laut.de-Kritik
Wie George Ezra im Holzfällerhemd.
Review von Stefan MertlikUnendliche Prärie, majestätische Berge und rauschende Flüsse – der US-Bundesstaat Colorado ist der Stoff, aus dem die Cowboy-Träume sind. Nathaniel Rateliff, der sich in der Hauptstadt Denver niedergelassen hat, liefert mit Filzhut und Jeanshemd verlässlich den Soundtrack dazu. "The Future", das bereits dritte Album mit seiner Band The Night Sweats, protzt diesmal mit enormer Stilvielfalt.
Retro-Soul, Folk-Rock oder doch Radio-Pop – Rateliff kann sich nicht entscheiden. Und der 43-Jährige will es vermutlich auch nicht. "The Future" wechselt die Stile von Song zu Song. Manchmal vermengt er sie innerhalb eines Liedes. Beliebig klingt die Musik trotzdem nicht. Alles passt zusammen.
Weshalb die Platte klingt, wie sie klingt, verrät ein Blick auf Rateliffs Werdegang. Nach einer soliden Phase als Solomusiker schart er 2015 eine Band um sich. The Night Sweats bringen den Rock'n'Roll in Rateliffs Indie-Folk. Die Kundschaft ist begeistert – Gold für das selbstbetitelte Band-Debüt. Der Nachfolger "Tearing At The Seams" von 2018 schließt daran an.
Rateliff bleibt trotzdem Einzelgänger. Ohne die sieben Bandmitglieder veröffentlicht er weiter Soloalben, die einen in sich gekehrten Singer-Songwriter zeigen. Einen, der einsam am Lagerfeuer sitzt und Lieder über Weltschmerz singt. Auf "The Future" verbindet er beide Welten erstmals konsequent.
Im Titelsong holt Rateliff alles aus seiner Stimme heraus – sie bricht, klingt unsauber und dadurch verletzlich bis angepisst. Es ist ein Vergnügen, Rateliff so zu hören. Es passt zur Schwere seiner metaphernreichen Texte: "You're standing in the water / You think that you've been saved / With your blind ignorance / In comes a crushing wave."
Auf den Opener folgen Songs, die funky und grob zugleich klingen, wie von einem George Ezra im Holzfällerhemd. Häufig brechen die Stücke in der Mitte auf. Bläser bringen Bombast. Es wirkt stellenweise formelhaft, fällt aber erst nach mehrmaligem Hören auf. Dann haben sich die eingängigen Refrains aber längst im Hirn festgesetzt.
"Baby I Got Your Number" nimmt mit Akustikgitarre und simplen Percussions das Tempo raus. "Love Me Till I'm Gone" fällt mit seinem Motown-Gedächtnis-Soul herrlich aus der Zeit. Und "Something Ain't Right" glänzt mit einem Schlagzeug-Loop, der den Viervierteltakt mit dezent elektrischen Kicks und Snares deutlich hervorhebt. Abgesehen vom Reggae-fizierten "Oh, I" unterbricht nichts die bewusst altmodische Stimmung.
Mit "The Future" bewegt sich Nathaniel Rateliff auf seinem kompletten musikalischen Spektrum. Der Mann der strikten Stiltrennung hätte sich damit verzetteln können. Hat er aber nicht. Stattdessen entfacht er ein Lagerfeuer im Jazzkeller. Wer von Spotify Vorschläge wie die Lumineers, Muddy Waters und Bon Iver erhält, wird sich daran mit Freude wärmen wollen.
1 Kommentar
Geile Platte!