laut.de-Kritik
Matt Bellamy zündelt, aber es ist ihm egal, woran.
Review von Sven KabelitzAlles, das Warner wollte, war ein schickes kleines Muse-Best-Of. Ein Album mit Großtaten wie "Time Is Running Out", "Plug In Baby", "Starlight" und bitte, bitte etwas Platz für "Knights Of Cydonia" und "Stockholm Syndrome". Eine Erinnerung daran, wie großartig diese Band einst war, bevor es vor zehn Jahren mit "The 2nd Law" abrupt abwärts ging.
So einem simplen Wunsch gibt sich unser singender Schmollmops Matt Bellamy natürlich nicht hin. Stattdessen schrieb er für "Will Of The People" zehn neue Lieder, die alles zusammenfassen sollen, das seine Band für ihn in den letzten fast schon 25 Jahren (Jesses!) ausmachte. Erschreckenderweise gelingt ihm dies, im Guten wie im Schlechten. Ihr neuntes Werk schwankt zwischen Muse-Parodie und ihren besten Stücken seit sehr, sehr langer Zeit.
Bellamys Texte scheitern nach wie vor an seinen Fähigkeiten. Wie gewohnt ruft er nahezu über das gesamte Album zur nächsten Revolution auf, arbeitet sich an der großen Weltverschwörung ab. Sein Talent liegt darin, so vage zu bleiben, dass sich im Grunde alle darin wiederfinden können. Sein Wille ist der "Will Of The People", aber niemand weiß so genau, wer diese People überhaupt sein sollen. Von den Querdenker*innenn zu BLM zur Vereinigung der neonfarbenen Turnschuhträger*innen, alles ist drin. Hoch die Fäuste, Revolution! Egal, wogegen. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie so ein Abendessen bei Bellamys daheim abläuft. Erst "We Are Fucking Fucked" bringt zum Ende etwas Licht in die Dunkelheit.
Natürlich darf auf einem Muse-Best-Of, das gar kein Muse-Best-Of ist, eines ihrer Hauptelemente nicht fehlen: sich frech quer durch die Musikgeschichte zu klauen. Während einige Acts bereits für einen Halbton in Grund und Boden verklagt werden, kommen die Briten damit immer wieder durch. Diesmal muss man nicht einmal lange warten: Gleich der Opener und Titelsong bedient sich offensiv bei Marilyn Mansons "The Beautiful People". Der traut sich gerade eh nicht aus seinem Versteck. Damit es nicht langweilig wird, vermischen Muse diese Basis mit einer ordentlichen Portion Glam Rock und – ich traue mich kaum, es zu schreiben – machen musikalisch Spaß.
Auch wenn der Text laut Bellamy in einem "Metaverse" spielt, lässt sich dieser ohne weiteres auf Ereignisse wie den Brexit oder den Sturm auf das Kapitol in Washington übersetzen und könnte entweder als eine Aufforderung zu einer Gegenreaktion oder als ironische Abrechnung verstanden werden. Bellamy zündelt, aber es ist ihm egal, woran. Wenn die Wutbürger*innen demnächst munter skandierend "The will of the / Will of the / Will of the people" die Straße entlang marschieren, muss uns das jedenfalls nicht wundern.
Mit Sci-Fi-Synthesizern steht "Compliance" eher für die formelhafte EDM-Nutzung der letzten Muse-Jahre, die sich ab "The Resistance" erst zaghaft einnistete und in die sie sich mit "Simulation Theory" komplett verrannten. Zählt diese Entwicklung eher zu den Ärgernissen als zu ihrer Meisterdisziplin, gelingt ihnen mit diesem eingängigen Song jedoch eine der besseren Varianten.
In "Liberation" gibt die Band einmal wieder Queen. "You Make Me Feel Like It's Halloween" ist cheesy af, absoluter Quatsch, hat die Ausstrahlung einer B-Seite, versprüht dennoch einen herrlich bekloppten Charme. Ein Ausnahmetrack in der sich oft viel zu ernst nehmenden Muse-Welt.
Je härter es auf "Will Of The People" zu geht, desto besser funktioniert der Longplayer. "Won't Stand Down" lässt dies bereits erahnen, stolpert aber noch zeitweise. Mit "Kill Or Be Killed" gelingt dann das wirklich Unfassbare: ein verdammt guter Song. Haltet mich fest. Ein bombastisches, von Riffs vorangetriebenes Stück in "Stockholm Syndrome"-Tradition, das Muse wohl nur noch die Wenigsten zugetraut hätten. Inklusive Double-Bass, Growls und einem wunderschönen Gitarrensolo als Klimax. Kann ich bitte mehr Songs dieser Klasse als ganzes Album haben? Dann rücke ich auch die Maximalwertung raus. Versprochen.
Was bekomme ich stattdessen im Anschluss? "Verona"! Na, danke. Ein vor Kitsch schwobbelndes Ding, glibberig wie ein Blobfisch. Ein labberiges Irgendwas, das selbst die übelste Teenie-Romanze als zu schleimig abweisen würde. Der gute Eindruck, den "Kill Or Be Killed" eben noch vermittelte, bleibt nur noch als trübe Erinnerung. "Euphoria" gibt sich zwar schneller und lauter, entstieg aber demselben Schmalzloch. Gebt mir ein ganzes Album mit der Schauderlichkeit dieser beiden Stücke, dann rücke ich die Minimalwertung raus. Auch versprochen.
Das abschließende "We Are Fucking Fucked" bleibt über weite Strecken eher plump und subtil wie der Titel, erreicht nicht die Klasse von "Kill Or Be Killed". Dafür zeigt sich der Sänger für seine Verhältnisse deutlich: "We're at death's door / Another world war / Wildfires and earthquakes I foresaw / A life in crisis / A deadly virus / Tsunamis of hate are gonna find us." Ja, alles ist scheiße, da gibt es nichts mehr zu diskutieren. Trotzdem hat dieser Track eine beruhigende Message: Bellamy glaubt an all dies. Er lehnt es nicht als große Verschwörung und den Weg zu einer NWO ab. Nimmt man "We Are Fucking Fucked" als Grundlage, hilft das Lied vielleicht, die Aussage von Songs wie "Will Of The People" oder "Compliance" besser einzuordnen. Man muss lernen, sich an den Kleinigkeiten zu erfreuen.
All diese großen Themen bauen zusammen mit ausschweifenden Arrangements einen Schutzschild um Bellamy auf, lassen ihn unpersönlich wirken. Bis in dem als Herzstück platziertem "Ghosts (How Can I Move On)" etwas Ungewöhnliches passiert: eine herzzerbrechende Ballade, nur aus Gesang und einem an "Sunburn2 erinnernden Piano bestehend. Einsam versetzt er sich in die Rolle der Menschen, die ihre Liebe während der Pandemie verloren: das genaue Gegenstück zu "Kill Or Get Killed" und das zweite Highlight. Jeder Ansatz von Stadionband muss draußen bleiben, während Bellamy untröstlich von Tod und Trauer singt. Von echten Gefühlen.
"Will Of The People" ist launisch wie Hefe. Ein Longplayer, der zwischen wenigen Höhepunkten, einigen okayen Stücken und wirklich schlimmem Mumpitz pendelt, aber nie eine Gesamtheit bildet. Zusammengenommen ist es aber das wohl beste Album, das wir uns 2022 nach etlichen Rohrkrepierern von Muse erhoffen konnten. Irgendwie traurig.
34 Kommentare mit 116 Antworten
Textlich unheimlich plakativ und musikalisch von allem zu viel. Selbst eine ruhige Ballade wie "Ghosts" zerschießt Bellamy am Ende. Nur "Kill Or Be Killed" ist richtig gut. Gehört 1/5.
Ich wünschte wirklich, ich könnte an dieser Stelle was anderes hinzufügen außer dem retourkutschierten "Ja, leider", was du neulich unter meinem Kommentar zur neuen Machine Head hinterlassen hast... högschdens vielleicht noch:
"Zu viel / von allem zu viel, zu viel / davon hab ich genug" (Schwefelgelb)
Passt ja. Schwefelgelb lief die letzten Tage bei mir.
Junge, man muss schon völlig inkompetent sein, wenn man so eine Scheiße labbert. Zuviel deutet eher auf mangelnde Hirnleistung hin, also Überforderung eines kleinen, konservativen Hirns.
Du bist ein H.
Sag es doch einfach Applemac ist ein lächerlicher H U R E N S O H N.
craze ist in der Hinsicht ein geb(r)anntes Kind und hält es wohl daher etwas subtiler.
#onelove
Sagt mal, was solln des? Warum sollen Bands immer so klingen wie am Anfang ihrer Karriere? Bands entwickeln sich nun mal weiter, sonst wäre es ja stinklangweilig. Und denne die es nicht tun, wird vorgeworfen, dass ihr Sound stagniert. Entscheidet euch mal. Das Album ist doch klar eine Weiterentwicklung und Muse klingen besser den je.
Guckt man sich die anderen Rezensionen des Autors zu Muse an, gleicht die hier fast schon einem Ritterschlag!
Ich finde das auch affig. Irgendwann ist in einem Musikstil einfach alles erzählt.
Jeder Mensch ändert sich… warum sollen sie Musik machen, die sie heute gar nicht mehr persönlich hören / gut finden?
Durch sowas werden Bands live immer schlechter und retten sich irgendwann nur noch mit Alkohol und anderen Drogen durch die Tourneen.
"Warum sollen Bands immer so klingen wie am Anfang ihrer Karriere?"
Wo hast du das denn rausgelesen? Bands sollen einfach nicht beschissen klingen und das schaffen Muse seit einschließlich The Resistance nicht mehr.
Der Fake spricht Wahres.
Der konservative Trottel entwickelt sich nicht weiter. Der kommt geistig unvollständig auf die Welt und stirbt dumm. Dazwischen verharrt er intellektuell regungslos in Schockstarre und ersäuft in Bedeutungslosigkeit.
Typische Sätze von Personen die Rezensionen für Musikalben schreiben und diese bewerten.
Es ist immer das Gleiche. Es wird die Musik immer mit einem Ausnahmealbum verglichen oder mit den Anfangsphasen einer Band.
Jede gute Band findet irgendwann ihre Nische.
Die richtig guten Bands haben meist absolute Erkennungsmerkmale in ihrer Musik.
Bei Muse ist das ganz genauso. Sie haben ihren Stil gefunden und etabliert.
Ja, man weiß was bei ihnen kommt und ja, es gibt Songs die bereits veröffentlichten Songs ähneln.
Aber sie haben auf jedem Album immer auch außergewöhnlich gute Stücke drauf, wo ihre hohe Qualität zu hören ist und sie sind nach wie vor eine überragende Liveband
Schwachsinniger Kommentar.
Die Alben sind doch nach wie vor vorhanden und werden auch in 100 Jahren noch vorhanden sein und die Nachfolgealben ändern daran nichts nur weil sie dir nicht gefallen.
So, wie du das beschreibst, klingt das nach soliden 3 von 5 Sternen. Nicht großartig, nicht der totale Rohkrepierer. Wie viele hatte der Autor noch gleich gegeben?
Der Link fehlt, Pseudi. Der Link...
ja bruders dene mose mussen mache breite spectrum
Wäre die Band nach Absolution, Black Holes oder meinetwegen The Resistance (oder sogar noch 2nd Law) tragisch zugrunde gegangen oder zumindest Bellamy abgekratzt, man würde rückwirkend von einer der grössten Bands des 21. Jahrhunderts sprechen.
So wies jetzt ist, wird man es garantiert auch, aber halt nur unter den Leuten, deren Persönlichkeit mit "ich war mal bei Rock am Ring" recht gut umschrieben ist.
Was ein geschmackloser Kommentar…
Geschmacklos und dumm, das Album ist großartig.
Du kannst nicht schnellreisen während Feinde in der Nähe sind...
Oh man… Leben ist Veränderung… wenn sich dein Geschmack nicht in eine ähnliche Richtung wie der der Band, entwickelt hat, dann hör was anderes und spar dir das Runtermachen ihrer Fans.
Einfach nur peinlich… Creme de la Kot solche Comments …
Konservative trauern immer der Vergangenheit nach. Hängt wohl mit dem beschränkten musikalischen Horizont zusammen.
Ich will doch gar nicht das alte Zeug nochmal hören, ich will, dass die verdammt nochmal nicht alles vergessen, was die mal über Musik wussten!
Ist zwar etwas geschmacklos ausgedrückt, aber ich finde du hast zumindest nicht unrecht. Wäre Nirvana DIE legendäre Band von damals oder hätte sie sich nicht vielleicht sowieso 2 alben später aufgelöst und in weniger relevante Projekte zerfasert, wenn Kurt nicht gestorben wäre? Dann wäre das Bild der Band heute sicher auch ein anderes. Das gilt übrigens für alle zu früh gestorbenen. Ist nicht schlimm dass sie sich weiter entwickeln. Ich tu das ja auch. Und sie haben ja all die guten Alben schon gemacht. Von daher wünsche ich Muse schon seit 2nd Law alles gute und gehe winkend vorbei.
Black Holes & Revelations - ab da war Ende bei mir.
Ich weiß noch dass ich übelst gehyped war für die Resistance, aber am ende auch sehr enttäuscht....
Die Tour war besser als das Album, stimmt (die neue Version von "New Born", unfassbar). Aber mit "Guiding Light" wirft das Ding immerhin die beste Musepowerballade ever ab. Uprising und Resistance auf der Habenseite. Der Rest ist auch eher "hä?".
"Ja, alles ist scheiße, da gibt es nichts mehr zu diskutieren. Trotzdem hat dieser Track eine beruhigende Message: Bellamy glaubt an all dies. Er lehnt es nicht als große Verschwörung und den Weg zu einer NWO ab."
Das ist ja schon fast rührend, man kann den Sven buchstäblich aufatmen hören. Bellamy ist ein Gläubiger! Denkt der Autor jedenfalls. Der Gedanke, dass die "Pandemie", die Klima-Saga uvm. möglicherweise doch elaborierte Fakes sind, muss furchterregend und verstörend sein... was aber nicht heisst, dass es deswegen weniger wahrscheinlich ist...
"muss furchterregend und verstörend sein..."
Eher spekulativ und lächerlich.
"Der Gedanke, dass die "Pandemie", die Klima-Saga uvm. möglicherweise doch elaborierte Fakes sind, muss furchterregend und verstörend sein... was aber nicht heisst, dass es deswegen weniger wahrscheinlich ist..."
Kann ja auch gar nicht weniger wahrscheinlich sein, d'uh!
"Eher spekulativ und lächerlich"
Für Ignorante und Uninformierte mag das so wirken, ja.
Hilfreiche Faustregel:
Wenn du glaubst, es nach zwei oder mehr Nächten voll privater Telegram-Chats, Pseudopolit-Podcasts und YouTube-Videos besser zu wissen als der interdisziplinäre wissenschaftliche und seit Jahren methodisch einwandfrei sowie transparent und nachvollziehbar gefundene Konsens zu einem bestimmten Thema, dann gehörst du zu den Ignoranten und Uninformierten.
Ich lese diese Rezensionen und die folgenden Antworten doch immer wieder gerne und kann mich einfach nur darüber amüsieren wie schlecht und einseitig die Rezensionen sind und wie sich die Leute gegenseitig niedermachen. Wirklich lustig.
Zum Glück lass ich mich davon nicht beeinflussen und bilde mir nach mehrmaligen Hören von Musikalben meine eigene Meinung.
Ich für meinen Teil liebe jedes einzelne Stück von diesem Album. Was andere denken oder sagen ist mir egal...
Herr Kabelitz, Ihre verflossene Ex, die Sie damals zu Plug In Baby auf der Tanzfläche kennenlernten, werden Sie nicht zurückbekommen, weil Muse nicht mehr ausschließlich solche Songs schreibt. Sie müssen Loslassen lernen und weniger Muse die Schuld dafür geben. Himmel, Ihr Gejammer ist nicht zu ertragen. Das Album ist ohne diese Vergangenheitsbewältigung eine klare 4+/5.