laut.de-Kritik
Deutschrap-Scrabble auf sehr dünnem Spielbrett.
Review von Max BrandlDass Kollegah nach seinem zweiten Studioalbum keine neuen Wege bezüglich seiner Selbstdarstellung einschlägt, war dank zwischenzeitlich veröffentlichter Mixtapes und regelmäßigen Video-Botschaften früh abzusehen. Dementsprechend bietet "Bossaura" der Hörerschaft wieder einen gut einstündigen Ausflug in eine Welt, die sich mit der Realität maximal das Vokabular teilt.
Was Kollegah seit jeher mit diesem macht, ist spätestens seit "Alphagene" ein, wenn nicht der Grund für seine zunehmende Popularität, die sich inzwischen auch in entsprechenden Chartplatzierungen widerspiegelt: "Bossaura" rangiert neben maximaler Konkurrenz aus der eigenen Schublade auf den vorderen Plätzen der Trendcharts.
In Anbetracht der Tatsache, dass Kollegah das erneut fast ausschließlich mit "übertriebenem Waffengelaber", der sprachgewaltigen Herabstufung sämtlicher Widersacher und nicht enden wollenden Erläuterungen zum ungebührlichen Umgang mit Geld, Drogen und Frauen gelingt, ist das eine zumindest bemerkenswerte Entwicklung der deutschen Hitparaden.
Seine Inhalte zu monieren indes ist müßig: Wer sich an der Fiktion und Darbietung von Felix Antoine Blumes Schaffen stört, dürfte konsequenterweise auch nur in Heinz-Sielmann-Filme gehen. Seinen Fans ballert der Kanada-Germane dagegen wieder hochgradig vertrackte Mehrfach-Reimkonstruktionen sowie schier unmenschliche High-Speed-Passagen um die Ohren. Bestes Beispiel dafür liefert die "Mondfinsternis": Binnen drei Minuten derart viel von sich zu geben und im Grunde so gut wie gar nichts zu sagen – phänomenal.
Auch die "historischen Punchlines" gehen Kollegah in seinem inzwischen sechsten Jahr nicht aus, wovon unter anderem der sechsminütige Titeltrack "Bossaura" eindrucksvoll Zeugnis ablegt. Wie bei allen seinen Veröffentlichungen wird es auch hier wieder eine ganze Weile dauern, all jene Pointen zu finden und sie, gelegentlich, auch zu kapieren. Kollegah spielt Deutschrap-Scrabble auf Weltrekord-Niveau: Mit möglichst vielen Buchstaben dreifachen Wortwitz anvisieren, während das große Ganze keinen Sinn ergibt.
Sein mehrfach vertretener Kumpel SunDiego hat sich in dieser Hinsicht seit der letzten Zusammenarbeit deutlich verbessert, was vor allem in "Billionaire's Club" zutage tritt: Selbst bei gefühlten 150 Silben pro Sekunde versteht man den Mann nun mindestens so gut wie den Gastgeber – und steht nach abgefeuertem Vortrag ebenso knietief in Worthülsen. In der Tat gäbe er einen großartigen Partner für ein Kollabo-Album ab. Auch, weil er sich nicht scheut, die eine oder andere Line gesungen zu absolvieren.
Anders die "Kobrakopf"-Besetzung: Farid Bang und Haftbefehl nölen und kläffen sich, jeder gemäß seiner individuellen Fasson, durch ihre thematisch aufgeräumten Parts. Auf deren eigenen Werken mag das ja durchaus Verehrer haben. In der Aura eines eloquenten Bosses wirken die beiden Kandidaten aber verloren und degradieren sich via Auftritt letztlich selbst.
Ähnlich verhält es sich mit der jedes Mal noch absurderen musikalischen Ausgestaltung von Kollegahs Bonmots. Sein Faible für billige Plastik-Beats war zunächst eine sympathische Marotte, wurde mit der Zeit immer zentraleres musikalisches Motiv und bildet hier – angesichts eines amtlichen Albums – ein echtes Problem: Raps und Produktion stehen sich in punkto Originalität auf "Bossaura" nicht selten diametral gegenüber. Warum leistet sich der Mann statt dem x-ten Mercedes nicht einfach mal ein paar Top-Produzenten?
Die "Drugs In Den Jeans" klingen wie mit den Werkseinstellungen einer Gratis-App am Handy programmiert. Der kleinkalibrige 08/15-Beat zu "Undercover" wäre im wahrsten Sinne mal besser unter dem Radar geblieben. Schickt man hingegen das Wort "Ohrenkrebs" an fünf mal die Drei, erhält man einen Billigheimer wie "Spotlight" wahrscheinlich sogar gratis.
Doch es ist nicht alles schlecht: Den Titeltrack "Bossaura" rückt ein atmosphärisch-düsterer, zurückhaltender Beat ins rechte Licht, während "Flex, Sluts, Rock'n Roll" die Muckibude erfolgreich mit der Großraumdisco vermählt. Das, wenn man so will, introvertierte "Du" umrahmt Kollegahs einziges Wehklagen zwar reichlich manieriert, aber gerade dadurch stimmig – Samtkehlchen Sahin tut im Chorus ein Übriges dazu.
Summa summarum hat man als selbsternannter Boss nach sechs Jahren 'im Game' aber ganz einfach eine elaboriertere Produktion abzuliefern – Punkt.
Das eigentliche Seitenstechen löst aber letztlich erst das albumweit ausufernde und z.B. in "Jetlag" oder "I.H.D.P." obendrein quälend schiefe Autotune-Gejaule aus. Scheinbar muss da jeder Rapper mindestens einmal durch, anders kann ich es mir nicht mehr erklären. Doch Kollegah hätte aufgrund seiner Qualitäten am Mikrofon derlei akustische Anbiederungen an ein, mir ohnehin nicht vorstellbares Zielpublikum (wer mag Autotune?) ganz einfach nicht nötig.
Mehr Klasse bei den Beats, weniger Effekthascherei, alles andere genau so beibehalten - und es bestünde kein Zweifel an der Alphagenetik. Aber angesichts einer so windigen und gleichzeitig überladenen Klanglichkeit wirkt es, als hätte man seinerzeit Willhelm Busch zum Erstellen von Bedienungsanleitungen verdonnert.
Nichtsdestotrotz zementiert Kollegah mit "Bossaura" einmal mehr seinen Status als einer der besten MCs im Land, der trotz grandios ausgeprägter Fantasie den Blick fürs Wesentliche nicht verloren hat: "Übergabe nachts auf dem Parkhausdeck / Im Kofferraum zehn Kilo Koka, siebenundzwanzig Guns – und das Warndreieck."
85 Kommentare
Ich finde den Schritt zum Trash-Rapper eigentlich nur konsequent. Außerdem variiert er seine Vortragsweise viel mehr als auf älteren Releases, was einige Perlen hervorbringt ("Du"=Übertrack!).
Muss zwar erst noch sitzen, aber nach den bisherigen 4-5 Durchläufen ein solides Album. Auch wenn er sich die ein oder andere Autotune-Hook hätte wirklich schenken können
Wahrlich bosshafte Rezension, würde jeden Satz unterschreiben. Kollegah + gute Beats -autotune -Farid, dass wäre mal ein echtes Kleinod der Musik.
"wer MAG Autotune??" Göttlich!!
@puni. (« CCN2 mit Fler hatte null Zauber, war das nicht die Zeit, wo Fler immer so abgehackt gerappt hat? Die Art, die auch mal von Kay in einem Video mit den Dreien verarscht wurde? »):
kann gar nicht verarscht worden sein weil kay an allen texten mitgeschrieben hat
die saßen immer zu dritt und haben jeden song zusammen geschrieben, genau wie bei bmw
wird auf den dvds ersichtlich
außerdem hab ich "für die fans" geschrieben
Ich würde mich durchaus auch als Fan bezeichnen, mag die ersten beiden Teile auch gern, der zweite mit Saad müsste hier auch noch rumliegen. Und Kay hat das auf freundschaftliche Art und Weise verarscht. Dass Kay aber der Kopf der Texte ist, dürfte auch klar sein.
puni
jup, CCNII mit Fler war leider recht mies bis auf 1-2 Tracks.
Garret
Auf meinen Segeltörns (und auch allen sonstigen Unternehmungen) sorge stets ich für die musikalische Untermalung, da kann es gar nicht vorkommen, dass sich so ein Song einmogelt. Und die Chicks bewegen sich zu CL auch einfach smoother, yo.