laut.de-Kritik

Brecht den Alltagshebel ab.

Review von

Mit dem Einsatz der Stimme jagen die Schauer den Rücken hinunter. Lediglich ein Klavier bestreitet das Minimal-Arrangement von "Holy Dungeon", dem Hecker hauchend Vocals beigibt. Im Refrain leuchtet ein Glockenspiel in allen Klangfarben, warme Synthies ziehen unweigerlich in immaterielle Sphären der Glückseligkeit.

Der Track schmeckt nach ernsthaftester Melancholie und maximalstem Grad an Authentizität. Doch irritieren unüberhörbare Störgeräusche, die sich zum Klavier offenbaren. Die Stimme klingt rau und räumlich distanziert, als positionierte Hecker das Mikrofon auf seinem Fensterbrett.

Der Lo-Fi-Charakter ist der Umfunktionierung des Eigenheims in ein Aufnahmestudio geschuldet. Vor allem: Das Equipment beschränkt sich einzig auf ein Raummikrofon. Zudem improvisierte er einfach als Straßenmusiker und zeichnete die gewonnene Musik kurz darauf in seiner Wohnung auf. So bewahrte er den Moment der Inspiration.

Der Wandel in Sound und Produktion rührt von seinem Seelencrash anno 2008. Versagensängste und Neurosen plagten den Singer/Songwriter, bis er seine Stimme verlor und die Aufnahmearbeiten zum letzten Album unterbrechen musste. Hecker spielte gar mit dem Gedanken, die Musik an den Nagel zu hängen. Rückblickend sagt er, alles was er geschaffen habe, sei nur ein verkümmertes Zitat seines Gefühls gewesen.

Seine persönliche Heilsfigur ist Nana, eine Prostituierte, die er im gleichnamigen Song verewigte. Während einer Asientour im November 2008 begegnete er ihr zufällig in Tokio - und begann seine Katharsis. Er befreite sich von narzisstischen Ansprüchen, streifte die Jogginghose über und rasierte sich nicht mehr, musizierte wieder auf der Straße und spielte dort stundenlang ausschließlich für sich selbst.

Heraus kamen 13 Songs. Ein kleines Set an Instrumenten und Heckers durchdringende Stimme dominieren die Lieder. Meist unterlegt er den sphärischen Gesang mit treibenden und im nächsten Moment schleppenden Klavierläufen, die mit den gezupften Saiten der Akustikgitarre verschmelzen.

Kleine Synthieeinlagen verzieren die Refrains und entführen selbst den lebensbejahendsten Hörer in noch schönere Vorstellungswelten. Maximilian Hecker liefert die pure Emotion und als Hiddentrack noch das Bob Dylan-Cover "Sad Eyed Lady" dazu.

"I Am Nothing But Emotion, No Human Being, No Son, Never Son Again" vermittelt mit seinen traurigen Songs nahezu vollkommene Glückseligkeit. Man begibt sich in seine Arme des Singenden - und lässt die Maske fallen. Eine Platte, um den Alltagshebel nicht nur mal auszuschalten, sondern zwischendurch abzubrechen.

Trackliste

  1. 1. Blue Soldier Night
  2. 2. Holy Dungeon
  3. 3. The Greatest Love Of All
  4. 4. Open Arms Of Gold
  5. 5. Nana
  6. 6. Court My Eyes Alone
  7. 7. Glaslights
  8. 8. Messed-up Girl
  9. 9. No One's Child
  10. 10. Your Kingdom
  11. 11. You'll Come Home Again
  12. 12. Grandiosity
  13. 13. Lonely In Gold

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