laut.de-Kritik
Wohlfühl-Loops im leuchtenden Blau der Bahamas-Küsten.
Review von Philipp Kause"Blue Electric Light" hat fast alles, was ein Lenny Kravitz-Album braucht: in "Stuck In The Middle" sogar Falsett-Vocals, in "Love Is My Religion" einen Glam-haltigen Hardrock-Tanz mit Echo-Effekten und im Opener einen Touch von Rebellion, in diesem Fall gegen das Erdrückende des Lockdowns. Seit der Pandemie ist das Album gut gereift.
Trotzdem lässt es manches missen: zum Beispiel einen innovativen Moment oder eine herzzerreißende Ballade vom Schlage des alten "Stand By My Woman". Es fehlt irgendwas, das raw and dirty wäre, Stichwort "Mister Cab Driver". Geschichten würden das Album aufwerten, statt 'nur' Schlagwörter und Stimmungen, und eine sinnfällige Dramaturgie wäre cool. Auch noch mal ein Slash für ein kerniges Solo wäre nützlich. Aber bei dem alten Kollegen aus den Anfangszeiten ließ Kravitz sich ja für dessen Duettplatte auch nicht blicken, stellt klar, dass die beiden auch in gemeinsamen High School-Tagen nur peripher miteinander zu tun hatten.
"Blue Electric Light" ist eine Sammlung einzelner Tracks, von denen ein paar unter die Haut gehen ("It's Just Another Fine Day", "Spirit In My Heart") und andere berieseln ("Human", "Let It Ride", "Love Is My Religion"). Und wer nach der Single "TK421" eine scharfe Rock-Platte erwartete, könnte ein Déjà-Vu der Enttäuschung erleben.
Vor genau 26 Jahren und zwei Wochen: Da zerbrach das Weltbild vieler Lenny-Fans: Die funkrockigen Avancen früherer Alben wichen auf "5" hypnotischen Pieptönen. Aus Hippie-Hendrix-Atmosphäre wurde ein kühles Laboratorium für die Drum-Machine. "Blue Electric Light" zeigt Kravitz nun in Super Skinny Hipster-Jeans (wann kommen die endlich aus der Mode?), bereit für einen Sound, der nur genau so wenig rockt, dass er im Hipster-Wohnzimmer nicht stört und sich flauschig neben den zahm gewordenen Libertines einreiht.
Der Künstler rückt aber im Interview einiges zurecht. Er fing nicht als der Starkstrom-Zampano an, um dann sanfter und elektronischer zu werden, sondern umgekehrt: "Bevor ich 'Let Love Rule' machte, beschäftigte ich mich bereits in der High School damit, Musik zu machen. Wie Prince und viele andere zu der Zeit, benutzte ich Drum-Machines, DMX, verschiedene Synthesizer, (...), OBX, Moogs, Roland-Geräte und Sequencer." - Auf diese Zeit referiert er jetzt, ließ in der Ruhe der Pandemie seine Schulzeit Revue passieren. Für "Blue Electric Light" heißt das: "Es hat den Flavour aus der Zeit!"
Die Platte taktet in Anmut auf, das Album findet sofort seinen unwiderstehlichen Rhythmus, lässt Kopf und Füße mitwippen, Finger mittrommeln, hat seinen Vibe. Es fließt und fließt kontinuierlich weiter, streift Barry Whites Schlafzimmer ("Honey"), eine klangliche Kunstnebelwand ("Stuck In The Middle"), findet dann zum Kern vieler Kravitz-Konstruktionen, einem supercoolen Funk-Stakkato in "Bundle Of Joy". Doch dann geht die Luft aus.
Nach einem starken ersten Drittel taucht das Album in seichte Gefilde ab, im letzten Drittel zerbröselt der Spannungsbogen. Den Rest zu hören fühlt sich ungefähr so an, wie mit einem platten Reifen zu fahren. Schieben wäre zu unbequem - vielleicht reicht's ja noch bis zum Ziel.
Der jung gebliebene Tattoo- und Dreads-Träger bekundet, er fühle sich großartig: "Geistig, körperlich und spirituell. Ich habe mich nie besser gefühlt und muss nicht 20 Jahre zurück denken." - Gut, wenn er 35 Jahre zurück scrollt und wenigstens einmal an seine Ursprünge anknüpft, im Nostalgie-Tune "Heaven". Aber summa summarum hört man aus Höflich- und Bequemlichkeit zuende, nicht weil da im formschönen Wohlklang noch wirklich was passieren würde.
Diese Platte ist bis zur Erschöpfung clean und perfekt glänzend durch produziert. Doch ähnlich wie bei "5" - das immerhin etliche Hymnen verzeichnet - kann man einwenden: Für welche Situation? Bei einem Festival kann man sich die meisten neuen Songs erst mal nicht vorstellen, allenfalls beim Montreux Jazz. Beim Sport im Gym ist die Musik zu cheesy und kuschelig, für romantische Momente aber etwas klebrig. Für Werbespots fehlt der entsprechende Slogan, so einer wie "I want to fly away".
Vielleicht ist es auch ganz banal: Autofahrten, Hausputz, ... Kravitz fordert sein Publikum nicht. Er probiert nichts Neues aus, verwendet, was schon da war. Sagt aber selbst: "Ich bin niemand, der wiederholen kann, was er schon mal gemacht hat." - Der (ab Sonntag) 60-Jährige legt eine ordentliche und hochwertig angefertigte Kollektion vor, gegen die man handwerklich und harmonietechnisch überhaupt gar nichts sagen kann. "Blue Electric Light" ist sogar außergewöhnlich professionell für unsere Schnellschuss-Ära und all die schrecklich gemasterte Musik, die rundherum so rausgehauen wird. "Blue Electric Light" eignet sich zum Einstieg in die Lenny-Welt für die breite Masse.
In seiner Studiowelt mag er sich autark eingerichtet haben. Das meiste auf "Blue Electric Light" soll er selbst eingespielt haben. Vereinzelt hat er seltsam simple Abschnitte zu verantworten, zum Beispiel Trio-Dadaismus-Beat in "Let It Ride", den er mit Geraune aufhübscht und der trotzdem fad vor sich hin trottet. Zu einem schlüpfrigen Text, der noch nicht mal einen Funken originell ist, "C'mon feel my body / only you can touch this." Oder das Karneval-in-Rio-Percussion-Geschepper in "Human", nebst Kinderreim und Bubblegum-Melodien. Einen Impuls, um so einen Track direkt zum Streamen anzuwählen, löst das alles nicht aus. Kommt der Titel automatisch, unterhält er halbwegs.
Wunderschön umschmeichelt uns die Wohlfühl-Musik von "Spirit In My Heart". "TK421" versprüht dank enervierend beharrlichem Saxophon-Solo in der Album-Version einen Touch Acid-Jazz-Lässigkeit. Der Tune ruft dazu auf, sich mit dem auseinander zu setzen, wovor man sich fürchtet und dadurch das Leben mehr zu genießen. Guter Tipp. Ein Riesen-Highlight ist der Opener, ein XL-Tune von großer Anmut, die fetteste Beute dieser Scheibe: "It's Just Another Fine Day (In This Universe Of Love)". Hier fetzt der Kontrast aus der versunkenen Grundstimmung, der schwermütigen Melodie und den immer wieder aufkommenden Ausbrüchen, in denen Lenny "Lockdown!" und "locked up!" kreischt, die E-Guitar sägen lässt und als Lang-Loop-Reverb multipliziert.
Gefühlsmäßig lässt der laid back-Vibe der Karibik grüßen. "Die Stadt, in der ich dort wohne, zählt 500 Leute. (...) Also kennt jeder jeden. Das ist ein sehr schöner Ort, wo die Leute sehr freundlich miteinander umgehen. Die reden miteinander. Siehst du jemanden auf der Straße, hält man, die Leute sprechen dich an." - Die Sonne der Bahamas, wo die Scheibe entstand, strahlt aus "Blue Electric Light" direkt in unsere Ohren. Nett, angenehm. Nicht mehr und nicht weniger.
2 Kommentare mit einer Antwort
womit wir wieder beim Thema sind: gute Songs leben aus sich heraus, und eine gute Produktion/Arrangement machen sie nur noch besser. Wohingegen durchschnittliche Songs am Ende auch das ergeben, was vorliegt. -zum Unterschied gegenüber "5".
Tja, so ist das... beim ersten Reinhören war ich, so glaube ich mich zu erinnern, enttäuscht...? Dann... herjeh was soll ich sagen... verdammt... Der Titeltrack.. wow... den will ich jetzt schon wirklich gleich noch einmal hören... und "It's Just Another Fine Day (In This Universe Of Love)" leck mich am A... ist das ein geiler Track... ...Funky Music gefällig? "Honey" --> Prince und MJ hätten es nicht besser machen können..
Mr. Kravitz hat da wohl tatsächlich ein wirklich geiles Album abgeliefert!
Das Album...ist...so geil...ich brauche mehr....Punkte.......