laut.de-Kritik

Rock-Songs, Schunkel-Phasen und Texte wie aus Ärzte-Serien.

Review von

Über die volle Hörzeit schläfert Peter Maffays "Jetzt" an etlichen Stellen immer wieder mal ein, während die Rock-Passagen dazwischen einen aus Schunkel-Phasen und Sekundenschlaf herausreißen. Zu den Muntermachern zählen etwa "Luft & Liebe", "Das Ist Gut", "So Schließt Sich Der Kreis", "Morgen" und der ordentlich drangvolle Stadion-Rock-Titelsong "Jetzt!". Damit ist bereits die Besonderheit an dem sonst sehr durchschnittlichen Album genannt: Es ist das Tracklisting, das von Achterbahn-Modus auf Hängematten-Feeling und sofort ohne Vorwarnung wieder zurück schaltet.

Auf der Habenseite überraschen die beiden Songs, die sich keinem der beiden Lager zuordnen lassen. Da wäre das stille und doch rockige "So Schließt Sich Der Kreis" und die besinnliche Ballade "1.000 Wege". Ältere Maffay-Fans erinnern sich womöglich noch an "Wapi Yo", das Duett mit Lokua Kanza, 1998. Die sagenumwoben andächtige Stimmung des damaligen Titels zeigt genauso wie nun in "So Schließt Sich Der Kreis" einen achtsam auf jede Silbe konzentrierten Maffay.

In Akustik-Nummern wie "1.000 Wege" stechen Lyrics auf einmal sehr klar heraus. In solchen Momenten fällt peinlich auf, dass Maffay sich auf eine Gratwanderung zwischen Märchen-Tonlage und simplen Lebensmottos begibt, mit einer Spur Personenkult, obwohl er den genau ja nicht zu wollen scheint. Meistens klingen die Texte wie wichtigtuerische Dialoge aus Ärzteserien und er als weiser, gütiger Ratgeber: "... das weiß nur das Leben / alles was ich weiß / ich werd dich nie aufgeben.".

Das gesamte Album, mit Ausnahme vom Stück "Morgen", ist, verbal betrachtet, allzu trocken, voller Tautologien und Truismen. Die Zeilen sind abstrakt und allgemein durchformuliert und wecken nahezu keine Bilder im Kopf. Gibt es mal Metaphern, missglücken sie. Themen schleppt Maffay keine an, außer Zeit, Warten, Beeilung, Tempo, Zeiträume, Momente und das "Jetzt!".

"Morgen" dreht sich um Selbstzerstörung, gespeist aus den Weltnachrichten, und ist mit seiner sozialkritischen Note eine Ausnahme: "Wann kommt die Zeit wenn wir endlich kapieren dass wir eben nicht unsterblich sind / dass die Zeit uns durch die Hände rinnt / (...) Was das Feuer nicht schafft, machen wir selbst" heißt es im arg dramatischen Song. Maffay mahnt, den kommenden Generationen keine verbrannte Erde zu hinterlassen, und untermalt seine Forderung mit einem Kinderchor - wirkt rundum gelungen, überzeugend und echt, wie ein glühendes Anliegen. Hier knüpft er an seine frühesten Wurzeln als Pazifist und Protestsänger an. Vieles andere mutet dagegen aufgesetzt an.

Maffay schrieb an ein paar Songs mit, wenn auch meist nur an der Komposition. Mehrköpfige Songschreiber-Teams fügten fast alle neuen Texte zum umfassenden Maffay-Repertoire hinzu. Peter Maffay spricht öffentlich im "Wir"-Modus. Wir sind: die Band und er; das Publikum und er; die jüngeren Generationen und betagtere Leute wie er. Wir, wir. Dennoch überschätzt Maffay sich oder sein Wir-Kollektiv.

Den Song "Für Immer Jung" widmet Maffay seinem Publikum, das "auch kritisiert und gefordert hat" und verwurstet dabei Textmotive aus diversen älteren Songs wie "Sonne In Der Nacht" oder "Über Sieben Brücken", worauf er z.B. mit der Zeile "Wir bauten mehr als sieben Brücken" anspielt.

Er bezeichnet sich als jung im Kopf und geht immerhin erkennbar ohne vorgezeichnete Grenzen an die Platte heran. Leider arbeitet er die sehr unterschiedlichen Songs nur diszipliniert ab - so als liefere er eine Dienstleistung an fremde Autoren, deren Songs zu interpretieren. Dabei reicht das Spektrum von Saxophon-beschwingtem Classic Rock im Stile von Springsteens E-Street Band in "Das Ist Gut" bis hin zu berechenbarem Softpop-Schlager in "Alles Von Mir". Dieses Konzept geht für ein "Jubiläums"-Album, wie er es vorhatte, in Ordnung, denn es umreißt ja seine verschiedenen Seiten - klingt aber in der Umsetzung meist wie 08/15-Standard.

Es fehlen Humor, Lockerheit und Drive. Die gesamte Tracklist am Stück zu hören, mutet einem viel Toleranz zu, zieht sich sehr hin. Mit einem Ohrwurm belohnen Maffay und seine Wir-Band uns nicht, aufgrund schwacher Hook-Lines und Harmonien. Textlich nimmt man auch nichts mit, weil alles farblos, unverbindlich, ohne Pep und Witz dahin mäandert. Ein unvermeidbares Thema blinzelt ein paar Mal durch, die Liebe, und selbst hier zeigt sich die Gestaltung blass, wenig bildlich und eher textbausteinhaft, in "100.000 Stunden" und "Wenn Du Wieder Kommst".

Während Maffay selbst in der Platte etwas nie Dagewesenes sieht und behauptet, sie sei "ein Aufbruch", fällt eher auf, dass es sich ganz eindeutig um das Album eines älteren Herrn handelt. "Jetzt!" spiegelt die Musik der 70er und frühen 80er aus dem Einflusskreis von The Who (in "Das Ist Gut"), BAP und Foreigner wider. Im besten Moment, dem Intro zu "So Schließt Sich Der Kreis" wirkt Pink Floyds "Shine On You Crazy Diamond" plötzlich sehr nahe. "Wir sind mit dem Album neue Wege gegangen, weg von alten Spielmustern, ohne uns selbst dabei aufzugeben", sagt Maffay.

Warum er fast alles auf die große philosophische Ebene zieht? Kein Mensch verlangt von ihm, sich selbst aufzugeben. Auf Songs wie "Das Ist Gut", "Morgen" und "So Schließt Sich Der Kreis" trifft zu, dass sie kompromisslos ihre Wege gehen und dabei mit Bläsern, generellem Lärm und Lead Guitar eine jeweils klar gewählte Musikfarbe zeichnen. Was die kritischen und fordernden Fans verlangen und von Maffay fordern könnten, wäre: die Metaphern seiner Songtexter umzuformulieren, falls er dafür mal Zeit hat. "Ich hab keine Zeit, denn ich hab keine Geduld / bin gespannt wie ein Katapult."

Trackliste

  1. 1. 1000 Wege - Ouvertüre
  2. 2. Jetzt!
  3. 3. Morgen
  4. 4. Luft & Liebe
  5. 5. 100.000 Stunden
  6. 6. Alles Von Mir
  7. 7. Das Ist Gut
  8. 8. Größer Als Wir
  9. 9. Für Immer Jung
  10. 10. Wenn Du Wieder Kommst
  11. 11. Nur Einmal Hier
  12. 12. Kopf Hoch
  13. 13. So Schließt Sich Der Kreis
  14. 14. 1.000 Wege

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Kennzeichen: 1.68 cm klein, pfenniggroßes Muttermal links oberhalb der Lippe, markante raue Stimme, Tätowierungen auf den muskulösen Oberarmen, Rocker …

1 Kommentar

  • Vor 5 Jahren

    So ganz, kann er wohl nicht aus seiner Schlagerhaut raus, in die er sich Anno Zupp begeben hatte. Nächster Albumtitel Vorschlag: Schluss!

    Selbsterkenntnis, alles hat ein Ende! Mit Würde den Absprung schaffen, Gitarre in den Koffer packen und Sonne geniesen.