laut.de-Kritik
Im Gleichschritt über den Beat.
Review von Dominik Lippe"Wenn du denkst, 'genug ist genug', kommt noch einmal 'Blut gegen Blut'. Das ist BGB X." Nach Ausflügen ins Gefühlige marschiert Massiv wieder mit Inbrunst und Wucht über einen weiteren Teil der Blut-gegen-Blut-Reihe. Während sich die alten Haudegen des Streetraps der Langeweile hingeben oder blindlings dem Trap-Trend anbiedern, besinnt er sich damit seiner Stärken. Den neuen, betont authentischen Helden des Genres setzt Massiv abermals seine übertrieben comichafte Inszenierung entgegen, die den Geist der Aggro-Berlin-Schule atmet.
"Dieser Sound verbiegt die Schienen und lässt Brücken wackeln." Johann Sebastian Kuster unterlegt Massivs brachiale Ansagen ein weiteres Mal mit passgenauen Produktionen. Die opulenten Beats überzeugen mit Fanfaren, Streichern und wuchtigen Bässen. Den Gesamteindruck unterstützend greifen immer wieder Soundeffekte wie Sirenen oder aufmarschierende Armeen ins Geschehen ein. "Babylon" gründet auf einem 80s-Synthie-Grundgerüst, zu dem sich nacheinander bleischwere Elemente hinzugesellen. Den Bezug zum nunmehr elf Jahre alten Debüt "Blut gegen Blut" stellt Massiv durch die erneute Bemühung des musikalischen Unterbaus von "Berlin Crime" für den Song "Tornado" her.
"Massiv bleibt gewaltig, die Stimme, die den Schall bricht. Guck wie der Beat brettert, guck wie alles einbricht." Der monumentale musikalische Eindruck harmoniert auch auf "BGB X" wieder hervorragend mit der exorbitanten Stimme des Rappers. Auf "Turbo" beweist er zudem, dass er mittlerweile durchaus in der Lage ist, seinen Vortrag der Produktion anzupassen. Durch das Herunterpitchen ausgewählter Textstellen entsteht ein regelrecht dämonischer Eindruck. Doch auch ohne produktionstechnische Hilfsmittel erscheint Massiv bei derlei Aussagen absolut glaubwürdig: "Wer geht ohne Mikrofon auf Tour?"
"Bro, ich tick' nicht, trink' nicht, kiff' nicht." Trotz animalisch-amoralischen Auftretens verzichtet Massiv auf die meisten grenzwertigen Stolpersteine des Straßenrap-Genres. Mit der völligen Ablehnung psychoaktiver Substanzen verfügt der gebürtige Pfälzer über ein Alleinstellungsmerkmal, das er geradezu bieder propagiert: "Bruder, glaub' mir, lass die Hände weg vom Rauschgift." Das bedeutet allerdings nicht, dass es Massiv gelänge, ein lasterfreies Leben zu führen. Anstelle seines Bewusstseins setzt er lieber auf Hausmittelchen zur Muskelerweiterung. So erweist sich das "ungestreckte Protein" nebenbei als "pures Weißgold", das Massiv gerne gewinnbringend am Markt anbietet: "Komm, kauf' 'ne Handvoll!"
"Meine Größe 1,84 cm – Heavyweight Champion." Die Überbetonung körperlicher Attribute ist eine bereits viel zu lange gepflegte Angewohnheit deutscher Rap-Muskelmänner: "Ich bin anatomisch wie geschaffen für den Sprechgesang." So blöde es klingt, daran zu erinnern: Hip-Hop entstand weder als erweiterter Arm der Bodybuilder-Subkultur noch als Begleitprogramm der WrestleMania. Einen unangenehmen und unpassenden Eindruck hinterlässt dem entsprechend auch die wiederholt wenig subtil eingewobene Werbung für Präparate der Marke Zec+.
Aufschlussreich bezeichnet Massiv seine eigenen Texte als "realitätsgetreue Fantasien". Da dürfte der Schritt zu Kellyanne Conways propagandistischen "alternativen Fakten" ein kaum merklicher sein. Überhaupt bewegt sich Massiv mit seinen Vorbildern ("BGB schiebt Welle, als wäre ich Kim Jong-Un.") und militärischen Motiven auf Höhe der von diversen Staatschefs angeschobenen allgegenwärtigen Dritte-Weltkrieg-Stimmung. Dabei wäre Massiv als möglicher US-Präsident natürlich heillos überqualifiziert: "Ich funktionier' wie 'n Atombombenapparat."
Doch auch neben der nuklearen Maschinerie bietet Massiv einiges in Sachen Nonsense-Lines. So beteuert er 15 Jahre nach Dienstende des Überschallflugzeuges noch immer vehement, mit der Concorde zu fliegen. Ähnlich verhält es sich mit der englischen Literatur, die der Rapper zweifellos ausführlich studiert hat: "Ich schmeiße Bomben vom Balkon wie bei Shakespeare." Sicher, dass es so geschrieben steht? Aber gut, um weitere Provokationen zu vermeiden, sollte an dieser Stelle lieber Schluss sein. Immerhin gilt in Massivs Welt: "Journalisten werden boykottiert, Kritiker zerfetzt."
9 Kommentare mit 7 Antworten
Der hat doch schon vor 10 Jahren so angestrengt aggro in die Kamera geglotzt und heuer... Immer noch! Nehmt den doch mal einer innen arm, des ja traurig ey, wo treibt der sich den die ganze zeit rum dass immer noch alles "hartes leben unso" is....
Die Vergleiche, oh Gott!
Finde Massiv mittlerweile durchaus sympathisch, aber musikalisch wird das nichts mehr mit uns. Als Charakter hat er aber schon irgendwie seine Daseinsberechtigung.
+1 für Atombombenapparat und Shakespeare
Im Vergleich zu den anderen Teilen der Reihe eher die Kuschelrock Edition
Leider schon. Gerade im Vergleich zum direkten Vorgänger ist der Unterhaltungswert doch überschaubar. Ungestrecktes Protein kann ungestrecktem Kokain eben nicht das Wasser reichen.
Alleine das Intro von "BGB 3" bietet insgesamt mehr Wahnsinn als das ganze Album "BGB X". Massiv ist nun weichgekocht.
Echt schwach, früher hätte ein Massiv-Album mind. 500 Kommentare bekommen.
Albung ist eine sehr dickliche Sache geworden! 4/5 sind da schon von mir drin. Die Abwesenheit von allem "unterhalb der Guertellinie" funktioniert ERSTAUNLICH gut, als einer seiner groessten Unterstuetzer war ich ja auch högschd skeptisch. Stimmeinsatz + Mucke ('Fidel Castro', eine der boesesten Nummern 2017, das ist der MOERDERBEAT) machen jedoch alles wett.
Es gab nicht einen Moment, wo ich mir gewuenscht haette, ein leidenschaftliches "Hurensohn" oder "vollgeschwitzter Fettsack" (Moses P. bleibt natuerlich trotz allen Wohlwollens einer, das ihm hier neuerdings von allerhand Wendehaelsen begegnet, sollte klar sein) zu hoeren. Ich wuerde sogar soweit gehen, dass ich es nach dem originalen BgB als seine beste Veroeffentlichung empfinde.
Massiv muss die Konferenz schon laengst nicht mehr vom Schaukelstuhl aus leiten, "indem [er] [s]einen fetten Schwanz nach außen hol[t]". Heuer sitzt er eben gemuetlich im Zec+-Laden und bietet den Leuten eine Handvoll ungestrecktes Protein an.
In meinen Top 10 der imposantesten und eigenstaendigsten Deutschrapper seit den nuller Jahren hat er fraglos einen einstelligen Platz sicher.
Der Beitrag richtet sich dann wohl auch nur an Torque und Sodhahn - gebt dem Ding ein paar Durchgaenge, er hat es sich verdient. Danach dann kaufen, kann man schon machen. Allerdings koennten Icy und Garret eigtl. auch nochmal ein Ohr riskieren.
Icy: Ich will hier bei Gelegenheit nochmal auf unsere angerissene Diskussion ueber sein Debut eingehen. Ich bin gerade auf dem Sprung, morgen geht es nach Frankeich, dann wieder einige Zeit nach Asien. Ich bin aktuell recht schwer verletzt. Aber hau' mal rein, nicht wahr.
Schön, dich wieder zu lesen. Auf jeden Fall erstmal gute Besserung und die besten Wünsche von meiner Seite! Irgendwann trifft man sich hier dann ja wieder, dann können wir das gerne weiterführen. Das nächste Massiv-Album lässt eh nicht lange auf sich warten.
Was BGB X betrifft, muss ich dem Teil vielleicht doch 'ne zweite Chance geben. Die Beats hauen erwartungsgemäß rein, er hat sich raptechnisch nochmal gesteigert und spielt schön mit seiner immer noch den Schall brechenden Stimme, aber ohne trashige Gewaltfantasien und Beleidigungsexzesse fehlte mir da schon was. Er hat in der Hinsicht ja einfach ein besonderes Talent, das er uns aus gewiss nachvollziehbaren Gründen vorenthält. Schade drum. Vielleicht bleiben beim nächsten Durchgang ja doch ein paar Lines hängen, beim ersten war ich irgendwann raus. Ich bin übrigens auch eher spät zum sporadischen Massiv-Hörer geworden. BGB 2 und vor allem 3 sind halt der Wahnsinn.
Ein BOMBEN ALBUM! Massiv rappt auf jedem Beat, mit so einer hammerharten Stimme, das ich dem Album eine volle Punktzahl vergebe.
Ist nichts für die breite Masse, da man seine Art und Weise mögen muss, aber für Hardcore Fans ein wie gesagt perfektes Album.
und genau hier liegt der Hund begraben: das ehemalige Hardcore-Image eines Massiv - gerade auf seiner BGB-Reihe - liegt in der textlich fauchenden Zersetzung jedwelchen Widerstandes
Seitdem er sich jedoch dahingehend beschnitten hat, wirkt sein Konzept trotz drückender Beats und dröhnender Stimmlage seltsam weichgekocht