4. September 2017

"Muse machen 'Dad-Rock'"

Interview geführt von

Heißer Spätsommer, dunkler Doom-Metal. Wie passt das zusammen? Vermutlich gar nicht. Aber davon lassen sich Paradise Lost nicht beirren und laden zu einer frischen Interview-Runde in ein übertrieben klimatisiertes Hotel. Ein Gespräch über das neue Album, Eisblöcke als Behausungen, den Brexit und das leckere deutsche Essen.

Der frühe Vogel fängt den Wurm. Denken sich auch die Promotionsmenschen rund um Paradise Lost und beginnen dreieinhalb Monate vor dem Release des neuen Albums "Medusa" mit der Werbearbeit. Ich treffe mich Ende Mai zum Plausch mit Nick Holmes und Greg Mackintosh. Einige Fragen aus dem Interview, speziell die nach dem Cover-Artwork, sind inzwischen nicht mehr aktuell, aber immer noch unterhaltsam. Denn die beiden Nordengländer versprühen beste Laune und befinden sich in Redestimmung.

"The Plague Within" hat sich sehr gut verkauft. Fühltet ihr euch jetzt unter Druck, das zu wiederholen?

Greg: Überhaupt nicht. Du hast das neue Album "Medusa" ja gehört. Das ist viel weniger kommerziell zugänglich als "The Plague Within". Schau dir alleine die Opener an. "No Hope In Sight" ging gut ins Ohr, jetzt haben wir einen langsamen Achtminüter als ersten Song. Wir fühlen uns aber nie unter Druck. Du kannst eh nicht vorhersagen, was den Leuten gefallen wird. Die musikalische Landschaft verändert sich auch. Wenn du Druck spürst und versuchst, etwas zu wiederholen, ist das eine zynische Art des Songwritings. Und nicht produktiv.

Das Label hat euch also nicht unter Druck gesetzt.

Nick: Nein, die wollten das Album im Vorfeld nicht mal hören. Wenn wir jetzt gesagt hätten, wir machen eine dicke Keyboard-Platte, hätten sie sich vielleicht gemeldet. Aber sie wussten wohl, dass wir ein hartes Album machen würden. Es ist weniger eingängig, die Songs brauchen etwas mehr Zeit, um sich zu enfalten. Ich hab's mir gestern Nacht noch mal angehört. Die Hooklines setzen sich erst nach einer gewissen Zeit fest.

"The Plague Within" ging hier in Deutschland bis auf Platz 7. Interessiert euch kommerzieller Erfolg überhaupt?

Greg: Letztlich sagt das nur aus, dass dein Bekanntheitsgrad etwas größer geworden ist, zu einem bestimmten Zeitpunkt. Wenn das Album in so hohe Regionen vorstößt, werden mehr Magazine auf dich aufmerksam. In dieser Hinsicht ist es wohl nützlich. Aber schau dir an, welche Art von Formaten inzwischen rauskommt, nur um Umsatz zu generieren. Man weiß gar nicht mehr, wem man glauben soll, wenn es um sowas wie Erfolg geht. Seit Spotify kann ich gar nicht mehr sagen, wer erfolgreich ist und wer nicht.

Nick: Die Charts bedeuten heute doch nichts mehr. So wie die Oscars. Nett, einen zu bekommen, aber mehr als ein Kopfnicken ist das nicht.

Da gerade Spotify erwähnt wurde: Was haltet ihr von diesen neuen Musikvertriebswegen?

Greg: Ich hasse es. Meiner Meinung nach ist es das kommerzielle Gesicht des Raubkopierens. Zuerst haben die Leute Zeug kostenlos runtergeladen und dafür gesorgt, dass sich Plattenverkäufe in nichts auflösten. Dann kam Spotify. Bands verdienen weiterhin nichts, aber die Leute glauben, es wäre vollkommen akzeptabel. Diese bittere Pille müssen wir leider schlucken.

Nick: Ich kenne eine Menge Leute, die Spotify benutzen. Meine Frau zum Beispiel. Ich benutze eher Youtube. Sogar, wenn es Musik ist, die ich besitze. Geht einfach schneller. Ich hab Spotify zwar auch installiert, benutze es aber nicht. Ich mag's einfach nicht.

Greg: Für neuere Bands finde ich Bandcamp toll. Ich habe da schon eine Menge kleinerer Bands entdeckt. Du hörst dir deren Zeug an und kannst es sofort kaufen. Und die bekommen auch das ganze Geld, abzüglich einer kleinen Gebühr für Bandcamp. Es ist ein fantastisches Werkzeug für jüngere Bands.

Nick: Was ich bei all diesen Diensten sinnvoll finde, sind die Empfehlungen für ähnliche Musik. Youtube liegt da fast immer richtig. Da kannst du Stunden mit dem Hören von neuer Musik verbringen und auf neues Zeug stoßen, das dir gefällt. Es ist bizarr, wie gut die wissen, was du willst. Uns wird immer gesagt, wir sollten mehr auf Spotify machen und so, aber ich halte nichts davon.

Kehren wir zum Album zurück. "Medusa" ist für meinen Geschmack langsamer und härter als "The Plague Within". Habt ihr das so geplant?

Greg: Ja, das war der Plan. Der letzte Song, den wir für "The Plague Within" geschrieben hatten, war "Beneath Broken Earth", eine schnelle Songwriting-Idee. Wir waren da schon im Studio und dachten: Wir brauchen einen weiteren Song, lasst mal eine Doom-Nummer machen. Und das war dann besagtes Stück. Das hat sehr gut funktioniert und wir mochten den Song, also haben wir beschlossen, ein ganzes Album in diesem Stil zu machen. Odder zumindest so ähnlich. Ja, so eine einfache Entscheidung war es letztlich.

Welche textlichen Konzepte verfolgt ihr dieses Mal?

Nick: Ich schreibe eigentlich immer über dasselbe, ob ich nun 17 bin oder jetzt 46. Was sich ändert, ist lediglich die Altersperspektive. Außerdem stelle ich in der Retrospektive fest, dass sich nichts im Leben wirklich ändert. Nur die Leute, die bestimmte Dinge tun, sind jetzt andere. Religion bleibt für mich ein konstantes Interesse, es amüsiert mich und ekelt mich zu gleichen Teilen an. Oder das Klima. Wir haben gar keine Winter mehr in England, nur noch durchgehend beschissenes Wetter. In den 1970ern gab es noch große Schneestürme. Wenn ich das meinen Kindern erzähle, können sie es gar nicht glauben. Ich habe keine Ahnung, was da los ist. Wir sind Menschen, der Planet braucht uns nicht und wird auch ohne uns weitermachen.

Greg: Die Leute, die den Klimawandel leugnen, sagen immer, die Erde hätte schon immer Phasen und Epochen von Hitze und Kälte durchlaufen. Das stimmt, aber nicht in so kurzer Zeit, nicht über dreißig Jahre. Wir reden da eher von Tausenden oder Hunderttausenden von Jahren. Wenn eine derartige Veränderung nur dreißig Jahre braucht, stimmt einfach was nicht.

Nick: Wir sind auf dem Weg in neue Eiszeit.

Greg: Mir recht, ich mag kaltes Wetter.

Nick: Er würde am liebsten in einem Eisblock leben, haha. Das erinnert mich an Donald Trump. Der sagt ja, dass seine Haarsprays das Bad nicht verlassen. Er behauptet, wenn er was versprüht, dann würde das ja in diesem Zimmer bleiben, haha. Daher könne es gar keinen Klimawandel geben. Ich hab mir heute morgen eine halbe Stunde Clips mit ihm angesehen, er fasziniert mich.

Wo wir schon von Politik reden, würde ich gerne eine Frage einwerfen. Wie sieht das politische Klima in England seit dem Brexit aus?

Nick: Die Wahlen stehen vor der Tür. Unsere Politiker spielen sich einfach den Ball hin und her, aber England muss sich jetzt wirklich drum kümmern, dass dieses Chaos geklärt wird. Theresa May ist nur durch Zufall Premierministerin geworden und alle nörgeln an ihr herum. Dabei hat sie noch gar nichts gemacht.

Greg: Die müssen sich mal zusammreißen. Momentan verhalten sie sich wie kleine Kinder und zanken herum, warum das passiert ist. Die Diskussion ist müßig. Wir haben nun mal den Zustand, den wir jetzt haben und müssen schauen, dass wir weitermachen. Auf kurze Sicht wird der Brexit negative Auswirkungen haben, auf lange Sicht müssen wir mal sehen. Wir sollten versuchen, etwas daraus zu machen, vielleicht neue Industrien anzusiedeln, anstatt sich so auf den Banksektor zu konzentrieren. Es wird zu viel herumgestritten.

Ihr lebt immer noch in Nordengland. Ich war vor zwei Jahren mal da und konnte mir ein eigenes Bild machen, wie wirtschaftlich abgehängt die Gegend ist. Hatte und hat das Einfluss auf euer Songwriting?

Nick: Eigentlich eher das Wetter. Gestern hat uns jemand gefragt, wie wir klingen würden, wenn wir aus Florida kämen. Sicherlich anders. Einen gewissen Einfluss hat die Umgebung also schon.

Greg: Diese Mischung aus wirtschaftlichem Mangel und rauher Landschaft muss die musikalische Geschichte unserer Gegend beeinflusst haben, natürlich. Wenn du alleine an Leeds und Bradford denkst, an The Cult, Sisters Of Mercy, New Model Army, My Dying Bride oder uns, da steckt schon was davon drin.

"Vom Wort 'Artwork' bekommen wir Ausschlag"

Wie entstehen denn die Texte, Nick? Sie sind ja oft schwer zu greifen, aber irgendwie dunkel und nihilistisch.

Nick: Mehrdeutigkeit ist ein Wort, das ich hierfür gerne benutze. Letzten Endes geht es darum, die Melodielinien mit den Worten zu vereinen und auf den Song anzupassen. Ich denke mir eine Textzeile aus und lege sie auf ein Riff. Manchmal habe ich sofort einen Satz, der richtig gut funktioniert, manchmal nicht. Beim rauhen Gesang müssen die Worte vor allem rhythmisch passen, zum Hook. Greg schickt mir Musik und ich mache dann einige Takes, sowohl clean als auch Growling. Die sende ich dann zurück und Greg bastelt mehr Musik drumrum.

Greg: Ich mag den Puzzle-Ansatz. Er liefert mir so viele verschiedene Vocal-Takes wie möglich und dann baue ich was zusammen. Es ist eine schnelle Art zu arbeiten und wir haben erst beim letzten Album mit dieser Methode angefangen.

Wie entscheidet ihr denn, ob ein Song harsche oder cleane Vocals braucht?

Nick: Für mich ist das offensichtlich. Cleane Vocals funktionieren meist nicht zu sehr dunklen, doomigen Gitarren. Wenn ich die gleiche Zeile dann mit Growling versuche, denke ich oft: Wow, genauso muss es sich anhören. Für mich sind harsche Vocals ein weiteres Instrument, ich betrachte das nicht als Singen.

Könnt ihr euch vorstellen, ein ganzes Album nur mit Growls zu machen? Oder nur mit cleanem Gesang?

Nick: Die neue hat fast nur Growls.

Greg: Klar können wir uns das vorstellen. Wir haben bei jedem einzelnen Song auch cleane Vocals ausprobiert und wirklich alle Möglichkeiten durchprobiert. Am Ende geht es um die Dynamik eines Stücks.

Nick: Ja, Dynamik. Ich hab auch versucht, über softere Teile zu growlen, aber das klang einfach lächerlich. Da musste einfach Klargesang hin. In meinem Kopf klingt es sofort richtig oder falsch. Zum Glück kannst du mit der modernen Digitaltechnik stundenlang irgendwelchen Kram ausprobieren. Diesen Luxus hatten wir ja früher überhaupt nicht.

Ihr habt zum zweiten Mal mit Jaime Gomez Arellano gearbeitet. Wie viel Einfluss kann ein Produzent bei euch durchsetzen? Oder ist es mehr Knöpfchendrücker?

Greg: Er ist mehr oder weniger Knöpfchendrücker.

Nick: Haha, wenn er das hört...

Greg: Das wird er nicht mögen, hahaha. Sagen wir, ich schätze seine Meinung als Knöpfchendrücker.

Nick: Ich kann mir gerade richtig vorstellen, wie er sagt: Was zur Hölle meint ihr mit Knöpfchendrücker?

Greg: Der Punkt ist, wir haben Ideen und wir wissen, was wir wollen. Aber wir wissen nicht, wie wir das erreichen können. Da kommt der Produzent ins Spiel, der diese Ziele für uns verwirklichen muss. Das ist die Produktionsseite.

Nick: Er weiß Dinge über Klänge, von denen wir keine Ahnung haben. Er hört merkwürdige Dingen zwischen den Frequenzen raus, die uns verborgen bleiben. Und er ist Schlagzeuger, damit beschäftigt er sich viel. Ich halte ihn für einen sehr guten Knöpfchendrücker.

Arbeitet er anders als beispielsweise Rhys Fulber?

Greg: Oh ja, ganz anders. Oder auch im Vergleich zu Jens Bogren. Das sind vollkommen unterschiedliche Arbeitsweisen. Jens Bogren geht am methodischsten vor, es geht ihm viel um die richtige Stimmung der Instrumente und um Perfektion.

Nick: Er hat klare Arbeitszeiten von acht bis 16 Uhr, von denen er auch nicht abweichen mag.

Greg: Ich kann nicht behaupten, dass es Spaß machen würde, mit Jens Bogren zu arbeiten.

Nick: Mir hat das nach einer Weile sehr gefallen. Weil ich bald wusste: Nach vier Uhr hast du den Abend frei und kannst machen, was du willst. Und die Wochenenden auch übrigens. Wie gesagt, sehr methodisch.

Greg: Gomez legt viel mehr Wert auf Experimente. Er will die beste Aufnahme und legt weniger Wert auf Perfektion, mehr auf den richtigen Ausdruck. Und das war genau das richtige, was wir für das letzte Album gebraucht haben, für das aktuelle erst recht.

Ihr habt mit Waltteri Vayrynen mal wieder einen neuen Schlagzeuger. Ist der nun festes Bandmitglied oder nicht? Eine Weile war er nur als Gastmusiker geführt.

Nick: Er ist jetzt dabei. Wir haben ihn mit einem Ritual in die Band aufgenommen, mit Ritterschlag und allem, haha. Wir haben ihn gerne dabei, er beherrscht sein Instrument super und ist vielseitig. Außerdem senkt er den Altersdurchschnitt der Band, haha. Der Unterschied fühlt sich aber nicht so stark an, er wirkt sehr reif für sein Alter.

Greg: Diese neuen Schlagzeuger sind von einer speziellen Gattung. Die sind mit Youtube und unglaublich vielen musikalischen Stilen aufgewachsen. Daher haben sie viel mehr auf dem Kasten als traditionelle Metal-Schlagzeuger. Drummer in unserem Alter aus dem Metalbereich sind technisch meist hervorragend. Aber wenn du denen vorschlägst, mal was zu improvisieren, stoßen sie schnell an ihre Grenzen. Das ist für jüngere Musiker wie Waltteri überhaupt kein Thema. Der zweite Song des neuen Albums, "Gods Of Ancient", enthält viel Improvisation.

Nach aktuellem Stand hat das Album immer noch kein Artwork. Was ist da los?

Nick: Wir hatten jemanden, jetzt haben wir niemanden mehr, haha. Aber wir finden schon noch was. Wir sind oldschool und wollen ein schönes Cover. Ich versuche, nicht drüber nachzudenken, es stresst mich.

Greg: Wir haben inzwischen so viele E-Mails zu dem Thema gewechselt, sobald jemand das Wort Artwork erwähnt, bekommen wir Zuckungen und Ausschläge, haha.

Nick: In unserem Artwork-Thread sind jetzt 160 Beiträge. Jedes Mal, wenn da eine neue E-Mail aufpoppt, bekomme ich Beklemmungen. Du klickst das mit feuchten Fingern an, schaust auf den Entwurf und ... seufz. Es ist ein Albtraum. In der alten Tagen sind wir einfach nach London gefahren und haben uns vor Ort mit Künstlern getroffen. Wir saßen alle an einem Tisch, gingen etliche Entwürfe durch und sprachen darüber. Das war produktiv, auch weil man den Leuten in die Augen schauen konnte. E-Mails auf der anderen Seite sind so kalt und unpersönlich. Für etwas so Subjektives wie Kunst ist das besonders schwierig.

Greg: Du musst dich einfach persönlich treffen, um künstlerische Ideen auszutauschen.

Nick: Das letzte Cover war auch schon ein Albtraum.

Greg: Aber es ging immerhin schneller als dieses jetzt.

Nick: Wir finden was. Ansonsten machen wir halt ein schwarzes Cover. Bei Metallica hast du damals auch gemerkt, dass sie nix Richtiges in der Hinterhand hatten. Aber hat es ihnen geschadet? Kein Stück. Im Gegenteil, es wurde das größte Album ihrer Karriere.

Es geht doch eh um die Songs.

Nick: Ich werde das im Hinterkopf behalten, wenn wir gerade wahnsinnig geworden sind, haha.

"Es ist wie mit den Schweinen und den Trögen"

Ihr habt vorhin die alten Tage erwähnt. Seht ihr euch als Überlebende der Metalszene?

Nick: Irgendwie schon. Es ist wie mit den Schweinen und den Trögen. Es gibt wenige Bands, die die ganze Zeit oben mitspielen können, ein paar Metallicas und Iron Maidens höchstens. Der Abstand zwischen Metallica und der nächst erfolgreichen Band ist riesig. Wenn ich schon die Bezeichnung "Big Four" höre! Es gibt nur eine einzige große Band in diesen "Big Four".

Und es schaut nicht so aus, als würde es Nachfolger geben.

Nick: Ganz genau. Die letzte Band, die dieses Niveau erreicht hat, ist Muse. Und die sind auch alles andere als neu.

Greg: Und kein Metal, sondern Dad-Rock. System Of A Down waren ebenfalls groß, aber auch das ist schon Jahre her. Diese Entwicklung resultiert meiner Meinung nach daraus, dass Musik so einfach verfügbar geworden ist und diesen Wegwerf-Charakter hat. Unsere Kinder laden sich ein Stück runter, wissen nicht mal den Namen des Stücks und würden keine Sekunde an den Gedanken verschwenden, das ganze Album zu kaufen. Das ist Wegwerf-Musik. Wie willst du als Musiker erwarten, dir auf dieser Basis eine Karriere aufbauen zu können?

Nick: Das Alben-Konzept löst sich wirklich in Luft auf. Meinen Kindern ist das auch egal, sie wollen das Album nicht, sondern nur diesen einen Song. Ich pack mir immer wieder an den Kopf. Es ist seltsam, wie Musik so entbehrlich geworden ist.

Verfolgt ihr aktuell noch, was im Metal so vor sich geht?

Nick: Ja, aber einzig und alleine aus dem Grund, damit ich Fragen nach neueren Bands beantworten kann und nicht wie ein Dinosaurier wirke. Moderner Metal liegt mir nicht.

Greg: Dem neueren Mainstream-Metal folge ich überhaupt nicht, aber dem Untergrund, über den ich bei Bandcamp was rausfinde. Da geh ich auch weiterhin zu Konzerten. Viele dieser Bands versuchen, ihre eigene Identität zu entwickeln. Im Mainstream wollen sie alle gleich klingen.

Was mich zu einer Frage bringt. Du hast einen sehr prägnanten Gitarrensound, Greg. Wie hast du den entwickelt?

Durch reinen Zufall. Ich hab mir selbst Gitarre spielen beigebracht. Es gab nicht den einen Supergitarristen, dem ich nachgeeifert bin. Wenn ich ein Lead spiele, dann versuche ich, dort anzusetzen, wo die Gesangsmelodie endet und diese etwas fortzusetzen. Ich hab nicht das Gefühl, ich müsste unbedingt Soli spielen oder das machen, was man als Gitarrist so tut. Ich habe das Ganze nie zerdacht, so spiele ich einfach. Außerdem kann ich auch gar nicht anders.

Nach so langer Zeit im Musikgeschäft, was hat sich eurer Meinung nach am stärksten verändert?

Nick: Vermutlich, wie sich die Einkommenssituation verteilt hat. Wo früher durch Veröffentlichungen am meisten Geld verdient wurde, ist heute gar nichts mehr. Es gab eine Zeit, wo alle in Panik verfallen sind, ob man mit Labels überhaupt noch irgendwas verdienen könnte. Seitdem ist es viel wichtiger geworden, live aufzutreten. Wenn du als Band eine Karriere haben willst, musst du live spielen, anders geht es nicht.

Greg: Diese schiere Masse an Festivals unterstreicht das. Früher war es eine überschaubare Anzahl, und heute? Die Festival-Saison wird auch immer länger, das konzentriert sich nicht länger nur auf Juni und Juli. Und die machen sich alle gut, die Leute wollen offensichtlich hingehen. Was wiederum die Club-Szene beeinträchtigt. Ich kenne Leute, die sparen ihr Geld, um zu diesem und jenem Festival zu gehen. Die siehst du bei keiner Einzelshow irgendwo. Viele Dinge haben sich verändert, manche zum Besseren, manche zum Schlechteren.

Spielt ihr gerne auf Festivals?

Greg: Ich bevorzuge Club-Shows, die sind besser planbar. Es ist schön, vor einem neuen Publikum aufzutreten und deinen Namen bekannter zu machen, aber du hast nicht deine eigene Technik dabei und kannst nichts kontrollieren. Du kommst dort oft nicht so rüber, wie du eigentlich rüberkommen möchtest.

Nick: Vom sozialen Standpunkt aus sind Festivals super. Du spielst ein paar Monate lang nur an den Wochenenden, zockst deinen Gig runter, besäufst dich und fliegst nach Hause. Das ist super. Du triffst ein paar alte Bekannte und am nächsten Tag bist du wieder auf dem Weg heim. Ich trete am liebsten in größeren Hallen auf, wo du eine vernünftige Live-Show auf die Bühne legen kannst. Aber in einem kleinen Loch vor 100 Zuschauern und mit miserabler Anlage? Das ist nichts so toll. Naja, beides hat seine Vor- und Nachteile.

Wie viele Leute zieht ihr diese Tage denn so?

Greg: Kommt auf das Land an.

Nick: Neulich haben wir in Moskau gespielt, da kamen fast 1500 Leute. Die Zahl hatte sich seit dem letzten Mal verdoppelt. Heutzutage kannst du nicht mehr vorhersagen, wie beliebt du irgendwo bist, das Internet verzerrt das. Der Vorteil ist aber, dass die Leute viel leichter an deine Musik kommen als früher und du an Orten auftreten kannst, wo du vorher niemals hingekommen wärst.

Greg: Um deine Frage ehrlich zu beantworten, zwischen 400 und 1500 Menschen kommen zu unseren Shows, je nach Stadt und Land.

Nick: Und nach Wochentag. Montags im Winter ist hart, haha.

Ich glaube, wir müssen langsam zum Ende kommen, die Promo-Dame wird etwas nervös. Also: Eure letzten beiden Alben waren wieder deutlich härter als die davor. Was hat dieses neue Interesse an harter Musik angefacht?

Greg: Dort liegen unsere Wurzeln, Anteile waren ja immer da. Auch, als wir "Host" gemacht haben, da schlief dieses Element einfach etwas tiefer. Du kannst deinem Ursprung nicht entkommen, der Musik, die du mit 16 gehört hast. Aber wir wollen es vor allem für uns selbst interessant halten. Wir möchten nicht am Band stehen und ständig denselben Kram raushauen. Die Dinge verlaufen in Zyklen, oder wie auch immer du das nennen möchtest. Wir machen immer das, worauf wir im Moment Lust haben. In fünf Jahren könnte es etwas vollkommen anderes sein, wer weiß? Hauptsache, es bleibt interessant. Wir verdienen nicht genug Geld damit, um Langeweile zu rechtfertigen. Wir könnten "Draconian Times 2" und "Draconian Times 3" aufnehmen, aber das wäre wirklich, wie in eine Fabrik zu arbeiten. Manche Bands sind damit zufrieden. Und ich sage weder, dass meine Art richtig ist noch ihre, es sind verschiedene Ansätze.

Ich freue mich auf die Tour im Herbst.

Nick: Wir spielen fast immer in den gleichen Clubs inzwischen.

Ich schätze, ihr wisst inzwischen, welche Clubs gut sind und welche nicht.

Nick: Die meisten Clubs in Deutschland sind heute ziemlich gut, in allen Bereichen. Aber wenn du dann beispielsweise nach Italien fährst, fasst du dir manchmal an den Kopf. Oder je weiter du nach Osten kommst, da haben die Läden teilweise keine Notausgänge und du hoffst, lebendig wieder rauszukommen, haha. Dieser Sicherheitsaspekt setzt sich erst in den letzten Jahren durch. Gut an Deutschland ist übrigens auch das Catering.

Greg: Ja, das Catering. Das war vor einigen Jahren noch schrecklich. In Hamburg gab es einen Typen namens Wolf, der hat nur Reis und Tiefkühlerbsen serviert. Wir waren damals alle Vegetarier und haben uns gefragt: Was zur Hölle ist das denn? Aber jetzt ist es richtig gut geworden.

Nick: Ah, Berlin, ich freu mich schon auf die Show.

Manche Leute reisen wegen der Kultur, ihr aufgrund des Essens.

Nick: Wir sind nicht erst seit gestern unterwegs. Die ganze Kultur haben wir schon gesehen, jetzt bleibt nur noch das Essen, haha.

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