laut.de-Kritik
Große Beobachtungen und kleine Anekdoten.
Review von Yannik GölzDie Welt dreht sich schnell. Was die Leute gestern noch interessiert hat, ist heute vergessen. Was die Welt gestern noch bedroht hat, ist heute neuen Ängsten gewichen. Da beruhigt es doch fast ein bisschen, dass im Hause Tempest der gleiche Weltschmerz wie immer vorherrscht. Das neue Album der Rapperin/Dichterin setzt drei Jahre nach der Wut von "Let Them Eat Chaos" an und schildert, wie ermüdend so eine Apokalypse doch sein kann.
Wir befinden uns nun schon ein paar Jahre am Rande der kollabierenden Welt. Themen wie Imperialismus, Fremdenfeindlichkeit und menschliche Kälte sind immer noch überall. Wir leben eben in einer gigantischen Shitshow, und egal, wie wütend man darüber wird: Irgendwann kommt der Moment, in dem man nur Däumchen drehend im Londoner Apartment sitzt, darauf wartet, dass die globalen Verhältnisse dem Westen endlich um die Ohren fliegen, und erwischt sich dabei, wie man über Banalitäten wie Liebe und Freundschaft nachdenkt.
Es liegt eine Kunst in dieser thematischen Inkohärenz, mit der Kate Tempest auf diesem minimalistischsten ihrer Alben Ideenkomplexe verwebt. Vom Einzelnen ins Kollektive, von der kleinen Beobachtung zur großen Krise, von der gelobten Ewigkeit zum winzigen Gefühl. "The Book Of Traps And Lessons" fühlt sich an wie ein Mensch, der sich nicht entscheidet. Der nie zur Ruhe kommt. Der in einem Moment mit geballter Faust zur Revolution aufruft und sich im nächsten mit einer geliebten Person für immer von der Welt abschottet. Verantwortung zieht an Sehnsucht zieht an Rationalität zieht an Weltschmerz. Es bleibt lediglich Ermüdung.
Ermüdung, die Kate Temnpest musikalisch ausdrückt. Produzent Rick Rubin hat sich zur Aufgabe erklärt, ihren Sound so klar und effektiv zu destillieren, wie es ihm nur irgendwie möglich ist. Und destilliert hat der Mann. So sehr, dass bis auf "Three Sided Coin" im Grunde gar kein Groove mehr zu finden ist. Würde man die Instrumental-Version von "The Book Of Traps And Lessons" veröffentlichen, hätte man ein Ambient-Album in der Hand, komponiert aus verlorenen Piano-Schnipseln, ein paar Synth-Orgeln, elektronischen Spukhausgeräuschen und einer warmen Dusche Reverb.
Alles, das dieses Album trägt, worum es sich dreht und wendet, wodurch es pulsiert, das sind die Vocals von Kate. Auf Songs wie "Hold Your Own" und "Firesmoke" läuft sie zu Höchstform auf. Sie fesselt den Leser mit verkopften Bildern und doch gerade zugänglich genug gehaltenem Timbre an ihre Lippen, manövriert sich Wort für Wort durch eine verregnete Nacht in London und lässt jedes neue Reimschema wie einen rastlosen Hakenschlag anfühlen.
"Love is an endless cliche that imagines itself to be deep revelations", spuckt sie dann auf "I Trap You" aus, offen lassend, ob sie da gerade ihr Zynismus oder ihre Naivität anwidert. Es ist ein Wille da, an das Gute in der Welt zu glauben, ein Wille, die Menschen zu lieben, wie sie auch in den Schlusssätzen der Platte auf "People's Faces" erklärt. Es ist aber auch eine tiefe Auseinandersetzung mit der Frustration auf die Welt zu spüren. Eine Welt, durch deren Machtstrukturen immer noch Ungerechtigkeit zieht und die unverhohlen auf globaler Gewalt, Krieg und Unehrlichkeit fußt.
Es hat sich also auch in dieser schnell drehenden Welt nicht viel am Status Quo verändert, den Kate schon auf "Let Them Eat Chaos" beschrieben hat. Aber Gefühle stagnieren nicht, sondern erschlaffen, ermatten oder tragen sich irgendwann aus. "The Book Of Traps And Lessons" zeigt diese Entwicklung und ist dabei noch unapologetischer, noch reduzierter und noch sperriger als alle seine Vorgänger. Eine Erfahrung, die in der Summe nicht gerade ein Sommeralbum ausmacht, aber sich in einer einzigartigen Hörerfahrung niederschlägt.
Vielleicht richtet sich dieses Album an Leute, die sich sonst auch gerne Poesie-Lesungen anhören. Musikalisch lehnt es sich mehr an Poetry Slam als an ein wirkliches Album an. Wer sich darauf aber einlassen will, wird zwischen den Zeilen, zwischen den großen Beobachtungen und kleinen Anekdoten, Einiges zu entdecken haben.
2 Kommentare mit einer Antwort
Großartige Künstlerin. Live eine Erfahrung die ich vorher noch nie erlebt habe.
Oh ja. Es ist ja äußerst leicht, mich mit Sprechgesang zu langweilen. Die Tempest bringt aber eine Energie, die ich vorher noch nie gesehen habe. Und was sie von sich gibt, ist eigentlich immer genau so klug wie es leidenschaftlich ist.
Fand sie textlich immer Hammer, als MC eher so lala. Das sie sich auf dem Album vom Rap quasi komplett verabschiedet hat und nur noch spricht - großartig. Ihr bestes Album bisher.