Musikjournalist D.X. Ferris hat die ultimative Biografie zur thrashigsten aller Thrash-Metal-Bands verfasst.
San Francisco (gbi) - "Fuckin’ Slayer." Mehr steht da nicht im ersten Kapitel dieser Bandbiografie. Und doch ist damit schon so vieles gesagt. Slayer sind mehr als nur eine von zahllosen Metalcombos aus den Achtzigern. Slayer sind ein Lebensgefühl. Eine Weltanschauung. Es gibt keine Gelegenheits-Slayer-Fans. Man ist dabei oder nicht. Und fest steht damit auch schon: D.X. Ferris weiß, wovon er schreibt. Der Autor aus Ohio ist slaytanic durch und durch, hat als Musikjournalist für diverse Magazine und Zeitungen (remember them?) geschrieben und auch Bücher veröffentlicht. Seine Slayer-Biografie erschien erstmals 2013, doch wie zitiert er den einstigen Metallica-Roadie Jeffrey 'The Dude' Lebowski so treffend: "New shit has come to light."
Nach ihrem vermeintlichen Rücktritt 2019 sind Slayer 2024 als Liveband wiedergekehrt. Auch diesen Sommer steht eine Handvoll Gigs an. Stauts: semi-aktiv. Gitarrist Kerry King hat parallel dazu seine Soloband an den Start gebracht. All dies nimmt Ferris zum Anlass, seine Bandbiografie in einer großzügig aktualisierten Edition neu aufzulegen. Das Buch ist in mehreren Versionen erhältlich, hier wird die 641 Seiten lange "Uncut Standard Version" besprochen. Daneben gibt es eine XXL-Version, eine Kurzversion sowie ein e-Book.
Ein großer Mehrwert der Neuauflage besteht in sieben brandneuen Kapiteln zu den jüngsten Entwicklungen im Bandkosmos. Ferris zeichnet ausführlich nach, welche Entscheidungen zum Quasi-Ende geführt haben. Und nimmt die Musiker ein Stück weit in Schutz, dass sie der Verlockung profitabler Reunion-Shows nachgegeben haben. Wenn Bands von Ruhestand sprächen, würden sie nicht zwangsläufig lügen, meint Ferris – "but they are usually wrong". Er rapportiert von der Reunion-Konzert am Riot Fest 2024 in Chicago, euphorisiert und mit dicker Fanbrille auf. Und er legt die Kerry-King-Band auf den Prüfstand, mit nüchternerem Blick. Nach der Lektüre ist man definitiv auf dem neuesten Stand in Sachen Slayer.
Slaytanic Four gut eingefangen
Wie alles begonnen hatte und welchen Stellenwert in der Szene sich Slayer über die Jahrzehnte erspielt haben, ist natürlich jedem halbwegs informierten Metalhead bekannt: Gegründet 1981 in Südkalifornien. Die Pionierjahre in der neu entstehenden Thrash-Metal-Bewegung, gemeinsam mit Metallica, Exodus und anderen Jungspunden. Der frühe Peak mit dem Meilenstein-Album "Reign In Blood" 1986. Die orientierungslosen 90er-Jahre und die Wiederauferstehung im 21. Jahrhundert. Kennen viele wohl. Doch Ferris erzählt die Slayer-Story extrem detailliert, inspiriert und dank zahlloser Zitate der Musiker und ihrer Weggefährt*innen auch so lebendig, dass sich die Lektüre selbst für eingeschworene Fans lohnt. (Reminder: Es gibt bei Slayer NUR eingeschworene Fans.)
Der Autor zeichnet nicht nur die Bandkarriere nach, sondern auch ein möglichst rundes Bild der Charaktere, die sich da als Teenager im Namen Luzifers zusammentaten. Kerry King, der "Alpha Dog" und "Team Captain", dessen Idee die Bandgründung war. Dies, nachdem er auf dem Heimweg von einer fruchtlosen Bandprobe per Zufall Jeff Hanneman über den Weg lief, der gerade an der Klampfe hantierte, und in ihm einen Gleichgesinnten fand. Hanneman fasste den magischen Moment so unprätentiös zusammen, wie es nur ein lebenslanger Punkfan kann: "And he goes: 'Want to start a band?' And I'm like: 'Fuck yeah!'" Der katholisch erzogene Tom Araya, eher ein ruhiges Gemüt, entdeckte als Bassist und Sänger Gefallen an der Rolle des besessenen Teufelspropheten: "I like singing and just spitting that shit out. (…) It's like acting." Dazu Dave Lombardo, den nicht nur ein immenses Talent als Drummer auszeichnet, sondern auch ein explosives Temperament, das von Beginn an zu Spannungen führte. Fuckin' Slayer waren geboren und ready to destroy! Der angedachte Bandname Wings of Fire verschwand zum Glück im Giftschrank.
Dave vs. Der Rest
Bei über 600 Seiten Umfang kann der Buchinhalt hier freilich nur umrissen werden. Mit zu den spannendsten Einsichten zählt sicherlich, wieso es hinter den Kulissen immer wieder kriselte. Das begann schon, als die Jungs noch in der Garage probten. Lombardo meinte einmal, er könne nicht, weil er krank sei. King arbeitete wohl damals schon an seinem undiplomatischen Ruf: "Like, 'Dude, you don't get it', King told Lombardo in his sharp, matter-of-fact intonation. 'We need a drummer that plays when he's sick." Als das Touren zeitintensiver wurde, wuchsen die Friktionen. Der frisch verheiratete Lombardo bestand darauf, seine Frau Teresa dabeizuhaben. Das kam bei den anderen nicht allzu gut an. Mehrmals fand sich Lombardo im Laufe der Jahre vor der Tür wieder.
Wenn Stage-Time war, agierten Slayer aber immer als Einheit. So erinnert sich Brian Slagel, Gründer des Labels Metal Blade, wie er sie 1982 erstmals sah: "They were unbelievable live. They just had a certain intensity and magic on stage. They were heads and shoulders above the other bands." Und das zu einer Zeit, als Slayer primär noch Coversongs von Judas Priest oder Venom spielten. Doch auch erste Eigenkompositionen wie "Aggressive Perfector" föhnten bereits Mähnen nach hinten. Weitere nette Episode der Frühzeit: Wie Jeff Hanneman bei einer Clubshow 1983 inmitten damals noch ungehörten Gemetzels seine große Liebe fand. Kathryn stand im Publikum. Die beiden blieben bis zu Hannemans verfrühtem Tod 2013 unzertrennlich. "As it turns out, the guy who would write ‘Necrophiliac’ had a romantic streak", kommentiert Ferris lakonisch.
Jeder ist ersetzbar
Ja, Jeffs Ableben. Auch dieser tiefe Einschnitt bildet natürlich einen Schwerpunkt. Immerhin war Hanneman der kreative Visionär der Band, ihr 'Spirit In Black'. Kürzestzusammenfassung: Als er sich 2011 mit der Infektionskrankheit Nekrotisierender Fasziitis infizierte, fand sich der blonde Gitarrist in einem Szenario wie aus einem Slayer-Song wieder: Fleischfressende Bakterien zersetzten seinen Arm. Nur durch Glück überlebte er, nachdem er den Krankenhausbesuch viel zu lange hinausgezögert hatte, doch die zehrenden Behandlungen inklusive schmerzhafter Hauttransplantationen raubten ihm den Lebensmut. Hanneman verfiel einer Depression, dem Alkohol und verstarb schließlich an einer Leberzirrhose. Die Band wusste zunächst nicht, ob und wie sie überhaupt weitermachen sollte. Sie tat es bekanntlich dennoch, mit Gary Holt von Exodus als Ersatzmann.
Am Ende ist jeder Mensch ersetzbar. Selbst Jeff Hanneman, selbst ein Dave Lombardo. Der dritte – und mutmaßlich finale – Split zwischen dem Drummer und der Band ereignete sich 2013. Ferris gibt die Geschehnisse aus unterschiedlichen Perspektiven wieder: "Toms Version. Daves Version. Slayers Version. Kings Version. Teresas Version.". Selbst durch die Gerichtsdokumente im Scheidungskrieg zwischen Lombardo und dessen Ex-Frau wühlte er sich, um den Vorwürfen des Drummers nachzugehen, er sei schlecht bezahlt worden. Sein erfrischender Ansatz: Statt Eindeutigkeit vorzuspielen, lässt er die Leserschaft einfach selber entscheiden, wem sie glauben will.
Beim Doors-Cover hört der Spaß auf
Bandgeschichte, Privatleben der Musiker, alle Touren (netter Touch: jeweils inklusive typischer Setlist), die Entstehungsgeschichte hinter jedem Album und jedem noch so obskuren Bonustrack: D.X. Ferris hat alle verfügbaren Infofetzen zur Slayer-Historie zusammengetragen. Ich habe in dem Buch beispielsweise mehr über die gewöhnlich sträflich vernachlässigte 90er-Ära – als selbst die trendresistenten Slayer kurz vom Thrash-Pfad abkamen – erfahren als im Schulunterricht. Willkürlich herausgepicktes Beispiel: Das Punk-Cover-Album "Undisputed Attitude" sollte eigentlich auch Neuinterpretationen einiger klassischer Rocksongs beinhalten. Doch als Hanneman ins Studio kam und hörte, wie seine Kollegen sich an einem Doors-Song versuchten, lief er gleich wieder raus: "No, this isn't happening."
Die großen Linien zu Aufkommen, Niedergang und Renaissance des Thrash Metal, zu den "Big Four" (nebst Metallica und Slayer dürfen sich Megadeth und Anthrax mit diesem zweifelhaften Etikett schmücken), zur Karriere von Slayers langjährigem Stammproduzenten und Förderer Rick Rubin finden sich ebenfalls zwischen den Buchdeckeln. Sauviel Stoff. Und sehr guter Stoff! Abzug gibt es einzig für einige Fotos, die im Schwarz-weiß-Druck überhaupt nicht funktionieren. Das gilt vorab für Ferris' Impressionen vom Festival-Gig 2024. Gut gemeint, aber streichenswert. Er mag ein lausiger Fotograf sein, ist aber ein toller Rechercheur und Schreiber. Und noch einmal: Der Mann weiß Bescheid. Davon zeugt allein schon, dass er nebst all der Lobpreisung für (und wohldosierten Kritik an) Slayer nicht vergisst, in einem völlig ungefragten Rant nebenbei Dave Grohl und dessen Foo Fighters als "the lamest thing that has ever came down the pike" und den größten Mainstream-Scharlatan des Rock'n'Roll herunterzuputzen. Fuckin' true!
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1 Kommentar mit einer Antwort
Denke, das könnte Musik für Schwingster sein. Die Leute, die in dem Text erwähnt werden, sind offensichtlich äußerst musikalisch und auch künstlerisch aktiv.
Thrash gern, Slayer nö, zu oldschool für mich.