laut.de-Kritik
Hoffentlich wirklich der "letzte Gruß".
Review von Dennis RiegerManuellsen geht es nicht gut. Das lässt er den bemitleidenswerten Hörer (gendern erübrigt sich an dieser Stelle, welche Frau tut sich das hier freiwillig an?) bereits nach Pianogeklimper und Autotunegejaule im Intro von "Dead Man Walking" wissen: "Scheiße, ich ficke diese Welt, denn ich verstehe diesen Ort nicht." Prämisse und Konklusion scheinen in Manuellsens Satz nicht so ganz zusammenzupassen, mag der kritische Hörer einwenden. Aber der kritische Hörer irrt. Denn was Emanuel Twellmann nicht versteht, das pimpert er gerne, wie man bereits auf dessen vergangenen LPs erfuhr.
Moment mal: Mache ich hier nicht einen bösen Fehler, indem ich Twellmann nicht von der vermeintlichen Kunstfigur Manuellsen trenne? Nö. Denn auf der Website seines eigenen Labels schwärmt der Promoter – ein Schelm, wer glaubt, dieser sei mit dem Mülheimer identisch – davon, dass Manuellsen auf seinem neuesten Opus "seine Gefühle und Erfahrungen auf beeindruckende Weise zum Ausdruck" bringe. Das mit den Erfahrungen nehme ich ihm nicht so ganz ab und das "auf beeindruckende Weise" erübrigt sich bereits nach dem ersten Track. Aber dass er seine Gefühle – wenn man die Melange aus Frömmelei, Frauenverachtung, Gewaltfantasien und Selbstmitleid so nennen will – auf "Dead Man Walking" so unverhohlen wie nie zuvor zum Ausdruck bringt, glaube ich ihm gerne.
Auch im Gespräch mit Davud, seines Zeichens Gründer des Premiumjournalismusformats "TV Strassensound", macht Twellmann auf gewohnt eloquente Weise kein Hehl daraus, dass die sich durch sein aktuelles Machwerk als roter Faden ziehende autotuneschwangere Melancholie kein Zufall ist: "Dead Man Walking, Bruda, mein Herz ist leer, Bruda, meine Seele ist leer, diese Welt ist scheiße." Danach bringt er seine Wahrnehmung noch prägnanter auf den Punkt: "Es ist Müll hier." Angesichts des Schweigens Manuellsens hinsichtlich des Auslösers für seinen Seelenzustand drängt sich die Frage auf, ob seine krachende Niederlage im Boxring gegen eine andere zweifelhafte Größe des Deutschrapbusiness nicht nur körperliche Narben hinterlassen hat. Ein zweiter Kampf ist bereits angekündigt.
"Seh, die meisten Menschen verdien'n statt der Rechtleitung Tod", verkündet Menschenfreund Manuellsen im Opener unter Umgehung des korrekten Imperativs, aber unter Einbeziehung seines Glaubens, den er im weiteren Verlauf des Albums noch unzählige Male zur Schau stellt. Unsere Welt gibt dem Armen nicht genug Wasser. Der Gedanke ans Jenseits spendet Ehrenmann Manuellsen indes Trost: "Ich still mein' Durst mit ei'm Tropfen aus dem Dschanna, that's real." Als Hörer wünscht man sich nicht nur an dieser Stelle ob der Verhunzung der deutschen, arabischen und englischen Sprache in einem Satz auch Trost. Der Autotunerefrain, in dem Manuellsen das dringende Bedürfnis zeigt, als der albumtitelgebende Mann wahrgenommen zu werden, klingt indes eher nach Dschahannam als nach Dschanna.
Die Melancholie der ersten beiden Songs ist danach zwischenzeitlich verflogen. Manuellsen beweihräuchert vor der Trübsalswiederkehr sich selbst, seine Brüder und seine Waffensammlung, wie es in Deutschrapniederungen nun einmal Brauch ist. "Gerüchte 4" (ja, es gab schon drei Vorgänger, daher die kreative Betitelung) weist als einziger Track des Albums immerhin einen brauchbaren Beat auf. Hätte jeder Seelenklempner nach dem Hören der ersten beiden Songs noch eine klare Diagnose hinsichtlich Manuellsens Hauptherausforderung gestellt, ferndiagnostiziert man beim Hören des dritten Tracks, der Lines wie "Und jetzt woll'n sie aus dem Schatten an mein'n Thron" beinhaltet, dass der Mülheimer auch unter einer exorbitant falschen Wahrnehmung seiner Sprechgesangskünste leidet.
"Traum" wäre die ideale Parodie auf gefühlige Autotunesongs sich stahlhart gebender Rapper, wenn der Track nicht ernst gemeint wäre. Würde man Manuellsen zutrauen, so etwas wie eine Metaebene in Lyrics einzubauen, könnte man "Bitch, ich weiß doch, wie stupid das hier klingt!" auch als Eingeständnis werten. Da man es Manuellsen aber nicht zutraut, ist die Line umso unterhaltsamer.
In "A3", nicht nur eine Ode an die gleichnamige Autobahn, sondern auch an eine Dame, die konsequent "Baby" genannt wird, gibt sich Manuellsen dem Gedanken an ein Liebesspiel in seiner Karre hin: "Wir tun es, als wärst du nur gebor'ne Bitch!" Einem etwaigen feministischen Aufschrei nimmt Manuellsen geschickt den Wind aus den Segeln, in dem er versichert, dass er sich zuvor ausgiebig Zeit für den intellektuellen Diskurs mit seiner Liebschaft nahm: "Baby, du bist different, die Gespräche war'n Deeptalk."
Mit "Acting Like That" folgt der letzte optimistische Track. Auch dieser beweist, dass Manuellsen seines Lebens nur froh wird, wenn er Menschen des anderen Geschlechts um sich hat. Die suizidalen Gedanken, die er im Opener noch bekannte, scheinen verflogen, Manuellsen zeigt sich in Flirtlaune und hat sich schon wieder in eine Dame verguckt – so sehr, dass er wählerisch wird: "Alle Bitches, die mich kenn' vom Netz, lass ich links liegen." Um zu verdeutlichen, wie ernst es ihm und seiner Auserwählten ist, jault Aushilfssängerin Honeyda noch ein Loblied auf Manuellsen und seine Sportschuhe (keine Schleichwerbung an dieser Stelle!), mit dem sie nicht einmal in der RTL-Primetime in Konkurrenz zu Möchtegernsuperstars aus Neuköllner Hinterhöfen in den Recall gekommen wäre.
Dann wird es wieder melodramatisch. "Many Men" erschwert die Ferndiagnosen hinsichtlich Manuellsens außermusikalischer Herausforderungen weiter. "Sie lauern nachts in einem black SUV", verkündet er via – natürlich! – Autotune und geht nicht näher auf das Subjekt ein. Leidet er auch noch unter Paranoia? Eher nicht. Angesichts der restlichen Lyrics drängt sich die Interpretation auf, dass Manuellsen von sich selbst (möglicherweise in Kombination mit seinen gewaltaffinen Brüdern) in der dritten Person Plural spricht. Der Pluralis Majestatis würde wiederum der Diagnose der falschen Selbstwahrnehmung Nahrung geben.
Auf "Haribe" will Manuellsen uns von der Gottesfurcht überzeugen. Skeptischen Hörern droht er mit dem noch nicht geborenen Nachwuchs: "Gott steh euch bei, wenn ich ein' Sohn krieg!" Einem Bruder auf haram Abwegen – "der macht Geld und zieht Lines" – möchte er wieder auf den rechten Weg führen. Ershaltguterjunge – würden andere sagen, wenn sie nicht gerade Beef mit Manuellsen hätten. Angesichts von Tracks wie "Haribe" wünscht man sich, eine Fatwa entscheide bald, dass Autotune ebenfalls haram ist, auf dass der fromme Manuellsen zukünftig seine Stimme nicht noch schlimmer klingen lässt, als sie ohnehin bereits klingt.
Auf der zweiten Albumhälfte geht es grundsätzlich aggressiver zu. Nur zwei potentielle Zukunftsperspektiven gebe es für ihn, verkündet Manuellsen auf "Shotta": "Knast oder Sarg!" Einen Kommentar dazu verkneife ich mir fürs Erste.
Auf "Kein Erbarmen" gibt sich ein weiterer Sprechgesangskünstler mit Selbstwahrnehmungsherausforderung die Ehre. Asche stellt sich als "erster Rapper, der aussieht wie ein Hollywoodstar" vor. Er sei zwar nicht Oliver Kahn, fügt er an – immerhin geht die falsche Selbstwahrnehmung nicht so weit –, "aber voll der Titan". Im Autotunerefrain gehen die Männer dann ihrer offensichtlichen Lieblingsbeschäftigung nach, dem imaginierten Massenmord: "Geht die Sonne unter, wird der Feind zur Zielscheibe, denn das Schießeisen stellt keine Fragen / Wasche meine Hände mit Blut oder mit Schmauch, heute gibt's kein Erbarmen." Alles nur Sprüche von Kunstfiguren? Trotz Sätzen wie "Man spürt förmlich die Authentizität und Ehrlichkeit in seinen Worten" auf Manuellsens Website? Ähnliches sagte man auch über andere Gestalten des Deutschraps, ehe man ganz überrascht war. Keine Pointe.
Auch in den letzten beiden Tracks wäscht Manuellsen nicht eben seine Hände in rechtsstaatlicher Unschuld. "Poppin'" lässt die angesichts seines Titels allerschlimmsten lyrischen Befürchtungen nicht wahr werden und begnügt sich mit genrebekannter Gewaltverherrlichung und Selbstbeweihräucherung. Dass Haftbefehl mit seinem Gastauftritt das lyrische Niveau des Albums – wenn auch nur geringstfügig – hebt, spricht für sich.
Pianogeklimper, Streicher und gewaltaffines Pathos schließen das Parvum Opus in jeder Hinsicht unversöhnlich ab. Unter den "Allstars" der Kategorie Z-Prominenz schießt Sängerin Civia den lyrischen Vogel ab, wenn sie den Waffenfetischismus und die Weltmüdigkeit der versammelten Männerschar mit folgenden Zeilen glorifiziert: "Tränen gießen Rosen hier in der Unendlichkeit / Weil das Leben es uns hier nicht besser zeigt." Auch unser liebster Himmelskörper muss dran glauben, wenn die harten Jungs aus dem Pott nebst Civia auf ihrer intergalaktischen Mission unterwegs sind: "Um zu den Stern' zu komm', bezwingen wir den Mond / Denn wir sind Leben auf Messers Schneide schon gewohnt." Zum Dank für ihr Gejaule wird die Gastsängerin von den weiteren fragwürdigen Gästen mit sexistischen Bezeichnungen bedacht. Wie man sich den Track im Detail vorstellen muss? Als hätte sich ein bedauerlicherweise schon wieder von den Toten auferstandener Deso Dogg mit Culcha Candela zusammengetan, um eine x-beliebige Dame zu kidnappen und mit ihrer Hilfe einen Dschihadi-Popsong in die Charts zu hieven.
Autotune-Manuellsen richtet zum Schluss noch einen "letzten Gruß" an uns – "er kommt mit Blei". Es ist zu wünschen, dass es sein musikalischer Abschiedsgruß war.
9 Kommentare mit 10 Antworten
Der Typ bringt eigentlich technisch und stimmlich alles mit. Kann sogar einigermaßen gut singen für einen Rapper, aber macht daraus leider gar nichts. Zum einen verhält er sich mit Mitte 40 wie ein 15 Jähriger und ist einfach in jeder Hinsicht maximal unangenehm und zum anderen ist das einfach auch musikalisch nichts. Er hat überhaupt nichts zu erzählen, ist null innovativ & textlich und musikalisch ist das maximal Standard. Selten so verschwendetes Potential gesehen...
Als Rezessent eines Hibbedihab-Albungs sollte mensch schon Many Men kennen und den Verweis checken.
Dachte ich mir zuerst auch, aber vllt hat er den sehr offensichtlichen Köder auch gerade deshalb nicht nm benannt? Kp, es bleibt spannend.
Wie hättet ihr das denn gelöst? Mit einem "Herr Twellmann beweist durch die Betitelung von Track 7, dass er mit der Diskografie von Mr. Curtis James Jackson III. vertraut ist"? Nach dem Prinzip "Ich weiß was!"? Mehr Gemeinsamkeiten scheint es nicht zu geben, 50 Cent gefällt sich auf seinem Klassiker in der Opferrolle, Manuellsen in seinem Machwerk wohl eher in der Täterrolle.
Musst doch einfach nur deinen eben geschriebenen Satz bisschen umstellen, dann hätte er schon so in die Rezi gepasst: "Track 7 deutet eine vermeintliche Gemeinsamkeit Twellmanns mit Mr Curtis Jackson an, trotz der offensichtlichen qualitativen Unterscheidbarkeiten ihres jeweiligen künstlerischen Outputs. Wo sich Fifty jedoch als sympathischer Underdog geriert hat, der, trotz zur Schau gestellter hyperkapitalistischer "Me against the rest of the world"-Attitüde einen nahbaren und nachvollziehbaren Ausdruck entfremdeter Ausgeschlossenheit offenbart, probiert sich Manu zwar auch implizit an gesellschaftskritischen Untertönen, scheitert aber an jeglichen an so ein Vorhaben gebundener Erwartungen kläglich. Mülheim ist eben nicht Brooklyn, und wird es auch nie sein. Außerdem ist M. Twellmann ein H********.
Die inhaltliche Komponente ist halt ganz anders zu bewerten. Der Bezug auf den Song sollte klar machen, dass sich der Sohn Manu hier wirklich ins Kunstfigurenterritorium begibt, egal wie schlecht (ungehört) das auch ist.
Meiner Meinung nach muss man jetzt nicht jede Referenz auf über 20-jährige Songs checken. Außer dem Titel und ein wenig Interpolation in der Hook hat der Track auch gar nichts mit dem Original zu tun.
Nicht jede Referenz, aber eine auf den nach Meinung vieler Kritiker besten Song eines der erfolgreichsten Künstlers eines Jahrzehnts schon.
Nochmal: Die einzige offensichtliche Referenz auf 50 Cents Track ist der Titel, den Manuellsen übernommen hat. Ist übrigens nicht der einzige Songtitel auf diesem fragwürdigen Opus, den es vor "Dead Man Walking" im Genre schon mal gab. Die höchstmögliche intellektuelle Leistung, die ich Herrn Twellmann hinsichtlich Inspiration bei 50 Cent in Hinblick auf "Many Men" zutraue, ist ein "Ich mache jetzt auch einen Track, der irgendwas mit Gewalt und Paranoia zu tun hat".
Ich fasse nochmal zusammen:
1.) Du machst mir den unberechtigten Vorwurf, ich hätte einen "Verweis" auf 50 Cents Track nicht verstanden und sprichst mir deshalb die Kompetenz ab, das Manuellsen-Album zu besprechen.
2. Ich verdeutliche, dass sich der "Verweis" auf die Titelübernahme beschränkt und daher völlig irrelevant für eine Rezi ist.
3. Du behauptest, die Titelübernahme würde verdeutlichen, dass Herr Twellmann sich in dem Track, den du nach eigener Aussage noch nicht mal gehört hast, "ins Kunstfigurenterritorium" begibt.
4. Der CooleTyp verdeutlicht auch nochmal, dass die einzige offensichtliche Referenz die Übernahme des Titels ist.
5. Du bist zurück bei Punkt 1.
Merkst du selbst, oder?
Herr Twellmann hat sich - das ist hoffentlich aus der Rezi überdeutlich hervorgegangen - insofern vom ersten bis zum letzten Track ins Kunstfigurenterritorium begeben, als er NICHTS über sein eigenes Leben erzählt. Sein Weltbild wird hingegen sehr deutlich, das ist nämlich (siehe auch Interviews und sonstige Wortmeldungen von Herrn Twellmann) deckungsgleich mit dem seiner Comicfigur, die den Mond etc. bezwingt.
"2. Ich verdeutliche, dass sich der "Verweis" auf die Titelübernahme beschränkt und daher völlig irrelevant für eine Rezi ist. "
Was nicht stimmt, da Many Men von 50 ja sogar in der Hook zitiert wird. Was der coole Typ auch anführt. Und dass er es nicht schlimm findet, dass du die Referenz nicht gecheckt hast. Das der Song sehr kläglich ist und eine Beleidigung für das Original, keine Frage. Kannste dann ja auch so schreiben. Aber der ganze Driss über seine angebliche Paranoia ist halt Driss, weil das ja ein Bezug auf viele Männchen wünschen den Tod auf mich ist. An der Stelle wäre ein Verweis darauf, wie er das Original schändet oder so, wesentlich besser gekommen als den Küchenpsychologengag totzureiten. Und das ist nichtmal meine einzige Kritik an der Kritik.
Ja, natürlich ungehört 1/5 für diesen Trottel
.
Wirklich eine Top3 Gestalt an H-söhnlichkeit im D-Rap Game. Allein, dass dieser Heckenpenner von "seinem" Thron redet.
Da - ist er wieder!
Wie schmeckt Gammelhai?
Der Effekt ist, dass die Kommentare sehr intensiv nach Ammoniak schmecken und stark nach Klugscheißerei riechen. Den Geschmack zu beschreiben fällt schwer, da sich hier die Geister scheiden. Von sehr sehr stinkendem Käse bis hin zu einer Kombination aus den ekligsten Geschmäckern in einem, ist die Rede. Evolutionsbremse – da ist sich die Wissenschaft einig.
Das passt.
Ein ganz unangenehmer Zeitgenosse.
Was die Sprachverwirrung angeht, konkurriert er hart mit Money Boy.
"Als hätte sich ein bedauerlicherweise schon wieder von den Toten auferstandener Deso Dogg mit Culcha Candela zusammengetan, um eine x-beliebige Dame zu kidnappen und mit ihrer Hilfe einen Dschihadi-Popsong in die Charts zu hieven."
Bitte mit KI umsetzen!
mit diesem album kann man sämtliche rollige katzen der nachbarschaft anlocken. dieses autotune gejaule versetzt das getier in eine brünftige grundstimmung. der geneigte raphörer hingegen fragt sich, ob das ganze noch ernst gemeint ist. manu wollte gold gehen? katzengold!