Am Samstag bringen Silbermond, Kraftklub und Lana Del Rey die Meute noch mal in Wallung, ehe in der Kurstadt wieder Ruhe einkehrt.
Baden-Baden (laut) - Baden-Baden rollt wieder einmal den roten Teppich aus, denn für drei Tage verwandelt sich die Kurstadt in ein Festivalparadies der gehobenen Klasse. Jung und Alt putzen sich heraus für die Konzerte zahlreicher Pop-Newcomer in den prachtvollsten Kulturhäusern der Stadt. Den Auftakt liefert ein junger Brite, der die Herzen des Publikums höher schlagen lässt.
Es ist Punkt 19 Uhr, als ein ziemlich kleiner Olly Murs die Bühne betritt. Tighte Jeans, ein Hut und eine geballte Ladung Energie, mehr braucht es nicht, um Teenies und eine ganze Menge 'Desperate Housewives' in Ekstase zu versetzen.
New Pop, Tag 1 mit Olly Murs, Of Monsters And Men etc.
Sobald die ersten Töne des Openers erklingen, verwandelt sich das Festspielhaus in eine Oase der guten Laune. Ein Mix aus Soul, Pop und Reggae, der in die Beine fährt. Vor allem in seine. Ein Kick nach vorne, einen Moonwalk hinterher und jede Menge flotter Tanzschritte. Entertainen kann der Zweitplatzierte der britischen Ausgabe von X-Factor ohne Zweifel.
Auch stimmlich überzeugt er eine knappe Stunde ohne große Patzer. Die Highlights seines Albums und jede Menge Cover, wie Aloe Blaccs "I Need A Dollar" oder ein fast zehnminütiges Stevie Wonder-Medley bringen das Publikum zum Ausrasten.
Doch irgendwie wird man den Gedanken nicht ganz los, dass dort der britische Bruno Mars auf der Bühne steht. Nur kann er mit dem eben doch nicht so ganz mithalten. Erstens hat der US-Superstar mehr Erfahrung und zweitens wohl auch die besseren Produzenten. Denn Brunos Lieder sind einfach ein Hitgarant.
Und auch Ollys Bläser kommen leider nur vom Band und die Background-Sänger scheinen ihn in den Boden zu singen. Doch eine ordentliche Portion Entertainment und gute Laune genügen dem Publikum, denn als sein Nummer-Eins-Hit "Heart Skips A Beat" das große Finale einläutet, ist niemand mehr zu halten.
Das Kontrastprogramm zu Alleinunterhalter Olly Murs liefern Of Monsters And Men. Da Keyboarder Árni Guðjónsson aus familiären Gründen in die Heimat zurück musste, steht das Konzert der isländischen Newcomer sogar kurz auf der Kippe. Ersatz findet sich in Form eines Multitalents: Trompeterin Ragnhildur Gunnarsdóttir, die auch andere isländische Künstler live unterstützt, übernimmt neben der Tröte auch Akkordeon und Keyboard. Bewundernswert ist nicht nur, wie sie teilweise zwei Instrumente gleichzeitig beherrscht, sondern das Zusammenspiel der sechs Musiker insgesamt.
Wie eine Familie wirken sie, etwas skurril und eigensinnig, aber sehr authentisch. Auch die Stimmen von Sänger Ragnar Þórhallsson und seinem weiblichen Gegenstück Nanna Hilmarsdóttir übertreffen die Erwartungen bei weitem. Es scheint, als verzauberten sie jeden einzelnen im ausverkauften Saal des Kurhauses. Neben den Songs aus ihrem Album bringt die Band mit "Skeleton" außerdem eine Coverversion der Yeah Yeah Yeahs zu Gehör. Nachdem ihr Nummer-Eins-Hit "Little Talks" zunächst das Ende einleitet, stürmen sie für zwei Zugaben noch einmal die Bühne - die Fans danken es ihnen mit tosendem Applaus.
New Pop, Tag 2 mit Fun, Michael Kiwanuka, Cro etc.
Freitag: Das Festspielhaus brennt, als der Opener des zweiten Abends seinen Song "We Are Young" zum Besten gibt. Doch diese vier Minuten sind leider auch die einzigen, in der man eine mitgerissene Menge wahrnimmt. Ansonsten präsentiert sich die New Yorker Band Fun. eher verhalten. Die anderen Stücke ihres Albums "Some Nights" wurden eher höflich wahrgenommen als ekstatisch mitgefiebert. Kein ansatzweise ähnlicher Überhit findet sich im Repertoire der drei Musiker. Einzig ihr Rolling Stones-Cover "You Can't Always Get What You Want" animiert das Publikum noch einmal zum Mitgrölen. Ein leicht verdauliches Konzert mit eingängigen Songs, die aber kaum größere Wirkung hinterlassen.
Probleme, mit denen sich Hype-Rapper Cro zu keiner Sekunde auseinandersetzen muss. Was der 22–Jährige im Kurhaus abliefert, ist purer Ausnahmezustand. Kreischende Teenies, die ab der ersten Minute jedes Lied auswendig singen. Selbst die Eltern auf den Balkonen sind nicht wiederzuerkennen. Sprünge, Kopfnicken, Hands in the Air und vor allem ganz viel Liebe.
Hier kommt kein Rapper auf die Bühne, um zu pöbeln oder Sprüche abzulassen. Cro propagiert Harmonie: "Umarmt euren Nachbarn", "Schließt die Augen, wünscht euch was Schönes", und die Kiddies gehen steil drauf. Sogar mit richtiger Band ist der Stuttgarter angereist. Nicht nur DJ Psaiko ist dabei, sondern auch Drummer und Bassist. Zusammen wirken sie wie beste Kumpels, die zwischen jedem Song ein bisschen Smalltalk führen und sich dem Publikum als bodenständige Typen von nebenan präsentieren.
Selbst eingefleischte Cro-Hasser hätten diesen Abend wohl nicht ohne Gänsehaut überstanden, denn spätestens als die Menge seinen Nummer-Eins-Hit "Easy" acapella singt, wird auch der letzte in seinen Bann gerissen. Cro verkauft sich mit seiner "Die Welt ist geil!"-Einstellung ziemlich gut.
Das Kontrastprogramm zu ihm findet man bei Soulsänger Michael Kiwanuka. Der Londoner bietet zwar keine große Show, dafür allerdings eine herausragende Stimme, viel Wärme und Songs, die unter die Haut gehen.
Ausstaffiert mit Musikern, die aussehen wie eine britische Indie-Band, bezaubert Kiwanuka das Publikum über eine Stunde lang mit seinem gefühlvollen Retro-Soul.
Dieser erinnert zum Teil stark an die musikalischen Helden der 70er, wie Al Green oder Bill Withers, behält aber doch seine ganz eigene Note. Selbst dem Jimi Hendrix-Klassiker "Tell Me A Tale" verpasst er neue Farbe. Manchmal scheint es sogar, als sei man Besucher einer Jam-Session. Nach über eine Stunde endet der Nostalgietrip des Sängers. Er hinterlässt ein rundum glückliches Publikum.
New Pop, Tag 3 mit Silbermond, Kraftklub, Lana Del Rey etc.
Samstag: Für einen stimmungsvollen Auftakt am dritten Festivaltag sorgen die Jungs von Kraftklub. Kaum betreten die Chemnitzer die Bühne, tobt das Publikum, als wäre es schon seit Stunden in Ekstase. Dabei ist Baden-Baden ja eigentlich die "unfestivalhafteste Stadt für ein Festival", wie Sänger Felix Brummer feststellt. Dennoch haben Kraftklub mindestens genauso viel Spaß wie die begeisterte Menge. Mit ihrem bengelhaften Aussehen und den meist sarkastischen Texten versprühen sie unglaublich viel Charme. Bei den meisten Songs aus ihrem Erfolgsalbum "Mit K" wird gesprungen und gepogt ohne Ende. Nach über einer Stunde gehen sie von der Bühne und hinterlassen die Fans ausgepowert und schweißnass bis auf die Haut.
Auch dieses Jahr findet am letzten Festivaltag das New Pop-Special statt. Diesmal dabei: Lana del Rey, Loreen und Marlon Roudette. Durch den Abend führt die hochschwangere Barbara Schöneberger, die das Publikum gewohnt souverän unterhält.
Eröffnet wird das Special aber von Silbermond, die das Festspielhaus erstaunlich rocken. Songs wie "Irgendwas bleibt" oder "Himmel Auf" werden ausgiebig gefeiert. Standing Ovations gibts obendrein. Auch die Akustik-Version von Aretha Franklins Superhit "Respect" stößt auf Wohlwollen.
Knappe 15 Minuten später tapst auch schon das Highlight des Abends auf die Bühne: Eine zerbrechliche, schüchterne Lana Del Rey, der die Aufmerksamkeit schon fast etwas unangenehm scheint. Nach ausgiebigem Applaus wird es plötzlich still im Saal und Lana singt sich mit "Video Games", "Million Dollar Baby" und ihrem Hit "Summertime Sadness" in die Herzen des Publikums. Die opulente Location, Lanas Organ und ganz viel Drama verwandeln das Festspielhaus für kurze Zeit in eine Achterbahnfahrt der Emotionen. Fasziniert sind sie jedenfalls alle von der schönen Person auf der Bühne.
Auch die nächste Künstlerin ist durchaus schön anzusehen: Die dänische Newcomerin Medina rockt die Bühne im Leder-Mini und 15cm High-Heels mit einer bewundernswerten Leichtigkeit. Auch stimmlich kann sie mit ihren Dancefloor-Hits "You And I" und "Forever" überzeugen. Trotzdem wird man das Gefühl nicht los, dass hier jemand versucht einen auf Lady Gaga zu machen. Sogar äußerlich sehen sich die beiden erstaunlich ähnlich. Dem Publikum gefällts trotzdem.
Zu einem festen Programmpunkt ist mittlerweile die Verleihung des New-Pop-Awards geworden, den die schwedische Grand-Prix-Gewinnerin Loreen für sich entscheiden kann. Als Dankeschön performt sie ihren Nummer-Eins Hit "Euphoria". Euphorie wird bei ihrem Auftritt jedoch gänzlich vermisst. In eine schwarze Kutte gehüllt mit silbernen Plastik-Schulterpolstern sieht die Schwedin trist und düster aus. Und auch ihre Capoera ähnliche Choreografie sorgt für eher verwirrte Gesichter im Publikum. Der Song zieht trotzdem und der ein oder andere legt sogar eine flotte Sohle aufs Parkett.
DJ Paul van Dyk hat sich zwar in den letzten Jahren eher rar gemacht, beweist beim SWR3 Special aber, dass er noch immer gut dabei ist. Gemeinsam mit einem Taio Cruz-Verschnitt stellt er eine mitreißende Show auf die Beine, wenn auch nur für zwei Songs. Nachdem Barbara Schöneberger ihn auf seine vielen bisherigen Flugstunden anspricht, packt sie auch gleich die obligatorischen Sicherheitshinweise aus. Dazu muss Paul die passenden Flugbegleiter-Gesten vormachen, was für viele Lacher im Publikum sorgt.
Das Künstlerkollektiv Caligola, mit dem der DJ auch hin und wieder zusammen arbeitet, gibt im Anschluss ihren Song "Forgive Forget" zum Besten. Paul unterlegt den Song derweil mit seinen Techno-Beats. Sind Caligola anfangs noch schwarz vermummte Gestalten, lassen sie sehr bald die Hüllen fallen und begeistern mit einem fetzigen Sound sowie zwei heißen Tänzerinnen.
Marlon Roudette, einst Teil des Duos Madcon, wandelt bekanntlich seit geraumer Zeit auf Solo-Pfaden. In Baden-Baden gibt er seine Hits "New Age" und "Empty Hero" zum Besten. Der Saal verwandelt sich in ein Lichtermeer, das Publikum gibt sich textsicher. Danach beeindruckt Marlon Barbara Schöneberger damit, dass er ein pfannenartiges Intrument aus seiner Heimat , der Karibik, beherrscht. "I'm already in love with you!", so Barbara ganz entzückt.
Sänger Eagle Eye Cherry lässt sich vor seinem Auftritt noch kurz auf der Couch nieder, wo er nachgespielte Ausschnitte von Filmklassikern erraten muss. Der Schwede ist den meisten noch aus den Neunzigern bekannt: "Save Tonight" stürmte damals 1998 die Charts, in Baden-Baden leitet es das Ende eines gelungenen New Pop Specials ein.
Mit solch friedlichen Klängen kann das Festival allerdings noch nicht ganz zu Ende gehen, ein Act will noch performen. So heizen sehr spät am Abend Caligola den Besuchern des Kurhauses noch eine Stunde lang kräftig ein. Björn Dixgård und Gustaf Norén von Mando Diao, die gesanglich an der Front stehen, verbreiten mit einer Mischung aus Soul und Rock jede Menge Partystimmung und entlassen die begeisterte Menge damit in die Nacht.
12 Kommentare
Ein "New Pop"-Festival? Das gibt's ohne Scheiß wirklich?
Wer braucht das? Ihr habt doch Bohlen.
Das Festival gibts immerhin seit 1994, also deutlich länger als DSDS und Konsorten. Und das New Pop Festival zeigte mit seiner Künstlerauswahl deutlich mehr Mut und lag deshalb auch schon häufiger richtig. Wohlgemerkt oft auch bevor die Künstler richtig durchgestartet sind.
Außerdem ist das die einzige Woche im Jahr, in der dieses tote (aber zugegeben sehr schöne) Scheißkaff mal zum Leben erwacht.
Soso, sie saingen also. Stimmt, man weiß ja nich, ob sie's nich immernoch tun.
Y'akoto ist auch eine gute Künstlerin.
Yakoto ist eine junge Göttin! Mein völliger Ernst. Selten live so was schönes erlebt und ja, ich meine vor allem die Musik / Ihren Gesang.
@NoUse:
Ich bin diesem Sender häufig schutzlos ausgeliefert... Dies ist meine Leidensgeschichte.
Dann stehst Du halt drauf, hab' ich auch kein Problem mit. An meiner Meinung ändert das aber nichts. Und wie Soulburn schon feststellt: es taucht ja auch mal etwas wirklich nettes auf, aber da besuche ich doch lieber einen Gig.