laut.de-Kritik

Kein Hass, kein Neid und kein Feuer mehr, schade eigentlich.

Review von

"Anthems For Doomed Youth" ist tatsächlich schon neun Jahre her, seitdem brachte der Libertine Doherty fast eine Handvoll Soloalben durch, sogar Bassist John Hassall kam zu seinem (okayen) Album mit The Rainers. Endlich ist jetzt aber "All Quiet On The Eastern Esplanade" da, der Titel ein Verweis auf Dohertys früheres Fanzine und natürlich das Buch von Remarque.

Die vor kurzem erschienene, dritte Single "Shiver" vereint ein flirrendes Riff mit meist eher getragenem Tempo, im Vordergrund stehen die Stimmen der beiden Barden und ihre auf Albumlänge durchgehend klugen und reflektierten Lyrics. Die Magie, die Barât und Doherty zusammen, gegeneinander, übereinander singend entfalten, scheint auf "Shiver" oft genug durch, um den Mund wässrig zu machen auf den Rest des Albums. Das galt für die erste Single "Run Run Run" nicht wirklich, mit ihrem getragenen Tempo fiel sie zu konventionell aus.

"Run Run Run" deckt eines der Hauptprobleme der "Eastern Esplanade" auf: Der Song klingt wie einer von Barât, so wie "Baron's Claw" freigiebig sein Röckchen als Peter-Barsong lupft. Das muss kein Fehler sein, Genies sind beide, doch The Libertines sind die Verbindung aus den beiden. Beziehungsweise mittlerweile sogar noch mehr, schließlich teilen sich alle Bandmitglieder alle Credits, zum ersten Mal. Das merkt man an der etwas prominenteren Rolle im Soundgefüge für Hassells Bass, während Gary Powell die Basis für die Songs bildet und nicht mehr wie früher dazwischen schießt.

Das Ergebnis dieses Respekts zwischen den beiden Hauptprotagonisten und ihr versiegter Hass aufeinander, das Ende des ständigen Neids und damit aber auch der heiß brennenden Bruderliebe hin zu einer erwachseneren Bromance ist musikalisch, dass die beiden nicht mehr ständig miteinander wetteifern und die Limits ihrer Parts respektieren, womit aber, wie auf der zweiten Single "Night Of The Hunter", viel zu selten ein Spannungsaufbau gelingt, der in den schwächeren Songs stattdessen mit Streichern übertüncht wird. The Libertines gingen nie ohne Kitsch, aber die gute Art, hier hören sie sich zum Beispiel auf "Mustang" wahlweise alt oder wie eine unterlegene Brendan Benson-Kopie an, bis der Chor zum Ende hin endlich eine Fallhöhe aufbaut.

Schlecht ist das immer noch nicht, aber weit unter den Möglichkeiten dieser großartigen Band. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass einer der beiden Bandchefs, geschweige denn beide zusammen, solange sie noch einen Ton herausbekommen oder eine Gitarre halten können, wirklich schlechte Lieder veröffentlichen könnten. Und das tun sie auch hier nicht - nur sind es eben auch keine besonders guten, von den wirklich blendenden Lyrics abgesehen. Die Probleme hören nicht bei den Rollen der Sänger auf, sondern diese fehlende Verve, die zu große Lust daran, es auf Nummer sicher und auf schön zu spielen, vergiftet gefühlt weitere Teile, vor allem die langweiligen Refrains wie auf dem lebendig beginnenden "Oh Shit". Gefühlt gibt es nur die Auswahl zwischen netten Singalong-Refrains oder solchen, die sich auf sich selbst ausruhen. Die komplexeste Figur auf dem ganzen Album sind die Kanon-Elemente zum Schluss von "11 Songs They Never Play On The Radio", und selbst die sind noch simpel.

Dabei geht es doch auch besser: "Have A Friend" startet ganz anders, locker und unverzagt. Auch hier fährt nichts ineinander, trotzdem ist das Gerüst stabil genug für einen guten Song. Das gilt auch für "Man With The Melody", das aber auch an diese gläserne Decke stößt, durch die es auf "Eastern Esplanade" aufgrund fehlenden Mutes kein Durchkommen gibt. "Merry Old England" gefällt mit seiner Schwermut, und der allerspätestens seit "The Fantasy Life of Poetry & Crime" britische Chefintellektuelle singt thematisch nah am Puls der Zeit. Der Song hat aber noch vor der Zwei-Minuten-Marke und damit vor seiner Halbzeit alles gesagt.

Dass trotzdem die langsamen Songs die besten sind, zeigt: Es scheitert nicht am Alter und nicht am getragenen Tempo, das beide gut drauf haben; auch nicht an der fehlenden Schärfe, mit der die beiden sich angiften. Der Hund liegt darin begraben, dass beide ihre einvernehmliche Co-Existenz aufgeben müssen, um zusammen zu spielen. Wenn sie dabei die nächsten Fleet Foxes werden, wird sich keiner beschweren, aber "All Quiet On The Eastern Esplanade" ist bis dahin nur ein Durchgangsalbum, das als Gedichtband längeren Wert haben wird.

Trackliste

  1. 1. Run Run Run
  2. 2. Mustang
  3. 3. Have A Friend
  4. 4. Merry Old England
  5. 5. Man With The Melody
  6. 6. Oh Shit
  7. 7. Night Of The Hunter
  8. 8. Baron’s Claw
  9. 9. Shiver
  10. 10. Be Young
  11. 11. 11 Songs They Never Play On The Radio

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2 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 7 Monaten

    weder bei den Libertines, noch Doherty, war bei mir zu erkennen, was daran gut sein soll.

    • Vor 7 Monaten

      Dann hast du keine Ahnung von Musikhistorie.

    • Vor 7 Monaten

      Word. Auch das ist so n Relikt aus den 2000ern/2010ern. Wusste damals schon, dass diese Indie-Acts nur kurz für ein-zwei Alben gehypt werden, und dann nur lauwarme Aufgüsse veröffentlichen würden. Landete bei mir nie in irgendwelchen Playlists.

    • Vor 7 Monaten

      Die hatten halt gute Alben und Hits en masse: Bloc Party, Franz Ferdinand, Maximo Park etc.

    • Vor 7 Monaten

      Geschmack und so. Fand die damals stinklangweilig. Nur Franz Ferdinand hatten und haben die Stärke, dass sie sich nicht so bierernst nehmen und eine extremst tighte, tanzkompatible Rhythmussektion haben.

  • Vor 7 Monaten

    Solides Libertines-Album auf ähnlichem Level wie „Anthems for the Doomed Youth“. Langeweile kam bei mir beim Hören nicht auf. Die Erwartung an komplexe Songs sollte man bei den Libertines eh nicht haben, Hauptsache, die Refrains gehen gut ins Ohr. Dass Barat und Doherty früher bessere Songs geschrieben haben, weil sie sich ständig in den Haaren lagen, halte ich für eine etwas gewagte These.
    Ich finde auch die Mischung aus ruhigeren Songs und Uptempo-Nummern sehr ausgewogen. Einziger Totalausfall: „Night Of The Hunter“ mit seinem ausgelutschten Schwanensee-Motiv.
    4/5