laut.de-Kritik

Der Befreiungsschlag glückt dank weiblicher Gallionsfigur.

Review von

Das britische Trio musste sich beim Zweitwerk "Truth Is A Beautiful Thing" den Vorwurf gefallen lassen, 'mehr vom Gleichen' abgeliefert zu haben, ohne neue Akzente zu setzen. Veränderung musste her, und Sängerin Hannah Reid bestimmte selbstbewusst das Vorgehen. London Grammar brauche eine starke, weibliche Gallionsfigur. Dementsprechend sieht man sie nun allein auf dem Cover des dritten Albums "Californian Soil".

Auf der Platte verarbeitet sie den schnellen Erfolg und blickt hinter die Kulissen der Musikindustrie. Dort sieht sie insbesondere Misogynie und die Herrschaft alter Männer. Daraus geht Reid gleichwohl gestärkt hervor und reflektiert die Situation gemeinsam mit ihren beiden Bandmitgliedern.

So geht es lyrisch dieses Mal weniger um Teenage Angst oder bestimmte Fragestellungen, sondern mehr um klare Aussagen und Forderungen. Die logische Fortsetzung nach der Emanzipation. Natürlich geht es auf "Californian Soil" auch um Liebe und Zwischenmenschliches, doch tritt die Introspektion in den Hintergrund.

Die beschriebene Weiterentwicklung hört man dem Album an. Das "Intro" gerät bombastisch mit Kirchenglocken, dicken Streichern und elfenhaftem Gesang. Der daran anschließende Titeltrack funktioniert dank Violinen, entspannter Gitarre und lässig pluckerndem Beat ganz hervorragend. Clever inszenierter Indie-Folk, der frisch und modern klingt. Danach wendet sich das Blatt: Extrem zurückgezogener Deep House wabert im Hintergrund von "Missing", während Hannah ihre stimmlichen Variationen zur Schau stellt - inklusive souligem Refrain.

Der kraftvolle Indie-Pop "Lose Your Head" überzeugt mit einem breiten Spektrum: Glitzernde Melodien, Bläser, Handclaps und Synthie-Stakkati am Ende. Einfach wundervoll! Im aufwühlenden "Lord It's A Feeling" singt Hannah sehr direkt und explizit über Untreue: "I saw the way you make her feel like she should be somebody else / I saw the way she tried to hold you when your heart was just a shell / I saw the words she wrote that broke my heart, it was a living hell / I saw the way you loved behind her back when you fuck somebody else". Dazu ertönen weiche Synthies, Tamburin und in den letzten 90 Sekunden abwechslungsreicher Elektropop.

Der überraschendste Track dürfte "How Does It Feel" sein. So tanzbar hat man das Trio aus Nottingham noch nie gehört. Pumpender Trip Hop, getränkt in biestigen Zeilen über den frisch getrennten Ex-Partner. "Baby It's You" kokettiert mit einer Mixtur aus Disclosure, Hundreds und leichtem UK Garage-Einschlag. Ein süßer Liebessong, bei dem ein leiser Pre-Chorus und lautstarke Strophen einen gelungenen Kontrast bilden.

Bis dato ganz schön was los hier! Drei der restlichen fünf Songs halten das hohe Niveau jedoch nicht ganz durch. Das elegische "Call Your Friends" wandert ohne Höhepunkte im stilvollen Dream-Pop. "Talking" beherbergt zwar ein schönes Gegenspiel zwischen Gitarren und Streichern, bleibt aber blass. "I Need The Night" bildet das schwächste Glied des Albums: Zu unspektakulär und viel zu vorhersehbar im Songaufbau versprüht es den Charme des Abspanns eines Coming of Age-Films.

Zwei elegante Balladen runden den dritten Longplayer ab. Das elysische "All My Love" besticht durch glanzvollen Gesang, flankiert von knisterndem Feuer, ruhigen Keyboardklängen und dezenten Cowboy-Gitarren. Im abschließenden "America" berichtet Hannah von USA-Besuch und der aufklaffenden Dichotomie von arkadischen Landschaften und toxischem Business. Ein trauriger, wehmütiger Schwanengesang voller Intimität.

London Grammar glückt mit "Californian Soil" ein wohl dosierter, intelligenter Befreiungsschlag mit bezaubernden Vocals. Reid setzt ihre versatile Stimme hervorragend in Szene, wechselt spielend leicht das Ambiente und gleitet mühelos von Alt zu Sopran. Ihr zuzuhören, wird man auch nach drei Alben nicht müde - vor allem jetzt, über dem neuen Klanggerüst. Man darf gespannt sein, was sich die drei Studienfreunde in Zukunft noch alles einfallen lassen.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Californian Soil
  3. 3. Missing
  4. 4. Lose Your Head
  5. 5. Lord It's A Feeling
  6. 6. How Does It Feel
  7. 7. Baby It's You
  8. 8. Call Your Friends
  9. 9. All My Love
  10. 10. Talking
  11. 11. I Need The Night
  12. 12. America

Preisvergleich

Shop Titel Preis Porto Gesamt
Titel bei http://www.amazon.de kaufen London Grammar – Californian Soil (CD Album) €16,71 €3,00 €19,71
Titel bei http://www.amazon.de kaufen London Grammar – Californian Soil (Lp) [Vinyl LP] €28,36 €3,00 €31,36
Titel bei http://www.amazon.de kaufen London Grammar – Californian Soil (Deluxe Hardcoverbuch + CD + LP) [Vinyl LP] €77,23 Frei €80,23
Titel bei http://www.amazon.de kaufen London Grammar – Californian Soil (Trasparent Blue Vinyl) [Vinyl LP] €110,50 Frei €113,50
Titel bei http://www.amazon.de kaufen – Californian Soil [VINYL] [Vinyl LP] €208,00 Frei €211,00

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT London Grammar

Eben waren The xx noch das große Alternative-Intimpop-Ding des Jahres, schon läutet die Glocke zur Post-xx-Ära. So sehen es zumindest viele neue junge …

2 Kommentare

  • Vor 3 Jahren

    Großartiges Album! Teile die Rezi. Hannah Reid hat einfach eine unfassbar geile Stimme. Klare Weiterentwicklung. Bitte zukünftig mehr Songs der Marke „How Does It Feel“. Und nach den für mich interessanten Veröffentlichungen dieses Jahr bislang meine klare Nr. 1 (obwohl die beiden neuen Nummern von Wolf Alice äußerst vielversprechend sind. Mal sehen, vielleicht macht deren Output London Grammar den ersten Platz streitig).

  • Vor 3 Jahren

    Mir gefielen die ersten beiden Alben sehr. Auch diese Neuerscheinung kann mich musikalisch überzeugen, aber bei der Abmischung ist unverständlicherweise doch anscheinend einiges schiefgelaufen. Insbesondere „All My Love“ (für mich sind es immer Alben-Glanzpunkte, wenn Hannah zu einer ihrer intimen Balladen ansetzt) erweist sich an so mancher Stelle als maßlos übersteuert, sodass ich mehr über einen vermeintlichen Lautsprecherdefekt nachdenke, als den Song in seiner eigentlichen Tiefe genießen zu können. Diesbezüglich macht sich auf meiner Seite schon ein wenig Enttäuschung breit, wo doch solche Missgeschicke bei einer recht akribisch arbeitenden Band wie London Grammar eigentlich nicht passieren sollten.