23. Februar 2022

"Jetzt schau ich aus wie ein Jonas Brother"

Interview geführt von

Mavi Phoenix' zweites Album "Marlon" zeigt einen Mann, der angekommen scheint. Vor dem Hintergrund seiner Transition sprach er mit uns über das, was sich für ihn seit "Boys Toys" verändert hat.

Als Mavi Phoenix sich im Mai 2021 im Staffelfinale des ZDF Magazin Royale aus einer knapp einjährigen Auszeit zurückmeldet ist einiges anders. Mit Gitarre steht er da vor dem Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld, singt mit nach begonnener Hormontherapie deutlich tieferer Stimme als bisher einen Indierock-Song, stark beeinflusst vom jugendlichen Pop-Punk-Sound der 2000er.

Weg sind Trap-Beats und Autotune, es wirkt im Vergleich zu vorherigen Werken fast wie eine 180-Grad-Wendung. Hört man Mavis neues Album "Marlon" – benannt nach sich selbst, Marlon Nader – wird trotzdem schnell klar: Die eigene Handschrift, der Drang zum musikalisch Eigenwilligen zieht sich immer noch wie ein roter Faden durch alle Stücke.

Erneut kollaborierte Mavi mit Stammproduzent Alex The Flipper, wie auf allen anderen Platten seit der 2017 erschienenen "Young Prophet"-EP. Zwar hantieren sie heute mit anderen Instrumenten, haben sich stilistisch und auch persönlich weiterentwickelt. Doch im Kern steht immer noch unverkennbar: Mavi Phoenix. Was dahinter steckt, erfahren wir im Gespräch mit dem 26-jährigen Österreicher.

Lass uns einsteigen wie beim letzten Mal: Was hat sich in den vergangenen zwei Jahren für dich verändert?

Alles, haha. Komplett alles. Es ist wie ein neues Leben. Nicht nur wegen der Transition, sondern auch pandemiebedingt fühlt es sich fast wie ein neues Zeitalter an.

Empfandest du die zwangsläufige Auszeit rückblickend als gut für dich?

Ja. Nach "Boys Toys" habe ich mich ja ein bisschen zurückgezogen. Die Pandemie kam da nicht ganz ungelegen. Ich hab' mich quasi zuhause verschanzt. Okay, "verschanzt" klingt so negativ – ich hab' schon was gemacht, aber konnte mich vor allem auf mich, meine Musik und meine Identität konzentrieren. So bin ich dann relativ schnell schon in den Albumprozess übergangenen. Im Sommer/Herbst 2020 habe ich begonnen und das Album in etwa einem Jahr fertiggestellt. Letztes Jahr im Herbst habe ich das Album abgegeben.

Zwar gibt es noch Anknüpfungspunkte an deine frühere Musik, aber insgesamt gehst du mit dem neuen Album stilistisch in eine deutlich andere Richtung als bisher. Du nutzt mehr "echte" Instrumente, die Stücke fallen vor allem gitarrenlastiger aus. Wann stand für dich dieser Weg fest?

Es war weniger so, dass ich mir dachte "Jetzt muss ein neuer Sound her." Ich möchte mich eigentlich immer weiterentwickeln. Die Gitarre war für dieses Album auf jeden Fall ein ultrawichtiges Instrument, das ich wiederentdeckt habe für mich. Bei "Boys Toys" hatte ich ja schon begonnen, die Gitarre einfließen zu lassen – in "Family" und "Player" –, wenn auch sehr verhalten. Daraufhin habe ich sie immer mehr benutzt und auch Gitarrenunterricht beim Bassisten meiner Band genommen. Die Gitarre hat viele Türen geöffnet. Dadurch, dass sich meine Stimme verändert hat, bin ich auf die Gitarre umgestiegen. Sie musste quasi als Ersatz für den Stimm-"Verlust" herhalten. So habe ich eine ganz neue Art zu schreiben für mich entdeckt und einfach rumprobiert. Die ersten Songs waren "Grass And The Sun", "Leaving" und "Nothing Good". Da merkte ich, dass es irgendwie stimmig war. Obwohl die Tracks auch ein bisschen weird und allover the place sind, fühlten es sich irgendwie an, als würde das zusammengehören.

Du hast früher schon mal als Teenie Songs auf der Gitarre geschrieben. Fühlte es sich dadurch auch ein bisschen nach back to the roots an oder war es ein völlig neuer Prozess?

Ja, es ist voll lustig irgendwie. Genau, ich hab' als Teenie schon Gitarrensongs gemacht. Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie hat es jetzt Klick gemacht, so dass ich das Instrument jetzt besser verstanden hab' und auf einmal besser spielen konnte. Das war für mich schon wie ein Kreis, der sich schließt. Ich wollte eigentlich immer eine Band haben, Gitarrist und Sänger sein. Jetzt bin es ich auf einmal. Als Teenie hab' ich mir immer vorgestellt, einer von den Jonas Brothers zu sein. Und jetzt schau' ich eh so aus. (lacht)

Hat sich durch den Instrumentenwechsel auch dein Songwriting-Prozess an sich verändert im Vergleich zur Arbeit mit elektronischen Beats oder ist der Ablauf im Kern noch der gleiche?

Das blieb gleich. Ich habe immer erst das Instrumental und baue dann darauf auf. Ein bisschen was geändert hat sich insofern, dass ich durch die Gitarre auf viele Chorusmelodien gekommen bin. Oft spielt die Gitarre auf dem Album den Chorus mit, weil ich mit ihr auf die Melodie gekommen bin. Das war vorher nie so. Also ein bisschen was an der Herangehensweise hat sich schon geändert. Alles hat aber immer noch diesen DIY-Charakter, was ich sehr cool finde.
Selbst wenn ich oder jemand anderes was auf der Gitarre spielt und das dann mir oder Alex The Flipper schickt, behandeln wir es immer noch Sample-artig. Dadurch hat es glaube ich immer noch einen gewissen Hip Hop-Charakter. Wir produzieren es auch nicht voll aus, mit Orchester und Band, total schön eingespielt, sondern es behält immer was Freches, dadurch dass wir von einem bestimmten Place kommen. Für uns ist Musik ein Vibe, was Tolles, aber wir gehen nicht so streng an die Sache ran.

Apropos Alex The Flipper: Wie hat sich durch die neue Soundbasis deine Arbeit mit ihm verändert?

Ich finds voll nice: Es ist ja echt nicht selbstverständlich, dass man nach so langer Zeit noch zusammen Musik macht. Das ist uns auch beiden bewusst. Es hat sich aber echt so ergeben, dass Alex voll in dieses Indie-Ding passt. Ihm taugt auch 90s-Hip Hop total. Es war nicht so, dass wir unbedingt auch für dieses Album wieder zusammenarbeiten mussten. Wir gehen sowas schon professionell an, unsere Freundschaft steht eh außen vor. Aber schönerweise hat es voll gepasst. Er ging auf mich ein und ein bisschen anders an seine eigenen Sachen ran. Wir beide haben durch den Albumprozess sehr viel gelernt und viel Neues ausprobiert.

"Ich habe viel übers Verliebtsein nachgedacht"

Vorhin hast du schon kurz deine stimmliche Veränderung angesprochen. Wie bist du damit umgegangen – gerade als es anfangs darum ging, Songs zu schreiben?

Am Anfang war es schon etwas schwierig, als mir bewusst wurde, dass sich da gerade mein Main-Instrument – im Grunde das, was mich ausmachte – komplett geändert hat; wie eine andere Person. Aber persönlich hab' ich mir natürlich gefreut. Ich hab' mich über alles gefreut und so dann auch relativ schnell gelernt, damit umzugehen. Es wäre auch einfach keine Option gewesen, mir dadurch nehmen zu lassen, Musik zu machen. Ich wusste, dass es irgendwie gehen muss. Aber es ist es nach wie vor ein Herantasten, stimmlich. Das schon.

Auf dem Album hört man verschiedene Phasen deiner Stimmentwicklung. In "Leaving" zum Beispiel sind einige hohe Passagen mit drin. Hast du diese Aufnahmen bewusst so belassen, um den Wandel zu zeigen oder war es eher ein Beiprodukt?

Die Leute glauben mehr, dass es Absicht war, aber es war eher ein Beiprodukt. Ich hatte halt diese Takes noch und kann die Parts inzwischen nicht mehr so singen. Also hab' ich halt die alten genommen, haha. Trotzdem ist es glaube ich cool zu hören, wie es vorher geklungen hat und wie es jetzt klingt. Es ist irgendwie auch ein Privileg, mehrstimmige Songs machen zu können, obwohl es alles alles meine Stimme war.

Verschiedene Phasen gab es teils auch im Songwriting. Die erste Hälfte von "Just An Artist" zum Beispiel hast du im Sommer 2020 geschrieben, die zweite erst 2021. War das bei anderen Songs ähnlich?

Voll! Das war bei diesem Album auch das erste Mal, dass ich sowas gemacht habe. Vorher entstanden Songs meist in einer Session und vielleicht hat man ein paar Wochen später nochmal was gemacht oder einen Monat später bei der Production noch was gedreht. Aber selten wurde neu aufgenommen. "Leaving" zum Beispiel habe ich 2021 komplett neu aufgenommen, weil ich auf dem Album hauptsächlich meine neue Stimme haben wollte.

Für dein Debütalbum hast du ein Alter Ego erfunden: Boys Toys. Jetzt steht auf der Platte groß "Marlon", also du selbst. Es gibt sozusagen keine zweite Ebene mehr. Inwiefern hatte das Auswirkungen auf deine Texte?

Ich habe immer schon sehr persönliche Texte geschrieben, aber trotzdem würde ich sagen, dass das jetzt mein bisher persönlichstes Album ist. Und ich glaube es fühlt sich auch einfach persönlicher an, weil weniger Effekte auf der Stimme liegen. Das Album ist in einer Phase entstanden, in der ich viel übers Verliebtsein, Liebe und so nachgedacht habe. Die Hauptthemen sind ja Beziehungen und Liebe. Allein schon das Thema macht alles persönlicher. Und zumindest auf diesem Album ist mir auch wirklich alles, von dem ich erzähle, selbst passiert.

War das früher genauso und du hast es nur teils in fiktive Szenarien verpackt?

Nee, bei den Texten war ich wirklich immer sehr persönlich. Ich hab' mir eigentlich nie etwas ausgedacht. Natürlich habe ich überspitzt – das mache ich immer noch, etwa bei "Just An Artist". Das ist ja das Nice am Musikmachen: Man überspitzt etwas als Mechanismus, macht es voll theatralisch, um damit klarzukommen.

Klar, im Endeffekt musst du ja ein bestimmtes Gefühl sehr komprimiert rüberbringen.

Keiner würde einen Song hören, in dem es heißt: "Joa, irgendwie hat mir das ein bisschen wehgetan, aber jetzt gehts eh wieder." (lacht)

Ich weiß leider den Kontext nicht mehr, aber vor einigen Jahren hast du mal gesagt: "Je mehr ich von mir preisgebe, desto stärker fühle ich mich." Empfindest du das immer noch so?

Naaa, haha. Langsam habe ich das Gefühl, dass ich ... Ich bin sehr schnell in diese Albumproduktion reingegangen – während ich gleichzeitig angefangen habe, Hormone zu nehmen. Ich habe meine Identität sehr an Mavi Phoenix ausgerichtet. Daran, was dafür das Beste ist und wie ich mit meiner Musik weitermachen möchte. Jetzt freue ich mich auf die Phase, nachdem das Album draußen ist, in der ich mir persönlich Zeit nehmen kann, um zu entdecken, was meine Identität als Privatperson Marlon ist. Momentan habe ich mich sehr auf das Album, die musikalische Seite konzentriert. Ich glaube aber, jetzt ist es sehr wichtig für mich, mal Abstand davon zu nehmen und sagen: "Okay, das Album heißt zwar 'Marlon', aber wer ist Marlon als Privatperson?"

Bereust du manchmal, dass deinen Prozess so öffentlich gemacht hast?

Bereuen würde ich nicht sagen. Es hat mir in der Zeit auch sehr geholfen, weil meine Fans eine krasse Stütze für mich dabei waren und immer noch sind. Trotzdem ist es wichtig, auch mal im 'realen Leben' zu schauen, was ich gerne mache und wer ich bin. Irgendwie ist es bei einer Transition ja schon so, dass ein neues Leben beginnt. Da muss man sich auch die Zeit nehmen, herauszufinden, wer man überhaupt ist.

"Ich möchte bald nach L.A."

Du thematisierst auf dem Album auch einmal Psychotherapie, genauer gesagt Antidepressiva in "So Happy I'm Useless". Interessanterweise dreht sich der Song nicht um negative Gefühle, sondern es geht um Happiness. Wie kam es dazu?

Es gibt ja diese Gerüchte um Antidepressiva: Man sei dann wie ein Zombie, habe keine Gefühle mehr ... Manchmal ist das wohl auch so. Als ich überlegt habe, welche zu nehmen, habe ich gelesen, dass es manchen Leuten so ging und dachte mir: "Ohje, Scheiße ..." Aus dieser Angst heraus ist der Song entstanden. Was ist, wenn es mir zwar gut geht, aber dann nicht mehr so kreativ bin oder keinen Drive mehr habe? So happy I'm useless ... Man vegetiert so vor sich hin, ist eh happy, aber vielleicht fehlt der Drive. Das ist übrigens überhaupt nicht so, haha. Also falls jemand überlegt, das zu nehmen, würde ich auf jeden Fall immer auf Ärzte hören und es im Zweifel einfach ausprobieren. Aber aus dieser Angst und der Überlegung heraus, ob man damit noch man selbst ist, entstand der Song.

Also kam der Song aus einer vorausschauenden Perspektive, nicht aus der tatsächlichen Erfahrung?

Genau ja! Und die hat sich zum Glück nicht bestätigt.

Auf einen Song muss ich noch zu sprechen kommen: In "Moon" singst du: "I'm glad you're not a Gemini." Was soll ich als Zwilling bloß dazu sagen?

Hahaha. Ach, vor zwei Jahren gab es so einen Hype um Horoskope auf Instagram und irgendwo stand dann halt mal dass Gemini das und das ist und Virgo – Jungfrau, was ich bin – halt so und so. Ich bin da dann auch so reingekippt, dass ich beim Daten oder wenn ich mit jemandem geschrieben habe, immer gleich gefragt hab: "Was bist du für ein Sternzeichen?" (lacht) Das war bloß ein Spiel mit diesem ganzen Insta-Astro-Dings ... I don't know, ob da was Wahres dran ist, das war eher so Spaß.

Du beschäftigst dich also nicht tiefer damit?

Nee!

Dafür wolltest du mehr lesen. Was liest du gerade?

Lustiges Taschenbuch. Donald Duck. Voll nice!

Neues oder altes?

Ganz neu. Ich hab' ein Abo. Wurde gerade frisch geliefert!

Ich hab' die früher als Kind immer im Urlaub gelesen.

Ja, same, same! Voll gut.

Damit wäre wohl auch geklärt, was auf Tour in deinem Koffer liegt. Apropos: Deine Konzerte werden sich verändern. Früher standest du ja in der Regel allein mit DJ auf der Bühne. Sporadisch war auch mal ein Drummer oder Bassist dabei, nun hast du aber auf tatsächliches Bandsetup umgestellt. Wie fühlt sich das an?

Sehr gut. Ich hab' letztes Jahr umstrukturiert und habe jetzt eine vierköpfige Band. Ich spiele live jetzt auch selbst Gitarre. Die neuen Songs funktionieren megagut so und lustigerweise auch die alten. Finde ich zumindest.

Du wirst die alten Songs also weiterhin spielen?

Ja voll. Wir haben sie in neues Gewand gepackt.

Alle?

Alle würden sich nicht ausgehen, aber zum Beispiel "Bite", "Janet Jackson" und "Love Longtime".

Vor vier Jahren sagtest du uns im Interview, du würdest irgendwann gerne mal ein Penthouse in New York, ein Haus in L.A. und eine kleine Farm in Italien haben. Wie weit sind diese Pläne mittlerweile gediehen?

Das hab' ich gesagt? (lacht) Boah, naja ... Das wär natürlich nice, aber auch seehehr viel Arbeit. Das war mir glaub ich damals noch nicht so bewusst. Irgendwer muss das ja auch alles in Schuss halten, gerade so eine Farm! L.A. würde mich heute am meisten reizen. Da will ich auf jeden Fall noch hin, sei es nur für ein paar Monate. Das fände ich sehr nice.

Gibt es Pläne, in den USA mehr zu machen?

Sofern es wieder möglich ist, ja. Ich möchte auf jeden Fall bald nach L.A., wahrscheinlich noch dieses Jahr. Das letzte Mal dort war ich vor zwei Jahren und kenne dort auch ein paar Produzenten. Wäre cool, das mal wieder aufzufrischen und zu chillen.

Also möchtest du dort auch aufnehmen und planst, weiterhin mit verschiedenen Kollaborateuren zu arbeiten?

Ja, was sich halt so ergibt. Planen tu' ich eigentlich gar nichts, aber mal schauen. Selbst wenn man am Ende nichts gemeinsam machen sollte, ist es ja trotzdem schön, inspiriert zu werden und zu entdecken, wie andere arbeiten. Das finde ich ganz spannend.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Mavi Phoenix

Österreich und der Phoenix – in der Regel landet man bei dieser Kombination zuallererst bei Conchita Wurst und ihrem ESC-Siegersong. Was die andere …

Noch keine Kommentare