laut.de-Kritik

Die Münchner retten den Deutschrap.

Review von

Als Equilibrium bezeichnet man gewöhnlich den durch das Zusammenspiel mehrerer Kräfte bedingten Ruhezustand. Insofern passt der Titel nicht wirklich zu der vierten Platte der Münchner Rappioniere von Main Concept, denn von Stillstand konnte bei ihnen noch nie die Rede sein. Schon im letzten Jahr machte die hervorragende EP "MUC>>NYC>>STHLM>>BRM" klar, dass die drei Urgesteine auch nach vier Jahren Pause noch die Puste haben, um mit der aktuellen Entwicklung locker mitzuhalten.

David Papo sieht in der Welt einiges im Argen und lässt es sich nicht nehmen, dies auch lautstark zu proklamieren. Oder, wie er es ausdrückt: "Unsere Zukunft zur Zeit erscheint komplett fürn Anus. | Um das zu prophezeien braucht es keinen Nostradamus." Er beschränkt sich allerdings nicht auf solche Allgemeinplätze, sondern geht unmittelbar ins Detail: "Ich red von Überwachung, und Schikane durch die Polizei, | von Triple Sixern, Korruption und moderner Sklaverei. | Ich red' vom freundlichem Faschismus, und sogar vom dritten Weltkrieg. | Und der bricht wirklich aus, wenn's mal nach der Show kein Geld gibt."

Wie lange hat er dieser Hip Hop-Szene gefehlt, der erhobene Zeigefinger, kombiniert mit einem verschmitzten Augenzwinkern? Der Freestyle-Gott ist sich seiner Stärken durchaus bewusst, und behält diesen Stil auf ganzer Albenlänge bei. Mal macht er sich über die häufig von Atheisten geäußerte Frage lustig, warum Gott nichts gegen das Elend der Welt tue ("Das Versteck"), mal hackt er gemeinsam mit Denyo und Eissfeld auf der Dekadenz der Gesellschaft rum. Mit Free'z zusammen gibt er eine ähnlich köstliche Beschreibung des durchschnittlichen Club-Publikums zum Besten wie der Blumentopf auf "Gern Geschehen", bevor er in "Q.E.D." klare Worte für die aktuelle Hip Hop-Szene findet: "...doch was stellt ihr dar? | eine primitive Kopie von eurem Lieblings MC? | Mit eurem fünf Wörter umfassenden Vokabular? | Eure ungehobelte Art zu rappen kommt grob und nicht hart, | mit eurem 50-Blick erschreckt ihr nur die Omas im Park - | obwohl, so Karikaturen wie ihr erobern die Charts. | Nichtsdestotrotz bleibt euer Kindergefasel inakzeptabel, | deshalb schwingt einen Vektor oder schiebt die Parabel, | sonst wird mein Sinn für Ästhetik irreversibel geschädigt. | Wem erzähl ich's, ihr Analphabeten versteht's eh nicht!"

So, wie es sich für einen Freestyler gehört, dreht der 58er richtig auf, wenn es ans Battlerappen geht. Doch im Vergleich mit viel zu vielen seiner Kollegen bewahrt der Jugoslawe auch hier gekonnt den Stil: "Vergesst es! | Hier steht der Meister des durchdachten Textes, | der eine klare Atmosphäre schafft, wo ihr sie verpestet, | der der euch im Traum erscheint, wenn ihr vor Schreck das Bett nässt, | euch aufs krasseste battelt, und sanft dabei lächelt." Auch die Collabo mit Blumentopf verdient es, nur noch mit Superlativen beschrieben zu werden. "Adam Und Ivo" projiziert die Paradiesgeschichte in Prolog und drei Akten auf eine Nachwuchs-Rapcrew, wobei Kung Schu die Rolle Gottes übernehmen darf und Holunder die Schlange spielt. Deutschrap ist tot? Von wegen!

Auch die musikalische Fraktion weiß vollauf zu überzeugen: Glammerlicious präsentiert sich mit ultrachillig gemixten Jazzsamples und Harmonikamelodien einmal mehr als der coolste Hund der deutschen Produzentenszene, während sich Explizit an den Turntables die Finger wund schrubbt. Und wer aus "Reimemonster" von Afrob und Ferris sampelt, hat per se schon gewonnen.

Man könnte jeden einzelnen Songtext der ganzen Platte in voller Länge zitieren, nur um zu belegen, dass mit "Equilibrium" über eine Stunde kritischer Humor auf allerhöchstem Niveau darauf warten, einen Gegenpol zu Bling Bling, Biatch und Beretta zu bilden. David Pe erobert mit diesem Album den Thron nicht nur, er zementiert den Boden darunter mit einer dicken Schicht und umgibt ihn mit Stacheldraht und Minenfeld. Wer sich da über häufige Doppelreime beschwert, hat irgendetwas ganz Elementares nicht kapiert.

Trackliste

  1. 1. München 58
  2. 2. Was Geht'n?
  3. 3. Tricknology
  4. 4. Flashback (ft. Black Tiger)
  5. 5. Schmeissfliegen
  6. 6. Adam Und Ivo (ft. Heinemann, Holunder, KungSchu)
  7. 7. Das Versteck
  8. 8. Wer Von Euch (ft. Esther)
  9. 9. Bohème (ft. Eissfeld & Denyo)
  10. 10. Im Club (ft. Free'z)
  11. 11. Q.E.D.
  12. 12. Wo Geh Ma Hin? (ft. ft. Vier Zu Eins)
  13. 13. Armageddon
  14. 14. Do Ke Da Die (ft. Wa BMG 44)
  15. 15. Alles In Einem
  16. 16. Brüder Und Schwestern

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