laut.de-Kritik

Ein Spiegel der deutschen Schreibtischseele.

Review von

Die Lyrics auf "Plan A" wirken wie aus Projekt-Meetings, wofür bereits die Formulierung "Plan A" beispielhaft steht. Johannes Oerding handelt Trennung, Selbstzweifel und Pläneschmieden ab. Die Art, wie er das tut, füllt jeden Song mit Piefigkeit aus. "Unter uns kein Netz, nur Boden / Doch uns kann gar nichts passier'n / Denn das Ziel ist klar, und den Weg, den finden wir schon." Eine Grundregel der CD lautet: Je platter die Formulierung, desto öfter wird sie wiederholt wie ein Mantra. Dafür kommt eine betuliche Schicht Background-Gesang mit ins Spiel, täuscht Harmonie und Zusammenhalt vor.

Anders als etwa Stefanie Heinzmann verarbeitet Oerding mit seinem motivationspsychologischen Workshop keine privaten seelischen Leiden, sondern bietet ihn für die Allgemeinheit zum Mitmachen auf Platte an. Jede Person soll sich wieder finden können. Dafür sind die Melodien unspektakulär, die Instrumentierungen ein willkürlich wirkendes Pathos-Poprock-Einerlei und die Texte phrasenhaft. Identifizieren kann man sich indes nicht, sobald man beim Hören den Kopf einschaltet.

Schade ist dabei nicht nur das Ungreifbare an den Laber-Lyrics und bedeutungsschwangeren Allgemeinplätzen im schrill bunten Deutschpop-Mantel. Die Wortwahl entbehrt jeder Poesie und klingt nach Flipchart. "Beim in-die-Arme-Laufen / stehen wir uns oft im Weg", erfahren wir in "Vielleicht", einem halbwegs brauchbaren Tune, der genauso nett wie seicht ist. Die Metaphern funktionieren selten, trotz unzähliger Versuche in allen Tracks. Kostproben: "Und wenn ich manchmal nicht gut drauf bin, trinke ich 'ne Flasche Nostalgie / doch nich' mit einem wein'nden Auge". Von schiefen geht es zu verkehrten Bildern: "Solang wir immer schneller rennen als jeder Regen". Und manches wirkt einfach hölzern: "Und wenn das Leben dir ein Bein stellt / bin ich die Hand, die dich dann hoch zieht." Zum Mitsingen eignet sich das alles nicht. "Der Kopf is voll / doch wir ha'm uns leer gequatscht", so heißt es in "Ecke Schmilinsky" und meint wohl zutreffend die Platte. Am Ende hat man viel Lärm im Kopf, und der Sänger hat seinen Wort-Bausteinkasten leer geräumt, bis wie im Scrabble keine passenden Buchstaben mehr übrig waren.

Wer sich alles anhört, bekommt ein bisschen Bendzko-Philosophie in erwachsen, Stefanie Kloß-Betroffenheit in männlich und Adel Tawil-Pseudo-Souligkeit in abgespeckter Dosis - weniger seifig, mindestens genauso ungelenk. Oerding hat nichts mitzuteilen, reproduziert sein Image als braver-Schwiegersohn-Typ. "Aus meinem Jetzt will ich auch nicht weg / und ich freu mich, was in Zukunft ist" (aus "Schnee Von Gestern"): Solche Sätze sondert man entweder ab, wenn man Kanzler*in ist oder ein 'Assessment-Center' bei einer Versicherung durchläuft.

Hier findet auch kein emotionales Musizieren statt, sondern die plangemäße Ausführung einer Topliner-Performer-Workflow-Kette. Das muss nicht schlimm sein: Schon Carole King verfasste Lieder am Fließband für die Schnulzen-Maschinerie, bevor sie zu einer der größten Singer-Songwriterinnen aufstieg. Doch sogar ihre plattesten Auftrags-Outputs besaßen originelle Momente. Hier hingegen herrscht maximales Recycling alter Musikströmungen auf generischen Instrumentierungen. Insoweit kann man gar keine Musik im engeren Sinne bewerten, eher industrielles Sounddesign.

Die Gesangsleistung kräuselt Trommelfelle. Alleine das Auseinanderziehen des "a-a-a-a-a-a-aaah" in "Plaaa-a-a-a-a-ahn" und "wir haben uns verfaaaaaa-aaaa-aaaahn" gehört mit einer Einladung zum bayerischen Wirtschaftsminister Oiwongo a.k.a. Aiwanger bestraft, der bekanntlich kein A sprechen kann. Stimmlich geht Oerding in Ordnung, solange die Silben nicht auf lange Noten fallen - oder er nicht zu hoch singen muss. Auch kein Geld für einen echten und guten Schlagzeuger hatte man offenbar bei "Stärker", wo "The Voice Of Germany"-Ex-Kandidatin Zeynep Avci eine Plattform bekommt und zu orientalisch angehauchten Harmonien Schmalz raus posaunt. "Ich glaube, es gibt nicht viele deutsch-türkische Duette", überlegt Oerding, und gerade deswegen hätte dieses Lied einen besseren Sound verdient.

"Ecke Schmilinsky" überzeugt zumindest musikalisch in Teesy-Style ein bisschen mehr - mit einer Geschichte übers Nachtleben auf der Reeperbahn. Den Versuch, Stevie Wonder-Grooves mit deutschem Text nachzuahmen, kann man mal hinnehmen. Die Wortfolgen lassen zwar jegliche Folgerichtigkeit in der Story missen. Aber Oerding übertüncht das damit, dass der Held des Songs eh stockbesoffen ist. Demnach muss es sich um Kunst handeln. Zeilen wie "Denn das Atmen konnte warten" und "Du hast irgendwas mit mi-hir gemacht / denn es hat / in meiner Brust nicht mehr im Takt geklatscht / in dieser blau verqualmten Nacht" schicken wir besser zu Marianne, Michael und Andy Borg. An der "Ecke Schmilinsky" leuchtet immerhin eine Laterne.

Für mehr Erhellung sorgen allenfalls ein "Feuerwerk im Juni" (in "Kaleidoskop") und die Flammen, in denen "die Träume bis zum Hals" stehen. Ähm, what?! Die Träume. Stehen. Bis zum Hals. In Flammen. Das muss man sacken lassen. Hier handelt es sich um inkohärente neurotische Intentions-Logorrhoe, und wer diese Sonderkunstform nicht feiert, hat wahrscheinlich einfach den am Strand gedrehten Videoclip nicht gesehen.

"Ein viel zu großer Asteroid schlägt mitten rein ins Paradies" heißt es zu verblödenden Holzhammer-Beats. Gepresste "i"- und "oi"-Laute in "i-hirgendwann" und "ho-i-eute" ziehen auf Beutefang im Schlager-Lager, aber per Andeutung machen sie auch ein bisschen hilflos auf Deutsch-Soul. Ohne dass Rhythmus und Zweck-Gitarre dazu passen.

"Eins-zu-eins-Gespräch" wählt die Variante Kindheitserinnerung mit Spoken Word und Klavier. Entfernt fühlt man sich an Max Herre erinnert und an Majans Trennungslied "Es Geht Mir Gut". Auch Oerdings Ich-Erzähler bekennt "mir geht's gut", um ein Gespräch mit seinem Papa zu ersetzen und ihm für seine Erziehung zu danken. Die unrealistische Aufgeregtheit mit Celine Dion-Hysterie in der Stimme zerstört jeden Rest-Vibe, der in dem artifiziellen Pop-Kalkül steckt.

Es geht immer noch schlimmer: "Porzellan" ist ein liebloses Stück Geräuschkulisse. "Santa Fu" hämmert Text und Musik so gewaltsam ins Ohr wie schrille Werbung. Übertrieben dick trägt "Diese Stadt Ist Einsam Ohne Dich" auf. "Schnee Von Gestern" beruht auf einem Riff von Bryan Adams und lobt Fettes Brot, gleichwohl es als schmissiger Griff in die Folkpunk-Kiste durchaus eine kleine Überraschung in dem ganzen Einerlei darstellt. "Was Wäre Wenn" versumpft als gnadenloser Schlager-Dancepop mit Proll-Ballermann-House-Beats und mit Referenz auf Nenas "99 Luftballons". Die Klavierballaden "Bis Der Himmel Uns Bestellt" und "Vielleicht" sind dagegen fast wieder Lichtblicke.

Diese Selbstsuche-Themen 20-Jähriger, behandelt von einem 40-Jährigen, hätten mit dem Zwang zum rhetorischen Kompromiss, hinter dem kein Inhalt wartet, gut zur GroKo-Ära gepasst. Frohsinn, Zuversicht und Selbstbestätigung sollen hier nachdenklich und Nachdenklichkeit, Zukunftsangst und Selbstzweifel fröhlich wirken. Die Musik rundherum ist noch nicht mal eingängig, obwohl sie simple Strukturen wählt. Einfach gestrickte deutschsprachige Musik gab's auch früher, klar. Aber bei Jürgen Drews, Gunter Gabriel und Konsorten wusste man, was sie mit ihren Worten meinen. Fürs 'Land der Dichter und Denker' erscheint "Plan A" als peinliche Platte, deren vorhersehbarer Charts-Erfolg fremdschämen lässt.

Trackliste

  1. 1. Kaleidoskop
  2. 2. Porzellan
  3. 3. Plan A
  4. 4. Stärker
  5. 5. Was Wäre Wenn
  6. 6. Ecke Schmilinsky
  7. 7. Eins-zu-eins-Gespräch
  8. 8. Vielleicht
  9. 9. Schnee Von Gestern
  10. 10. Diese Stadt Ist Einsam Ohne Dich
  11. 11. Santa Fu
  12. 12. Bis Der Himmel Uns Bestellt

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13 Kommentare mit 15 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    Einfach nur Müll. Dichter und Denker? Sehr viele gibt es scheinbar nicht mehr in der deutschen Pop Musik oder man enthält sie uns vor.

    • Vor 2 Jahren

      Ist halt die Frage, was man als Popmusik definiert. Wenn man den Begriff weiter fasst, gibt es mit Francesco Wilkin, Dota, Lary, Nina Cuba, etc. einiges an guter Musik.

      Ich würde es fast umgekehrt sagen: Dadurch, dass es in Deutschland wenig eigenständige Bands gibt, ist gut gemachte Popmusik hier beinahe das höchste der Gefühle.

      Das mag natürlich auch an mir liegen, aber ich kenne andersrum wenig Genre-Musik aus Deutschland, die ich hören würde, wenn ich die Texte nicht verstehen könnte.

    • Vor 2 Jahren

      Auf lokaler Ebene gibt es in einigen Städten überaus viele großartige Bands in einer prall gefüllten und weit gedehnten Bandbreite von Folk, Psychedelic, Retro Classic Rock, jazzigen Sachen, Underground Hip Hop und auch in weirdesten eigenständigen Stilmixturen usw, ob auf Englisch oder Deutsch getextet (oder Türkisch, usw).

      Nicht alle haben das Glück wie Oerding als Support Act von Joe Cockers Abschiedstournee gebucht zu werden und national bekannt zu werden.

      Gegen deine Definition finde ich nichts einzuwenden, Lary ist zB völlig underrated und hat live was drauf.

    • Vor 2 Jahren

      Ich war und bin Fan von Udo Jürgens, Udo Lindenberg, Reinhard May und vielen mehr. Kraftwerk find ich auch Klasse. Ich mags wenn jemand mit seinen Texte etwas zu sagen oder erzählen hat und nicht so nen Rabarbar wie ausm Poesiealbum. Ich hör mir mal einiges durch was hier erwähnt wurde.

    • Vor 2 Jahren

      Mey, nicht May.

    • Vor 2 Jahren

      Yep. Schreibfehler meinerseits. Danke.

  • Vor 2 Jahren

    Ist bestimmt alles ganz schreckliche Musik (hab noch nie einen Song von ihm gehört), aber hat der Rezensent seine Kritik im Ausguck eines Segelschiffs verfasst oder warum disst er ausgerechnet Schreibtische?

  • Vor 2 Jahren

    Menschen, die solche Musik konsumieren und diese dann ernsthaft für gut befinden, haben sich ihre Häme verdient.

  • Vor einem Jahr

    Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.

  • Vor einem Jahr

    Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.

  • Vor einem Jahr

    Johannes Oerding hat am 19.05. den Paul Lincke Ring erhalten. Mit diesem Preis werden Musiker ausgezeichnet, die sich Im besonderen Maße um die deutsche Unterhaltungsmusik verdient gemacht haben. Zu den bisherigen Preistraegern gehören unter anderem Peter Maffay, Udo Lindenberg, Wolfgang Niedecken, Clueso, Silbermond und Ina Mueller. Die naechste Preistraegerin ist Annett Louisian.
    Johannes Oerding stehe fuer poetische und auch manchmal nachdenkliche Texte so die Stadt Goslar.
    Er ist ein sympathischer Künstler mit authentischen, emotionalen Texten und einem feinen Gefühl für die deutsche Sprache", sagte Goslars Oberbürgermeisterin Urte Schwerdtner (SPD)