Still Reigning mit Lamb Of God, Anthrax und Obituary: die Thrash-Legende ein letztes Mal live. Gitarrist Gary Holt verlässt derweil die Band.
Berlin (mab) - Blut regnet es zwar keines an diesem 1. Advent 2018 in Berlin, sondern nur schnödes Wasser. Trotzdem besteht, sobald man die S-Bahn an der Warschauer Straße verlässt, kein Zweifel mehr, wer heute hier die nahe gelegene Mercedes-Benz-Arena bespielt. Schon um 17 Uhr trägt ein Großteil der Passanten im Kiez entweder Kutte oder Slayer-Logo, selbst ein plüschköpfiger Flyerverteiler an der Currywurstbude trägt ein Shirt der abdankenden Kings of Thrash.
Nach dem Metalldetektorcheck in den sterilen Hallen der Eishockey-Arena (wo am Vortag noch Roland Kaiser zirpte) angekommen, herrscht erst mal Ernüchterung - im wahrsten Sinne des Wortes, denn sechs Euro pro 0,5er-Bier bringt selbst trinkfeste Wacken-Veteranen ins Grübeln. Ein neues Tourshirt wollte man schließlich auch noch besorgen. Und das ist für 35 Euro ebenfalls nicht gerade günstig.
Obituary, Anthrax und Lamb Of God legen vor
Aber weiter nachdenken geht ohnehin nicht mehr, einerseits weil im Foyer Metallica läuft, wofür man nun wirklich nicht gekommen ist. Andererseits, weil bereits um zehn vor Sechs Obituary auf der Matte stehen. Kurz nach Sechs killen sie die Soundanlage und müssen die Halle während "Straight To Hell" und "I'm In Pain" über ihre Amps beschallen. Basser Terry Butler schlägt sich dabei am besten. Zwar muss die Florida-Institution während der Panne einige Pfiffe einstecken. Als die PA wieder läuft, wird der Jubel dafür laute,r als um diese Uhrzeit zu erwarten wäre.
Zum bollernden Death Metal der Gebrüder Tardy wärmt immerhin die erste Reihe ihre Nacken auf, der Rest der Crowd schont sich noch. Als Anthrax nach angenehm kurzer Umbaupause "Caught In A Mosh" anstimmen, setzen zum Glück ein paar mehr Leute den Songtitel in die Tat um. Die Stagemoves des Big-4-Nesthäkchens kennt man dank omnipräsenter Festivalbespaßung in den vergangenen Jahren zur Genüge: Scott Ians Stampfen mit Zitterbärtchen und Frankie Bellos Overacting zu "Got The Time", "Indians" und Co. unterhalten aber immer noch bestens. Joey Belladonna schnappt sich auch das Arbeitsgerät eines Kameramanns und flaniert kurz damit über die Bühne.
Wahrscheinlich hätte ein Großteil der Fans lieber Anthrax als Lamb Of God in der Position des Main-Supports gesehen. Die Truppe aus "Richmond, motherfucking Virginia" fällt im Oldschool-Billing etwas aus dem Rahmen, und so dauert es eine Weile, bis die längst "Slöööyööör" schnaufenden Menschen ihren Bewegungsdrang wiederentdecken. Irgendwann hat Randy Blythe die Meute dann aber doch im Griff und der Pit öffnet sich noch ein bisschen weiter als bei Anthrax. Die Groove-Maschine läuft wie geschmiert. Und das, obwohl Taktgeber Chris Adler aktuell fehlt. Props an Ersatzmann Art Cruz, denn hier am Schlagzeug einzuspringen, ist beileibe kein einfacher Job.
Nicht nur Slayer-Fans trauern ...
Einen Ersatzmann haben auch Slayer bereits im Reisegepäck, auch wenn er heute noch backstage versteckt bleibt: Machine Head-Gitarrist Phil Demmel. Denn direkt im Anschluss an die heutige Show verkündet Gary Holt, dass er den Tourtross verlassen wird. Sein Vater liegt im Sterben, er muss zurück in die USA. "Der heutige Abend endete mit Tränen während 'Angel Of Death'", schreibt er auf Instagram. "Aber die Crowd holte das Beste aus mir heraus. Danke aus tiefstem Herzen. Ich liebe euch alle." Phil Demmel wird die verbleibenden Konzerte der laufenden Europa-Tour absolvieren, Holt will im März 2019 zur Band zurückkehren.
Etwa anderthalb Stunden vor "Angel Of Death" und der damit ob des nahenden Abschieds einkehrenden Trauerstimmung erfasst Ehrfurcht die Mercedes-Benz-Arena. Flammenwände schießen auf der Bühne empor, des Metallers liebster Schlachtruf schallt aus Tausenden Kehlen durch die Nacht, und "Delusions Of Saviour" erklingt als Intro. Ganz lässig schlendern Tom Araya, Kerry King, Gary Holt und Paul Bostaph auf die Bretter und starten "Repentless".
Viel Pyrotechnik, wenig Worte
Nur zweimal bequemt sich Tom Araya im Laufe des Sets mit dem Publikum zu sprechen: Vor "War Ensemble" – "Thank you for coming tonight. I'll count to three and then I want you to scream 'war'. Can you do that? Eins, zwei drei.", und vor "Payback" – "Life is what you give it, not what you take. Payback's a bitch.". Slayer sind zwar nicht gerade als Redenschwinger bekannt, bei einer Abschiedstournee hätte es aber durchaus ein paar mehr Sätze sein dürfen. Bei dieser Wortkargheit wünscht man sich beinahe schon ein bisschen Waffen-Nonsens.
Den Mangel an Worten macht die Band mit einem Überangebot an Pyro wett. Slayer haben genug Feuer, um die Adventskränze ganz Berlins den gesamten Dezember lang brennen zu lassen und machen davon bei fast jedem Song Gebrauch. Sehr stimmungsvoll: Die Flammenstöße dreier Installationen schießen so durch die Luft, dass zwei umgedrehte Kreuze (eines links, eines rechts) sowie ein Pentagram (in der Mitte) entstehen. Der arme Paul Bostaph hockt mit seinen Kesseln genau dazwischen und dürfte sich nach Ende der Tour wahrscheinlich für die Rechte von Brathähnchen engagieren. So verzeiht man ihm auch den ein oder anderen nicht so tighten Schlag.
Brutal (gut) wie eh und je
Die Setlist bleibt ohne Überraschungen - und das ist gut so. Schließlich will jeder noch mal die Klassiker hören. Fast alle Alben kommen zum Zug, nur "Undisputed Attitude" und "Diabolus In Musica" bleiben außen vor - und auch das ist wahrscheinlich gut so. Schon, dass Nummern wie "Jihad", "Mandatory Suicide", "War Ensemble" und "Disciple" in den Block der ersten sieben Songs gepresst werden müssen, zeigt, was Slayer in ihrer Karriere geleistet haben.
Spätestens als sie mit flirrenden Handgelenken durch "Dittohead" rasen, wundert man sich, dass die teils weit über 50-jährigen Herren auf der Bühne überhaupt noch zu so etwas im Stande sind. Slayer waren und sind die extremste Band der sogenannten Big Four of Thrash Metal, und das lassen sie ihr Publikum (das größtenteils zu alt ist, um den Nacken noch wie früher kreisen zu lassen), auch spüren. Auch fast 40 Jahre nach ihrer Genesis strahlt das Quartett dank der Songs eine Brutalität und Gewalt auf der Bühne aus wie es nur ganz wenige, auch mit anderen Härtestandards aufgewachsenen jüngere Kollegen erreichen.
Das liegt mittlerweile nicht mehr an den humorbefreit runtergezockten Riffs Kerry Kings, wohl aber an der Stimme Tom Arayas. Der spürt den Hunger vermutlich selbst nicht mehr zu arg, schafft es aber, es klingen zu lassen, als würde er. Klar, Reverb auf seinem Mikrofon hilft, alles noch etwas anzufetten. Doch scheiß drauf: Schreie wie zu "War Ensemble" reichen allemal für eine saftige Gänsepelle. Um das ein letztes Mal live zu hören, lohnt es sich sogar, 80 Euro Eintrittspreis zu berappen.
Das Beste kommt zum Schluss
Zum Abschluss gibts dann Metalhistorie als Energy-Shot: "South Of Heaven", "Raining Blood", "Chemical Warfare" und "Angel Of Death" (mit Jeff Hanneman-Gedenkbanner) brennen Berlin um kurz nach 22 Uhr auch ohne Flammensäulen nieder. Wie routiniert und unaufgeregt Araya und King dieses Highlight runterreißen, bestätigt aber auch, dass die Entscheidung zur Abschiedstour richtig war.
Ein paar Glückliche ergattern noch Plektrums von Gary Holt oder Kerry King oder Grillstöckchen von Paul Bostaph. Und alle bekommen ein Grinsen von Tom Araya. Regungslos baut sich der Frontmann für jeweils mehrere Minuten am linken, rechten und mittigen Bühnenrand auf und strahlt seinen Fans entgegen. Spaß hatte er trotz aller Routine also doch. Und wir hatten ihn auch. Sind halt Slayer, ne?
Im Sommer schlagen die Amerikaner übrigens noch einmal für Abschiedsshows bei Rock am Ring/Rock im Park auf - dann steht Gary Holt vermutlich auch wieder an der Gitarre.
Die Berliner Setlist:
- Repentless
- Blood Red
- Disciple
- Mandatory Suicide
- Hate Worldwide
- War Ensemble
- Jihad
- When The Stillness Comes
- Postmortem
- Black Magic
- Payback
- Seasons In The Abyss
- Dittohead
- Dead Skin Mask
- Hell Awaits
- South Of Heaven
- Raining Blood
- Chemical Warfare
- Angel Of Death
1 Kommentar
Durfte Sie in München sehen. Die haben die Olympiahalle abgefackelt, pryrotechnisch wie musikalisch. Die alten Herren sind immer noch eine Macht.