laut.de-Kritik

Ein raubkopierter Papierkorb.

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Ja, nech? Hier sind wir. Ein Album von Kanye West, so komplett schlecht, dass es gar nicht mehr zu verteidigen ist. Man kann nicht sagen, er hätte nicht immerhin methodisch darauf hingearbeitet! Seit "The Life Of Pablo" ging es mit dem Mann mental bergab - und das hat sich auf verschiedene Arten und Weisen in seiner Musik niedergeschlagen. Aber egal ob "Ye", ob "Donda", selbst ob "Jesus Is King", irgendwie konnten wohlwollende Hörer immer noch das Genie im Wahnsinn erkennen. Ein Genie, das wahrscheinlich vor allem seine Fähigkeit ausmachte, starke Ideen für Songs und Sounds zu identifizieren und das Beste aus seinen Kollaborateuren zu holen. So ist selbst in der Ära, in der Kanye eigentlich nur noch Gemüse ist, mit dem ersten "Vultures" noch ein immerhin passables Album entstanden.

"Vultures 2" ist nun das, was ihr schon seit "Jesus Is King" gehört habt. Es ist ein Blick in die Psyche Kanyes: Und Kanyes Psyche ist gerade ein in Flammen stehendes Zirkuszelt. Dieses Album klingt unfertig, weil es unmöglich fertig ist. Kanye ist offensichtlich mental nicht mehr in der Lage, Songs fertigzustellen, aber weil Kollaborateur Ty Dolla $ign mehrere Alben angekündigt und dieses hier nun schon mehrfach verschoben hat, muss eben raus, was rumliegt.

"Vultures 2" ist postapokalyptisches Brachland. Es erinnert kaum an ein richtiges Album, sondern an die Schande, die die Erben von XXXTentacion mit dessen unveröffentlichem Material gemacht haben. Hätte es einen Audioclip namens "Ye On Drums" gegeben, hätten wir ihn auf diesem Album gehört. 16 Tracks, einer davon ein völlig unsinniger Interlude, der Rest absurde Scheiße. Demo-Verses von Kanye, generisches Gesinge von Ty. Klingt ein bisschen wie "Jesus Is King"; aber selbst bei diesem sonst wahrscheinlich klar schlechtesten Kanye-Album gab es fantastische luzide Momente und eine klare Idee, was für ein Album das werden sollte. Das hier? Das ist ein raubkopierter Papierkorb.

Kanye-Alben haben normalerweise fantastische Intros. "Slide" ist die Skizze des Skeletts des Grundrisses von einem vielleicht ganz coolen Beat, es ist ein einsam dahinziehendes, auf und ab schiebendes Geistergeheul. Und der Kanye-Verse ist so seltsam und ... unbeholfen gerappt, dass man denkt, entweder macht er da gerade eine richtig komische Demo, oder er hat jeden Rapskill verlernt. Dieses unstete Getapse hätte dich in der RBA in die Train geführt - ohne große Ambitionen, es in die Entry zu schaffen. Aber irgendwie fast gleichschlimm: Ty Dolla $ign, der neben diesem brennenden Autowrack von einem Song steht und einen generischen Sechzehner runtersingt, auf smoothen Ladysman macht, als wäre nichts. Er fühlt sich ein bisschen an wie irgendwo zwischen schmierigem Gebrauchtwarenhändler und Scam-Artist, der den Kahn verkaufen möchte. Er sagt quasi: "Okay, okay, vielleicht steht der Hurensohn in Flammen, aber guckense mal: Der Getränkehalter funktioniert noch einwandfrei und man sieht wunderbar am Steuer aus. Weil ich sie mag, könnten wir am Preis vielleicht sogar noch was machen". Zwinkersmiley, Zwinkersmiley, Flammen-Emoji.

Es gibt vereinzelte Momente, in denen man mit Fantasie ahnen könnte, dass in diesen Song-Kindersärgen vielleicht mal etwas mit Potential gesteckt hätte: "Time Moving Slow" hätte ein ganz solides Instrumental, würde man etwas damit machen. "Field Trip" rippt zwar offensichtlich "Carnival" in der Hoffnung, mit ähnlicher Formel noch mal einen Hit zu landen. Irgendwo im zweiten Teil rappt Kodak Black über ein weder gecleartes, noch sinnvoll verarbeitetes Sample von Portisheads "Machine Gun". Die Idee hätte was geben können, aber wie alles auf diesem Album klingt es lieblos und random. Sonst gibt es noch ehemals liebenswerte Leaks wie "530" oder "Sky City" - einem davon wurde schon mehr oder weniger nachgewiesen, dass wir es mit einer Version zu tun haben, die von den Machern dieses Albums von YouTube gerippt wurde. Es ist der gottverdammte YouTube-Rip, den wir hier auf dem Album haben. Das ist, wie schlimm die Zustände sind.

Und Kanye? Wenn er mal aus dem Zustand des nonverbalen Gemurmels aufersteht, dann nur, um zu erinnern, dass man gerade um Gottes Willen kein Mitgefühl mit ihm haben sollte. "Husband" klingt wie antifeministische Propaganda von einer Pfingstlerkirche (nein Schatz, bitte gehe nicht zur Uni, du brauchst doch nur deinen Mann, haha, ich sagte, NEIN, DU BRAUCHST NUR DEINEN MANN). Die Hook wird dann bizarrerweise noch einmal ans Ende vom Folgetrack geklebt. Vielleicht soll das die Illusion von Kohärenz erzeugen - wahrscheinlich war es nur ein Flüchtigkeitsfehler, weil sie nur dreißig Minuten hatten, in denen Kanye mit entsperrtem Laptop auf dem Klo saß, um diesen ganzen Unfug zusammenzustellen und hochzuladen.

Auf dem Outro "My Soul" hat er dann noch die schiere Audacity zu sagen: "Cancel culture, before I get censored". Mein Bruder in Christus, du befindest dich am Ende eines Runs, als hättest du versucht, dummes, problematisches Scheiße-Labern als kompetitiven Sport zu betreiben. Du warst die ganze, beschissene Call of Duty-Lobby. Und du hattest einen beschissenen Nummer Eins-Hit?! Wo ist diese Cancel Culture, die dir so viel Angst macht? Wo??? Kanye lebt in seiner eingebildeten woken Welt wie eine eingebildete Kakerlake in einem eingebildeten nuklearen Fallout. Es ist so absurd in seiner Weltfremdheit, dass man fast übersehen könnte, wie belanglos und dumm sein Gejammer ist.

Da freut man sich regelrecht, dass er auf dem Rest des Albums die Präsenz eines Schlafwandlers hat. Die gesichtslosen Ty Dolla $ign-Parts und ein paar uninspirierte Features haben diesen Haufen Papierkorb-Reste zu einem Album zusammengeklebt, aber es fühlt sich an, als würde Ty Dolla $ign einer Leiche Make-Up aufgetragen haben, um sie mit Drähten wie ein Puppenspieler zu bewegen. "Hallihallo, natürlich haben wir ein zweites Album gemacht, bitte gebt uns Geld dafür, hihi, huhu. Oh nein, die Bühne steht in Flammen. Will eigentlich jetzt jemand dieses Auto kaufen?"

Es ist ein Trauerspiel. Also wirklich. Dieses Album ist so unglaublich schlecht, dass es schwer zu glauben fällt, dass es wirklich existiert. Sollte Kanye auch nur noch einen klaren Moment in seinem Leben haben, dann sollte es nicht überraschen, wenn es restlos von allen Streaming-Plattformen verschwindet. Es ist für mich das erste Mal, dass ich in der Musik von Kanye nicht einmal mehr entfernt den alten Kanye erkenne. Dieses Album ist endlich der angemessene Soundtrack für den Kanye, der sich uns die letzten Jahre offenbart: Es ist belastende, inkohärente Scheiße. Toll, dass es keinen Weg in der Hölle mehr gibt, das zu verteidigen.

Trackliste

  1. 1. Slide
  2. 2. Time Moving Slow
  3. 3. Field Trip
  4. 4. Fried
  5. 5. Isabella
  6. 6. Promotion
  7. 7. Husband
  8. 8. Lifestyle
  9. 9. Forever
  10. 10. Bomb
  11. 11. River
  12. 12. 530
  13. 13. Dead
  14. 14. Forever Rolling
  15. 15. Sky City
  16. 16. My Soul

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14 Kommentare mit 15 Antworten

  • Vor 3 Monaten

    Ich finde es sehr gut YNK, dass du dich endlich von deinem Fanboitum emanzipiert hast und anerkennst, dass Kanye einfach überover ist...nur an der Rückschau auf die letzten paar Alben musst du noch arbeiten, denn die waren auch schon absurder Kernschrott. ;)

    Bin schon gespannt, ob tori hier 4/5 oder 5/5 geben wird. :ill:

    • Vor 3 Monaten

      Du müsstest doch eigentlich ein riesen Fan von Kanye sein. Ihr seid genauso selbstgefällig. Also sei doch nicht sauer wenn dir das Album gefällt, genieß die Zeit bis dein Fan-Darsein auch dir auf die Füße fällt. Du kennst dich ja so gut aus,du wirst bestimmt bald Musik-Moderator beim Örr

  • Vor 3 Monaten

    Er hats tatsächlich geschafft Songs zu veröffentlichen, die schlechter gemischt sind als seine eigenen Leaks. Auf Sky City rappt er nichtmal mehr selbst, der hat einfach eine KI mit seiner Stimme auf den Reference Track von Cyhi geklatscht. Wer mir nach dem Album ernsthaft erzählen will, dass der Mann nochmal nen Klassiker in sich hat, sitzt so tief auf seinem Schwanz das er Hirnschäden davongetragen hat.

  • Vor 3 Monaten

    Lieber Yannik, das, was du auf diesem Album hörst, höre ich schon seit Jesus Is King und ich werde dir auf ewig nachtragen, dass du diesem Werk damals 4 Sterne gegeben hast. Ganz zu schweigen von der vollen Punktzahl, die es damals für Donda gab...

    Ich gebe hier ein "Ungehört 1/5", weil der Kanye West, der mich damals mit seinen Alben begeisterte und motivierte, selbst Musik als Hobby aufzunehmen, ist schon lange tot. Ich bin froh, dass ich die guten Alben gerippt auf der Festplatte habe, weil Streams will diesem Menschen keine mehr gönnen. Wobei ich mich selbst dann echt nicht wohl damit fühle, seine Musik zu hören.

    Seine treuesten Fans sollten sich spätestens jetzt wirklich verarscht vorkommen, ansonsten ist ihnen wirklich nicht mehr zu helfen.

  • Vor 3 Monaten

    Ich hab gestern beim Joggen 2/3 des Albums durchgehalten. Das ist das gleiche Album, dass er seit 5 Jahren veröffentlicht. Wie er auch seit 5 Jahren in Interviews freidreht.

    Warum die Journaille gerade bei dem Welt jetzt international vereinigt entschieden hat, ihn nun doch auch musikalisch scheisse zu finden, verstehe ich nicht. Auch wenn es wieder ziemlich scheisse ist.

  • Vor 3 Monaten

    Dieser Kommentar wurde vor 3 Monaten durch den Autor entfernt.

  • Vor 3 Monaten

    Einfach nur noch traurig, was aus dem geworden ist. Ich hatte so viel Spaß mit seinem Output bis „Life of Pablo“, aber trotz einiger Lichtblicke auf „Donda“ (waren aber auch viele Songs drauf, die schon länger als Leaks zirkuliert sind) ist er danach komplett falsch abgebogen und stetig schlechter geworden. Es scheint auch mittlerweile niemanden in seinem Umfeld mehr zu geben, der ihn davon abhält, so einen Sch*iß wie Vultures I und II zu veröffentlichen. 1/5.