laut.de-Kritik

Kluge Sinnsuche voller Überraschungen.

Review von

"Jeder scheint es Reggae zu nennen", kommentierte Matisyahu die Versuche, sein letztes Album in eine gängige Genre-Schublade zu pressen. Wer sich schon mit der Einordnung von "Youth" schwer tat, dürfte sich an "Light" endgültig die Zähne ausbeißen.

Die beseelte Grundstimmung spricht auch diesmal für eine Vergabe des Reggae-Etiketts. Ebenso die Mitwirkung der lebenden Legenden Sly & Robbie sowie die Beteiligung des jungen Produzenten-Stars Stephen McGregor.

Der mischt unter anderem beim Opener "Smash Lies" mit: ein wuchtiges Stück Dancehall, angesichts dessen man sich - nicht zum ersten Mal - fragt, ob McGregor eigentlich jemals irgend etwas verkehrt macht.

"Smash lies, wake up, stand up and jump off to this!" Matisyahu dreht aus dem Stand voll auf: Erinnert sein rasender, ratternder Flow hier noch an Looptroops Frontviech Promoe, zeigt er über die Album-Distanz: In ihm steckt ein ungemein wandlungsfähiger Vokalist, der sich keineswegs festlegen lässt.

Harsches Toasting gleitet mühelos in beinahe schon milde wirkenden Gesang und zurück: Einmal mehr sorgt Stephen McGregor in "Motivate" für einen knackigen Dancehall-Beat, der zu den Claps mit derben Rock-Gitarren und Drums aufwartet: Schon hier wird es knifflig mit eindeutigen Zuordnungen.

In Liedermacher-Manier singt sich Matisyahu durch das fluffig-melodische "We Will Walk" oder sein abschließendes Gebet "Silence". Auch in "I Will Be Light" blitzt der Reggae-Rhythmus höchstens hie und da auf. Die flirrenden Saiten einer Akustikgitarre versprühen, zusammen mit dem überaus eingängigen Chorus, viel mehr Singer/Songwriter-Charme.

Noch ehe man den (nach der derben Einstiegsnummer doch recht befremdlichen) Gedanken "Jetzt wirds aber poppig" zuende gebracht hat, rappt Matisyahu in "We Will Walk" von dannen. Am laufenden Band schürt er Erwartungen, in welche Richtung sich seine Tracks entwickeln könnten, nur um diese schon im nächsten Moment komplett über den Haufen zu werfen.

So gerät "Light" zu einer aufregenden Reise, jeder Augenblick hält neue Überraschungen bereit. Die gesangliche Vielfalt findet ihre Entsprechung in der musikalischen Umsetzung: Ein meisterhaftes Spiel mit vermeintlichen Gegensätzen begleitet Matisyahus kluge, überaus reflektierte Sinnsuche.

Liveinstrumente treffen auf Technik: So begegnet Gesang einem antik anmutendem Vocoder-Effekt ("Smash Lies"), eine wehmütige Streichermelodie kontrastiert bratzige Gitarren ("So Hi So Lo"), frickelige Elektrospielereien finden ihren Platz ("For You"), ebenso ein staubtrockenes Schlagzeug und ein gänzlich ohne Effekthascherei eingesetzter Kinderchor ("On Nature") - letzteres eine echte Rarität.

Wenn ein einzelner Track wie "Darkness Into Light", bei dessen Produktion Good Charlottes Madden-Brüder mitmischten, Dancehall-typische Sirenen, breite Gitarrenwände, sogar eine Scat-Gesangseinlage in sich vereint, wie soll man sich da auf eine Genre-Bezeichnung verständigen?

Derlei Haarspaltereien - in Matisyahus Welt ohnehin fehl am Platz: "You got a tiny moment in life to shine, to burn away the darkness." Nutzen wir ihn besser. "Jeder scheint es Reggae zu nennen. Ich nenne es Musik."

Trackliste

  1. 1. Smash Lies
  2. 2. We Will Walk
  3. 3. One Day
  4. 4. Escape
  5. 5. So Hi So Lo
  6. 6. I Will Be Light
  7. 7. For You
  8. 8. On Nature
  9. 9. Motivate
  10. 10. Struggla
  11. 11. Darkness Into Light
  12. 12. Thunder
  13. 13. Silence

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36 Kommentare

  • Vor 15 Jahren

    Cooler Typ, auch wenn die Leute vom Riddim-Magazin das anders sehen möchten.

  • Vor 15 Jahren

    YES - ein neues Matisyahu-Album. Kann nur fantastisch sein. Der Typ ist ein Universal-Genie.

    Was sagt denn das Riddim-Magazin?

  • Vor 15 Jahren

    ich sag mal vorsichtig, dass in der review von Matisyahu´s letztem Album youth, leicht antizionistische Tendenzen zu erkennen waren. Seitdem ist mir das Magazin etwas suspekt.

    Ich zitiere Ulli Güldner aus der Riddim Redaktion:

    „Album Numero Drei eines Thora schwingenden hassidischen Troubadours, dem neuesten Abräumer in ‚Middle America’s’ vannilleweißen Trabantenstädten, und – so sicher wie das ‚Shalom’ in der Synagoge! – auch dem nächsten Multiplatin-‚Mu’fucker’ mit Pole-Position-Abo bei Amazon, Wal-Mart, Best Buy und iTunes. Don Mega in einer Welt mit anderen Worten, in denen Reggae-Artists, die tatsächlich relevant sind, in etwa so häufig auftauchen wie schwarze Gesichter in Woody Allen-Filmen.“ (Nr. 25/2006, S. 74)

  • Vor 15 Jahren

    Nee,sorry! Bin nur deinem Link gefolgt,habe sonst aber noch nix von dem Herrn gehört! :o

  • Vor 15 Jahren

    Matisyahu-King without a crown,Jerusalem habe ich grade mal reingehört.Finde ich besser als den You Tube Beitrag aber Fan werde ich wohl nicht.Reggae ist nicht so mein Ding.

  • Vor 15 Jahren

    @Thelema (« Wenn der Morgen kommt, und der Nebel über dem Bodensee versinkt langsam in den Wassern ... tiefer und tiefer ... um nie wieder hochzukommen ... :absinth:

    Der Mann ist klasse!
    [size=11:dc710164c1]
    (Wenn man mal von seinem Outfit absieht ... wieso müssen die sich alle kleiden wie aus dem 18. Jahrhundert?)[/size:dc710164c1]

    Ach, gerade gesehen: Du meinst das ja selba nich ... Thelema beugt sich über den Bodensee und zieht den Nebel an den Haaren wieder herbei. »):

    :D