laut.de-Kritik

Der alte Mann covert die Beatles, NIN und Depeche Mode.

Review von

Johnny Cash covert "Personal Jesus" von Depeche Mode. Minuten saß ich wie gelähmt vor dem Monitor, als diese Nachricht vor ein paar Monaten die Runde machte. (Kollege Friedrich erging es mit Nine Inch Nails genauso). Der echte Cowboy covert also die Möchtegern-Cowboys. Wie geil ist das denn? Verdammt geil, wie ich mittlerweile weiß. Hätte man mir damals noch geflüstert, dass Mister John Frusciante dazu die Gitarre zupft, hätte ich vermutlich einen Flug nach Nashville gebucht, um dem Meister des Tiefton-Vortrags vom Vorgarten aus "Happiness Is You" entgegen zu singen.

Dies ist meinem Geldbeutel erspart geblieben, nicht aber Cashs neues Album in der Vinyl-Ausgabe, das den Bonustrack "Big Iron" enthält. Denn in den vergangenen zwei Jahren schien es, als verbrächte Johnny mehr Zeit im Krankenhaus als zuhause, vom Aufnahmestudio ganz zu schweigen. Doch Rick Rubin sei Dank. Der HipHop-Producer, der Cash 1994 mit der ersten "American Recording"-Platte aus dem Country-Niemandsland heraus hievte, wachte erneut als Produzent über dessen akustische Anekdoten über Liebe, Trauer, Schmerz und Religion. Brüchig klingt seine Stimme auf dem Opener "The Man Comes Around", einem der vier Songs aus des Meisters Feder. Durch einen Verzerrer spricht er die ersten Worte auf sein Album. Er klingt rastlos und erweckt so beim Hörer das beklemmende Gefühl eines nahenden Abschieds.

Aber zuerst kommt der alte Mann nochmal vorbei, spricht noch einmal, versucht seine Geschichte in einer neuen Form ein letztes Mal zu erzählen. Der Auftakt gerät sogleich lebendig, Cash steigert sich hinein in einen furiosen Refrain, seine Stimme scheint sich die Kraft über die phrasierten Anschläge an der Akustikgitarre zurück zu holen. Weiter geht es mit "Hurt", dem intimsten Moment im musikalischen Schaffen von Nine Inch Nails, das Cash wie kein Zweiter behutsam für seine Zwecke entfremdet. Wenn er im tiefsten Bariton zur selbstreflexiven Frage "What have I become?" ansetzt, wagt man nicht zu glauben, dass diese Zeilen von einem 28-jährigen Jungspund verfasst wurden.

Beatles-Organist Billy Preston sitzt beim erwähnten "Personal Jesus" am Bar Piano und auch von Beck und R.E.M. lieh sich Cash erfahrene Musiker aus. Zweifellos ein Highlight ist Stings "Hung My Head", das in seiner textlichen Lonesome Rider-Thematik so nah an Cashs Oeuvre ist, als hätte der Brite es extra für die noch immer glaubhafteste Stimme der Verdammten komponiert.

Zusammen mit Fiona Apple vergreift sich Cash an Paul Simons Altersvorsorge "Bridge Over Troubled Water", das trotz seines Legendencharakters in einem neuen, ergreifenden Licht erstrahlt. Betont ruhig geht es im Gospel von "Give My Love To Rose" zu, gar grabesruhig in "Danny Boy".

In Hank Williams' "I'm So Lonesome I Could Cry" wird noch einmal dem Country gehuldigt und Gastsänger Nick Cave belegt, dass er schon heute als rechtmäßiger Erbe des Man In Blacks angesehen werden muss. Die hoffentlich nicht letzte Vorstellung des 70-Jährigen endet mit einem optimistischen und hoffentlich Realität werdenden "We'll Meet Again". Dass ich nun um ein Haar vergessen hätte die herausragende Beatles-Coverversion "In My Life" zu erwähnen, zeigt überdeutlich, dass Johnny Cashs Kreativität nicht tot zu kriegen ist. Und der alte Mann auch nicht.

Trackliste

  1. 1. The Man Comes Around
  2. 2. Hurt
  3. 3. Give My Love to Rose
  4. 4. Bridge Over Troubled Water
  5. 5. I Hung My Head
  6. 6. The First Time Ever I Saw Your Face
  7. 7. Personal Jesus
  8. 8. In My Life
  9. 9. Sam Hall
  10. 10. Danny Boy
  11. 11. Desperado
  12. 12. I'm So Lonesome I Could Cry
  13. 13. Tear Stained Letter
  14. 14. The Streets of Laredo
  15. 15. We'll Meet Again

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