laut.de-Kritik
Sony räumt den Katalog auf – historisch!
Review von Alex KlugMehr als einmal habe ich mich über den alles andere als repräsentativen Live-Output Pink Floyds beschwert – zumindest über den Mangel an offiziellen, oberhalb der Ladentheke verkauften Releases.
"Live At Pompeii" gab es zwar über die Jahrzehnte in den buntesten und körnigsten VHS- und DVD-Varianten zu erstehen, als reines Audioprodukt in voller Länge allerdings nicht – jedenfalls nicht offiziell lizensiert. Auf Discogs hingegen tummeln sich nicht weniger als 116 inoffizielle Pompeii-Releases aus sechs Dekaden – die Gütesiegel reichen von White-Label-Pressungen (Sound = irre gut) bis hin zu Roger-schlägt-den-Gong-als-Popup-Sleeve-Versionen (Sound = irre schlecht).
Höchste Eisenbahn also, dass da mal jemand aufräumt. Nachdem Verkauf des Floyd-Katalogs (400 Millionen US-Dollar, ohne Songwriting-Rechte) also ein guter Startpunkt zur Erbverwaltung durchs externe Entrümpelungsunternehmen Sony Music. Ausschlachtung durch Dritte statt ewiger Verschluss durch Altmänneregos – das muss für Fans also gar nicht mal schlecht sein. Das "wiedergefundene" originale 35‑mm-Filmnegativ von 1972 tut sein Übriges und weckt Hoffnung auf weitere ominöse Zufallsfunde.
Das cineastische Werk an sich hatte dabei seit jeher mit seiner Frankenstein-Rolle zu kämpfen: Nur drei Songs nahm das Team in Pompeji selbst auf. Den Rest drehte man vor einer Art Greenscreen in einem Pariser Studio, bevor Regisseur Adrian Maben mangels Geld und Zeit das Ganze mit ein paar Szenen aus der Abbey-Road-Kantine im trauten Heim zusammenflickte.
Auch die initiale Motivation der zu Beginn nur widerwillig zustimmenden Band (schließlich würden dafür eine Handvoll regulärer Konzerte wegfallen) dürfte ihren Teil zum Chaos beigetragen haben – dem Kultfaktor des arthousigen Gesamtwerks kommt das aber in der Retrospektive nur zugute.
Deutlicher größeres Augenmerk legen Bootleg-Aficionados natürlich auf den brandneuen Audio-Mix. Erhalten sind nämlich nur vier Tonspuren für vier Instrumente plus Gesang, gerne auch mit schwankendem Pegel und Übersteuerungen. So einen Zutatenmangel kann nur einer ausbaden: Ober-Fan Steven Wilson, der nach Überarbeitungen für Yes, King Crimson, Jethro Tull und XTC mit diesem Auftrag wohl endgültig im persönlichen Nerd-Himmel angekommen sein dürfte.
Mit 96kHz/24bit, 5.1 und Dolby Atmos erhält natürlich auch "MCMLXXII" das volle Wilson-Format-Treatment, mit dem er vor allem den Ansatz eines natürlichen Open-Air-Sounds verfolgt: "Wenn man dabei gewesen wäre, es wäre ein sehr trockener, vordergründiger Sound gewesen, ohne viel Hall. Wie in der Wüste."
Der Unterschied zu den vielen legendären Siebziger-Bootlegs ist dabei schon fast radikal: Statt monströser Feedback-Wall-of-Sound, bei der gelegentlich nur schwer vorstellbar war, dass hier wirklich nur acht Hände beteiligt sein sollten, hört man hier jeden Protagonisten deutlich bis trocken heraus.
Gemeinsam entschieden sich die 2025 im Prozess Beteiligten auch, die bisweilen als Sakrileg empfundene Aufteilung des monumentalen "Echoes" in zwei Teile beizubehalten. Als bester Floyd-Song überhaupt fungiert der Longtrack hier als Ouvertüre und Finale gleichermaßen – und legt im angesprochenen Soundgewand den Fokus am deutlichsten auf Gitarrist David Gilmour und Keyboarder Richard Wright als zentrale Akteure des staubigen Geschehens.
Wie keine andere Paarung in der Band suhlen sich die beiden in unerreichter Symbiose zwischen Mikrofon und Instrumenten, die sich nicht nur in Wrights zärtlichen Harmonien zeigt, sondern Gilmour auch zu ein paar Zusatzrunden im Solo animiert. Die gab es in dieser Intensität dann 38 Jahre später noch einmal im 2008er-"Live in Gdansk"-Solorelease zu hören – den Kampf in der Frage um die beste "Echoes"-Version lasse ich an dieser Stelle andere austragen, sphärischer als die eher brave "Meddle"-Studioversion sind aber zweifelsohne beide.
Den Rest der Playlist bildet eine mehr ("Saucerful", "Axe") oder weniger ("Mademoiselle Nobs") typische Auswahl der frühen 70er-Tourneen, die aber zu "Pompeii"-Zeiten mit "Cymbaline", "Atom Heart Mother" und "Embryo" aber auch noch ganz andere Schwergewichte hinter sich herzogen.
"MCMLXXII" ist aber in erster Linie ein spät gewürdigter, aber dafür mehr als willkommener Beweis dafür, dass Pink Floyd vor "The Dark Side Of The Moon" noch mehr Monolithen auf dem Buckel hatten als nur "One Of These Days" und "Echoes". Zum Beispiel eine der stärksten "Set The Controls"-Versionen mit toller Tribal-Arbeit von Drummer Mason und gespenstischen Farfisa-Sphären von Wright. Wer noch tiefer in den floydschen Überlängen-Kosmos eintauchen will, der hört die ungekürzte "Saucerful"-Version auf CD 2.
David Gilmour erachtete es dabei selbst 2016 noch als "eher peinlich", sich selbst mit freiem Oberkörper und wehendem Haar in den Ruinen des Amphitheaters von Pompeji zu sehen. Fanfreund Mason aber begrüßt die durch und durch würdige Veröffentlichung und äußerte jüngst den Wunsch, Sony möge einen besseren Job als Erbverwalter machen, als er, Gilmour und Waters es zuletzt waren.
Nun denn: Der "The Wall"-Film mit Bob Geldof? Die unter Verschluss gehaltenen 1980/81-Videoaufnahmen? Das legendäre 1977er-Bootleg? Sony, bitte kommen!
3 Kommentare
Es sind vier Songs die in Pompeji aufgenommen worden sind: Echoes; One of These Days; Careful with that Axe und Saucerful of Secrets.
Spätestens mit dieser Arbeit hat sich der Obernerd Steven Wilson ein Denkmal gesetzt. Auf die Knie fall!
Steven Wilson hat wirklich erstaunliche Arbeit geleistet hier...! Mit dem Gig werde ich trotzdem nicht warm. Finde das Material nach wie vor schnarchlangweilig, die Musiker nicht bei der Sache, den Gig insgesamt prätentiös wie Sau. "Schaut mal her, wir haben einen Gong auf der Bühne!" Ach, verpisst euch doch.
Aber okay, als einer, der allgemein nur sehr wenige Tracks der Band mag, braucht das auch gar nicht mein Bier sein. Freut mich für Fans der Band, das in dieser Form hören und sehen zu können.