laut.de-Kritik

Die beste Platte der Heavy-Legenden aus den 90ern.

Review von

Mit Artikeln über Iron Maidens Klassiker ist es wie mit Käse auf der Pizza: Es kann nie genug davon geben. Denn der Katalog der Metaller verdient eine Würdigung jenseits des eingeschränkten Blickwinkels der 80er und 90er. Umso besser, dass die womöglich beste Heavy Metal-Band aller Zeiten hierfür Gelegenheit bietet. "The Studio Collection - Remastered" enthält, aufgeteilt auf mehrere Sets zu je vier bis fünf Scheiben, alle Studioplatten als neu gemastertes Digipack. Die dritte Folge hält nun ein besonderes Kleinod parat.

Neben den kaum erwähnenswerten Scheidungsplatten "The X Factor" und "Virtual XI" sowie dem fulminanten Comeback "Brave New World" erscheint mit "Fear Of The Dark" ein Album, dem zu seiner Geburtsstunde anno 1992 kaum Gerechtigkeit widerfuhr. Einschlägige Metal-Gazetten und Mainstream-Fachblätter verbuchten es damals als mediokre Maiden-Scheibe unter vielen. Die Hörer hingegen hatten einen besseren Instinkt.

Heute gilt "FOTD" als Klassiker und ihr bestes Album der 90er. Zu Recht! Zwar befand sich Adrian Smith gerade nicht an Bord. Er kehrte erst zu "Brave New World" zurück. Doch Bruce Dickinson und Gitarrist Janick Gers profilierten sich langsam aber sicher als Songwriter. Hauptkomponist Steve Harris war ebenfalls in Hochform.

Dass sie die Platte lediglich mit zwei statt üblicher drei Gitarreros einspielten, hört man dem Ergebnis nicht an - ein Verdienst der Producer-Legende Martin Birch, einer der besten Rock-Produzenten der Musikgeschichte. Black Sabbaths "Heaven And Hell" hat er ebenso auf dem Kerbholz, wie Blue Öyster Cults "Fire Of Unknown Origin", alle essentiellen Werke von Deep Purple, Rainbow sowie die frühen Fleetwood Mac. Maidens Sound prägte er von "Killers" bis zu dieser Scheibe.

Es empfiehlt sich sehr, das aktuelle Remaster, gemixt 2015, mit der Originalversion plus der ersten Neuabmischung von 1998 zu vergleichen. Wer gewissenhaft vorgeht, kommt zu dem Schluss, dass die vorliegende Edition klanglich allen anderen Varianten überlegen ist. Kristallklar, druckvoll, präzise und dynamisch unterstreicht das Klangbild die jeweilige Komposition, wobei schnelle bzw. hymnische Passagen und entsprechende Tracks wie "Be Quick Or Be Dead", "The Fugitive" oder "From Here To Eternity" besonders profitieren.

Einfallsreichtum, prägnante Hooks und intensive Melodien gehen gelegentlich mit experimentellen Ansätzen wie in "Fear Is The Key" zusammen. Letzteres punktet auch mit tiefgründigeren Zeilen jenseits des Stereotyps. So reflektiert Dickinson etwa die sexuelle Verunsicherung im AIDS-Zeitalter. "Childhood's End" offenbart eine weitere oft übersehene Eigenschaft der eisernen Jungfrauen: Das typisch britische Songwriterelement stellt ihre melodischen Gitarrenläufe in eine alte und Genre-unabhängige Tradition. In Aufbau und Ästhetik sind Maiden schon immer näher bei Vaughan Williams oder Mike Oldfields guten Momenten als jede andere Metalband.

Jene Verwandschaft hört man auch den intensiven Stücken "Wasting Love" und "Afraid To Shoot Strangers" an. Es sind Maidens tatsächlich ersten Powerballaden. Besonders das Antikriegslied "Afraid" zählt zum Besten, was Harris je geschrieben hat. Ganz groß, wie der lethargische Beginn die Ausweglosigkeit des Soldaten illustriert: Nach knapp drei Minuten nimmt einen das wunderschöne Gitarrensolo von Dave Murray gefangen. Das Stück steigert sich mit Gers' Einstieg und wilden Trommeln in kriegerischen Wahnsinn hinein, den Dickinsons fatalistischer Zwischenruf pointiert. Zum Ende gleitet der Song wieder in melodische Fahrwasser zurück. Schon allein dieser Geniestreich verdient einen Ehrenplatz im ewigen Tower of Metal.

"I am a man who walks alone. And when I'm walking a dark road, At night or strolling through the park." Wer nun glaubt, "Afraid" sei nicht zu übertrumpfen, macht die Rechnung ohne den Titeltrack. "Fear Of The Dark" packt Lovecraf-Atmosphäre in phobischen Zeilen aus und schraubt sich zum hochmelodischen, kraftvollen Drama empor: Explosiver Spannungsbogen und Mitsingtauglichkeit machten das Stück von Beginn an zum absoluten Publikumsliebings. Gleichgültig, auf welchem Kontinent sie spielen: Jeder kennt den Text und singt aus Leibeskräften bis zur Gänsehaut mit. "Fear of the dark! Fear of the dark!
I have a constant fear that something's always near.
"

Der Stellenwert dieses Übersongs zeigt sich eben bei den Gigs. Neben "Number Of The Beast" findet es sich als einziges Maiden-Stück auf jeder nach 1992 erschienenen Liveplatte. Für Einsteiger bietet der Track den perfekten Anspieltipp, um die eigene Maiden-Kompatibilität auszutesten. "Fear of the dark! Fear of the dark! I have a phobia that someone's always there."

Trackliste

  1. 1. Be Quick Or Be Dead
  2. 2. From Here To Eternity
  3. 3. Afraid To Shoot Strangers
  4. 4. Fear Is The Key
  5. 5. Childhood's End
  6. 6. Wasting Love
  7. 7. The Fugitive
  8. 8. Chains Of Misery
  9. 9. The Apparition
  10. 10. Judas Be My Guide
  11. 11. Weekend Warrior
  12. 12. Fear Of The Dark

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16 Kommentare mit 51 Antworten

  • Vor 5 Jahren

    Meines Erachtens sogar eines der besten Maiden-Alben überhaupt, aber das mag auch daran liegen dass es eines meiner ersten war...das Mädel was mich entjungferte (no pun intended) war nicht unbedingt die beste Sex-Partnerin, aber trotzdem bleibt sie in bester Erinnerung

  • Vor 5 Jahren

    Ich gehöre zu der Minderheit, die die Sachen mit Paul Di'Anno bevorzugt. Nichts gegen Bruce, aber mit ihm fingen Maiden an, operettenhaft zu werden. Mit so Sachen wie "Hallowed Be Thy Name", "Rime of the Ancient Mariner" usw. kann ich nix anfangan. Ich finde Maiden immer dann am besten, wenn sie geradlinig rocken.

    FOTD finde ich eine der besseren Scheiben mit Bruce. "Be Quick Or Be Dead" ist für Maiden-Verhältnisse recht hart, dann gibt es diese einfachen Hardrocker wie "From Here to Eternity" und "Weekend Warrior", die herausstechen.
    Der Titeltrack weiß mir auch zu gefallen. Ja, diese Maiden-Operettenhaftigkeit ist schon da, aber hier find ich's erträglich.

    Wie üblich bei den meisten Maiden-Platten (außer den ersten beiden), gibt es mindestens einen Stinkertrack. "Judas Be My Guide", ein echt lahmer Rohrkrepierer.

    "Peace of Mind" und ein andere Maiden-Platten mit Bruce habe ich längst weggegeben. Bei mir tun's die ersten beiden Scheiben, "Best of The Beast" und ein paar ausgesuchte andere Tracks. Es hat aber seine Gründe, dass ich FOTD behalten habe.

  • Vor 5 Jahren

    meine erste Maiden Scheibe halte ich nach wie vor für die beste, weil sie durchgehend gute Songs bietet: Powerslave

  • Vor 5 Jahren

    In den 90ern hatten Iron Maiden fast nur gute Alben, zum Beispiel March Ör Die, Bastards und Overnight Sensation. Oh, warte...

  • Vor 5 Jahren

    Das neue Remaster ist den älteren CD-Versionen auf gar keinen Fall überlegen, wie hier der Rezensent schreibt. Dazu braucht man nur die DR (Dynamic Range)-Werte mal vergleichen:
    1992 DR 15
    1998 Remaster DR 9
    2019 Remaster DR 6
    Ich fand schon die 1998er Remasters nicht so toll, aber das 2019er Loudness Wars Remaster ist mit dieser extremen Kompression dafür ausgelegt, dass es auf Billigequipment noch einigermaßen druckvoll klingt, auf einer halbwegs guten Anlage wird es jedoch ungenießbar sein.
    Ich empfehle jeden, der die alten Maiden Alben noch nicht hat, sich die originalen 80er und frühen 90er CDs gebraucht zu kaufen, da habt ihr mehr davon.

  • Vor 2 Monaten

    Bin absolut kein Iron-Maiden-Fan, aber „Afraid To Shoot Strangers“ und auch „Empire Of The Clouds“ vom Album „The Book of Souls“ sind schon geniale heavy Progrock-Perlen.