laut.de-Kritik

Der Interpol-Fronter auf dem Dachboden eines Wolkenkratzers - allein.

Review von

Bevor es mit Lobeshymnen oder Wehklagen übers musikalische Werk losgeht, muss an dieser Stelle das DIY-Coverartwork hervorgehoben werden - Paul Banks selbst hat es fotografiert. Es zeigt den Rohbau eines Wolkenkratzers, mutmaßlich in einer aufstrebenden asiatischen Megacity, das gesamte Bild ist dabei menschenleer.

Roh und unfertig steht er inmitten eines grauen, smogverhangenen Himmels. Im Hintergrund stehen die schon fertiggestellten Geschwister. Die Darstellung urbaner Tristesse mit Blick auf eine ungewisse Zukunft im Zusammenhang mit den markigen Versalien "BANKS" im Zentrum zeugt von seltener metaphorischer Brillanz.

Und wieder thematisiert jener Banks den "Skyscraper", jedoch ohne das Versteckspiel mit dem Plenti-Alias. Mit den bauchigen Drums von "The Base" beginnt er bodenständig im Erdgeschoss. Die Vervielfältigung von Gitarre und Gesang auf mehreren Spuren gibt dem grundsätzlich weichen Song ein räumliches und atmosphärisches Mehr. Ein bekanntes Stilmittel, das auch gerne in der Produktion des Interpol-Outputs angewandt wird. Vielleicht ein Grund, weshalb die Wahl für eine Vorabauskopplung auf diesen Song fiel.

Ein ähnlich paukiges Drumsetting bringt "Over My Shoulder" zu Tage, ist in Refrain und Strophe jedoch gefälliger, besser 'mainstreamverträglicher'. Auch hier kommt wieder die Pluralisierung von Gesang und Gitarre zum Zuge, so als fehle ihm eine Band. Als habe er alleine die Hosen voll, wenn er den Singer/Songwriter mimen soll.

Wo er doch zu solch erlesener Poesie fähig ist: "You only hold me like a canyon holds the stream". Den Fans wirds gefallen. Es trägt aber die Bürde eines Stempels, mit schon seit längerer Zeit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum.

Besinnlicher geht "Arise, Awake" zu Werke. Durch das zwischendurch und am Ende eingefügte Stimmensample kann man sich Banks mit Aufnahmegerät bewaffnet auf der Jagd durch den Straßendschungel von New York vorstellen. Wie er auf dem Rücksitz eines Cabs den obligatorisch pakistanischen Taxifahrer zu ein paar knackigen Aussagen provoziert. Nerdy, aber schließlich doch belanglos, weil das eben nicht die Ballade mit Tiefgang ist, die man erwarten könnte.

Genauso uninspiriert klingt "Young Again". Die schrägen Zwischentöne verheißen zwar Neues, Banks Gesang hinkt jedoch merklich hinterher. Ihm scheint ohne den Echo-Effekt die Puste auszugehen: Das genaue Gegenteil der beschworenen Verjüngung.

Dafür mag man das zunächst langsam dahintröpfelnde "Lisbon" ohne den gewohnten Gesang gar nicht so ganz als stumme Hommage an die quirlige Metropole sehen. Zu verträumt und verspielt kommt das. Aber immer wieder auch eindringlich - es mag sogar ein wenig Fado-Schwermut anklingen. Und davon könnte diese Platte mehr vertragen.

"Paid For That" schmiegt sich wieder näher an bekannte Interpol-Produktionsschemata an. Banks konzentriert sich auf seine Stärken: Sologitarre und Gesang. Gemixt mit einem fordernden Refrain, der auf einen genauso originellen Twist hinausläuft, lässt er seine Kopfstimme markant in Erscheinung treten.

Inhaltlich würzt er den Song mit poetischen Zweideutigkeiten: "I'm drinking moonshine 'cause I had enough of starlight". Verse wie "Be great, know your strength. Be brave, show your teeth" ("No Mistakes") erscheinen daneben wie Instant-Lebensweisheiten zum Aufgießen mit Gitarrenbrühe.

"Another Chance" bedient sich erneut einer Collage aus Spoken Word-Samplingschnipseln auf einer Gitarren-Leinwand, die nach und nach mit Americana angereichert wird. Im Mittelteil klingt das nach teuflischer Spaghetti-Western-Klampfe, die nach hinten raus von einer Invasion aus frömmelnden Streichern ausgetrieben wird.

Es scheint, als habe Paul Banks mit "Summertime Is Coming" schließlich doch noch den Dachboden des Wolkenkratzers erreicht. Allerdings kauert er dort in einem dunklen stillen Kämmerlein und wartet auf den Musenkuss - einem gedankenverlorenen Eremiten gleich. Für ein echtes Schwanken oder gar Beben hat es diesmal leider nicht gereicht.

Trackliste

  1. 1. The Base
  2. 2. Over My Shoulder
  3. 3. Arise, Awake
  4. 4. Young Again
  5. 5. Lisbon
  6. 6. I'll Sue You
  7. 7. Paid For That
  8. 8. Another Chance
  9. 9. No Mistakes
  10. 10. Summertime Is Coming

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