentalität bemerkenswert, statt zynisch oder undankbar.

175 Monate. So lang befindet sich Daves Bruder bereits in Haft. Auf dem Track "175 Months" führt der Rapper ein intensives Gespräch mit Gott. Der Titel kann als Anspielung auf die verlorene Zeit mit oder von seinem Bruder verstanden werden. Ein Thema, das ihn zum Nachdenken anregt. Dave fragt sich, was er bisher gelernt hat, was er mit seiner Zeit gemacht hat und wie er sie in Zukunft nutzen will. Er reflektiert über seine christliche Kindheit, das Abkommen vom Glaube und den Versuch zu Gott zurückzufinden. "Can I pray?", ist die eindrücklichste Line des Tracks und definiert das Thema: Dave fragt Gott, ob er sich nach allem noch an ihn wenden darf.

Auf "Chapter 16" erzählt Dave zusammen mit UK-Legende Kano, wie sich das Leben mit dem Durchbruch verändert. Es ist, als würde man einem Gespräch zweier Rapper lauschen, die sich über Erfolg und damit einhergehende Verantwortung austauschen. Kanos Frage "Will they remember me Dave?", hittet anders, wenn man weiß, dass Kano lange Zeit Daves Idol war. Die Line zeigt, dass sich auch die Größten fragen, ob irgendwas vom Erfolg bleiben wird. Wegen der Chit-Chat Struktur macht der Song trotz der ernsten Themen unheimlich Spaß anzuhören.

Für Abwechslung sorgt der Song "Raindance" mit UK-Sängerin Tems. Ein Lovesong, zu dem man die Füße nicht still halten kann, weil er so vibey ist. Diese Stimmung ist auf "The Boy Who Played The Harp" aber die Ausnahme, denn es geht ernst weiter. "My 27th Birthday" macht klar, auch einer der lyrisch begabtesten Rapper hat Schwierigkeiten zu erklären, wie grausam diese Welt sein kann - dennoch gelingt es ihm.

Der emotionalste Song ist "Fairchild". Gemeinsam mit Nicole Blakk thematisiert Dave toxische Männlichkeit, Sexismus bis hin zu sexualisierter Gewalt und Femizide. Dieser Track ist nichts für schwache Nerven. Es beginnt mit Daves Erzählung einer typischen Club-Situation und geht über in Nicole Blakks Schilderung einer Vergewaltigung auf dem Heimweg. Der Einsatz Blakks Stimme, die Details, der Aufbau im Instrumental, all das lädt die Story so emotional auf, dass es kaum auszuhalten ist. Sie schildert Momente, die viele Frauen kennen: "A five-minute walk home feeling like five miles". Das macht deutlich, dass es Jede treffen kann. Im Anschluss daran zeigt die Line "Danger doesn't look like no killer in a mask", dass es Tätern nicht anzusehen sei, wozu sie fähig sind. Dave steigt mit ein, wodurch der Text noch mehr Ausdruck bekommt und an den Track "Both Sides Of A Smile" vom letzten Album erinnert. Zum Ende stellt sich der Rapper selbst erneut in Frage: "Am I one of them? The men of the past, who catcalled or spoke in bars?" Wenige Rapper mit einem solchen Bekanntheitsgrad nutzen ihre Plattform so intensiv zum Zwecke der Aufklärung gesellschaftlicher Probleme und stehen dabei noch so für ihre eigenen Fehler gerade. Mehr davon.

Dave fragt auf diesem Album nach Richtig oder Falsch, und verweist auf Gut und Böse. Er fragt sich wie er in entscheidenden Momenten handeln wird und was er in der Vergangenheit besser hätte machen können. Dave unterscheidet sich von anderen Rappern, indem er nicht einfach sagt, dass er der King ist, sondern sich fragt, ob er King sein kann, ob er dem gerecht werden würde, und wenn ja, wie. Er beweist wieder mal, warum er einer der besten Texter ist, bleibt sich selbst und seinem Stil treu, will seine Geschichte aber weiterschreiben. Das hat er mit "The Boy Who Played The Harp" definitiv geschafft.

Trackliste

  1. 1. History
  2. 2. 175 Months
  3. 3. No Weapons
  4. 4. Chapter 16
  5. 5. Raindance
  6. 6. Selfish
  7. 7. My 27th Birthday
  8. 8. Marvellous
  9. 9. Fairchild
  10. 10. The Boy Who Played The Harp

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