laut.de-Kritik
Angekommen in der Ratlosigkeit.
Review von Simon LangemannPrinz Pis neue Platte bringt eine von vielen Erkenntnissen mit sich. Aber da der geschätzte Kollege Brandl es ja liebt, Recht zu behalten, soll sie zu Beginn im Vordergrund stehen: "Rebell Ohne Grund" aus dem Jahr 2011 funktioniert, aus jetziger Sicht betrachtet, in der Tat als eine Art Zwischenbilanz. Das angesprochene "Ergebnis einer abgeschlossenen Entwicklung zu einem neuen Künstler" liegt nun mit "Kompass Ohne Norden" vor.
Fest steht, dass ein erheblicher Anteil der langjährigen Fans und Fanatiker sich spätestens nach diesem Release mit einer Mischung aus Verachtung und Enttäuschung abwenden wird. Bei Spiegel Online hingegen feiern sie das neue Machwerk als Prinz Pis "bisher bestes Album". Wirklich widersprechen lässt sich keiner der beiden Fraktionen.
Weg von Biztrams melodischen Hip Hop-Beats, hin zum noch organischeren Fundament mit erheblich mehr Live-Charakter: Auf diesen musikalischen Wandel bereitete Pi seine Fans in Making of-Interviews und vor allem mit der Akustikplatte "Hallo Musik" ausgiebig vor. Von einer Überraschung kann insofern keine Rede sein. Doch denkt man an das gut zwei Jahre zurückliegende "Rebell Ohne Grund", stellt das neue Klangbild doch einen beachtlichen Bruch dar.
Gemeinsam mit Matthias Millhoff, Mastering Engineer und Pianist in seiner neuen Liveband, schraubte Pi langwieriger denn je am musikalischen Unterbau seiner Zeilen. Immer mit dem Ziel vor Augen, seine Kindheit (Beatles, Kinks) mit seiner Jugend (Snoop Dogg, Dr. Dre, Wu-Tang) zu vermählen und dennoch eine moderne Soundästhetik zu schaffen.
Glücklicherweise hat sich die akribische Tüftelei der beiden Studiotechnik-Nerds gelohnt. All die Stunden und all die Liebe, die man hier allein in den Drumsound gesteckt haben muss, dürften selbst Fans mit komplett unerfahrenem Gehör irgendwo in den Tiefen ihres Unterbewusstseins spüren.
Bei allem Respekt vor Biztram und seinen Beat-Meisterstücken auf "Donnerwetter!", "Teenage Mutant Horror Show 2" oder "Rebell Ohne Grund": Keine der Platten klang derart kontinuierlich genießbar und originell. Für Soundfetischisten bedeutet "Kompass Ohne Norden" einen bejubelnswerten Durchbruch.
"Sonnenlicht scheuert an Holzstühlen / drei Wochen noch bis zu den Zeugnissen (…) In den Sommerferien geht es endlich los / Zeit und Freiheit grenzenlos." Wenn Prinz Pi - nach 15 Jahren Szene-Zugehörigkeit - in "Fähnchen Im Wind" vom ersten Sprung vom Dreier, von der ersten Schlägerei und vom ersten Zug auf Lunge rappt, mag das zunächst seltsam anmuten. Heraus kommt jedoch eine durchweg stimmige Eröffnung, die gleich hinreichend andeutet, dass der Pressetext nicht umsonst von einer "Coming of Age-Platte" spricht. Pi selbst bezeichnete "Kompass Ohne Norden" bei Mixery Raw Deluxe als "Abschluss meines ersten Lebensdrittels. Da wird die Jugend nochmal durchgenudelt."
So auch in "100X", das mit modern gekleidetem Boombap-Beat und dem einzigen Feature der Platte aufwartet: Casper steuert in zwölf Takten einen Hauch von "Hin Zur Sonne" bei und erweist sich als perfekt ausgewählter Gast. "Wieder Schlendern an den Läden vorbei / Verschwende deine Jugend / alles dreht sich im Kreis."
Ähnliche Töne schlägt der von Orgelsounds getragene Titeltrack an - nach "2030" nicht die erste "Like A Rolling Stone"-Reminiszenz. "Bob Dylan gab mir einst einen Kompass Ohne Norden / so treibe ich verloren in ein unbekanntes Morgen." Wieder liegt diese spezielle Ratlosigkeit in der Luft, der sich zuletzt auch Jan Ole Gerster in seinem großartigem Kinodebüt "Oh Boy!" annahm und die zweifelsohne den roten Faden der Platte bildet.
Für einen der Albumhöhepunkte zeichnet Prinz Pi die "Säulen Der Gesellschaft" über bedächtiger Rhodes-Melodie auf - vom Porsche-Manager über den Attac-Aktivisten bis zum Nazi in Oberfranken: "Alle wissen, was sie sind / alle wissen, wo sie stehen / Ich guck' in das Goldfischglas / und kann all die Fische sehen."
Livekracher wie "Instinkt", "Der Rand", "Generation Porno" oder auch "Der Neue iGod" hat er hingegen erstmals von der Tracklist gestrichen. Man muss bei weitem kein Porno-Jünger der alten "Donnerwetter!"-Tage sein, um derart intensive, energetische Momente hier schmerzlich zu vermissen. Musikalisch wären diese inmitten all der molligen Klavierklänge zwar durchaus als gewisse Ausreißer durchgegangen. Die ein oder andere Hedonismus-Abhandlung à la "3 Minuten" (2009) hätte sich thematisch aber durchaus angeboten.
Obwohl der "Kompass Ohne Norden" als Metapher für die Orientierungslosigkeit steht, überwiegt aus künstlerischer Sicht der entgegengesetzte Eindruck: Friedrich Kautz ist angekommen. Nach rekordverdächtigen 27 Monaten ohne Studioalbum erscheint das neue Werk in höchstem Maße rund und geschlossen.
Jahrelang stand der Name Prinz Pi hingegen eher für ein über die Maßen produktives, verkopftes, aber ebenso rastloses und wandlungsfähiges Genie. Zuweilen ergriff einen das Gefühl, dieser Mann könne sich selbst innerhalb einer Studiophase kaum für eine Linie entscheiden. Schlichen sich doch gar auf seinen besten Releases immer wieder unerklärliche Ausrutscher ein.
Doch vielleicht machte eben genau diese gewisse Inkonsequenz, dieses ausufernde Hin- und Her zwischen und Depression und sympathischem Proletentum Friedrich Kautz' Oeuvre jahrelang so unwiderstehlich faszinierend? Bedauerlicherweise lässt einen der Eindruck beim Hörgenuss dieses scheinbar perfekt durchgeplanten Gesamtwerks "Kompass Ohne Norden" nicht los.
30 Kommentare
die kritik klingt irgendwie nach mehr als drei sterne...
Ich finde die Kritik im grossen und Ganzen auf jedenfall zutreffend und die Kritikpunkte verstaendlich. Auch ich haette mir ein paar Ausreisser und mehr Abwechslung gewuenscht. Zudem finde ich, dass das Album beim Durchhoeren an einem Stueck, an manchen Stellen eintoenig wird. Jedoch finde ich die Vergabe von 3 Sternen unplausibel. Ich gehe davon aus, dass wenn das Album an ein bis zwei Anspielstationen noch mehr vom Charakter ?Donnerwetter? oder ?Rebell ohne Grund? bekommen haette, waere es warscheinlich mit 5/5 Sternen bewertet worden. Hier haette man den homogenen, hochqualitativen Sound gelobt ohne den fehlenden "Prinz Pi - Charakter" zu bemaengeln.
Ist dieser also 2 Sterne wert?
Was bei Prinz Pi Kritiken immer wieder passiert sind zwei Dinge: Zum einen der Vergleich mit Donnerwetter (welches sich im Grunde, ohne Zeitreise ins Jahr 2006, nicht nochmal toppen laesst) zum anderen der Hinweis (aehnlich wie bei "The Roots"), dass Prinz Pi seit jeher an seiner eigenen Messlatte basteln wuerde und man von so einem Genie mehr erwarten koenne.
So einen staendigen Vergleich mit der Vergangenheit kann ein Kuenstler, welcher sich im Wandel befindet nur schwer gewinnen. Meistens verliert er ihn scheinbar wie in diesem Beispiel. Besonders wenn man sich die Kritikpunkte an Rebell ohne Grund anguckt und diese mit denen von Kompass ohne Norden vergleicht, ist nicht sonderlich viel stringenz zu erkennen. Man nimmt sich immer die Messlatte die einem grade so passt, um darzulegen was ein Prinz Pi auf einem Album so alles zu Leisten zu habe.
Den Unterton der Kritik kann ich wie gesagt sehr gut verstehen und subjektiv wuerde Kompass ohne Norden von mir warscheinlich "erstmal" auch nur 3 Sterne bekommen. Wenn man sich jedoch die Muehe gibt das Gesamtprodunkt aus dem ganzen aufgebauten Kontext heraus zu nehmen und es versucht mehr Objektiv zu bewerten, haelt man ein sehr gutes Stueck Musik in den Haenden, welches grade im Vergleich zu anderen 4 Sterne Alben auf dieser Seite, meiner Auffassung nach deutlich herausticht. 4 Sterne wuerden dem Album mehr gerecht werden da, es allen Enttaeuschungen (Bei fairerweise Immenshohen Erwartungen) zum trotzt, ein in sich sehr stimmiges detailverliebtes Gesamtbild darstellt welches nur selten in so einer Form erscheint. Kompass ohne Norden ist in diesem Aspekt gradezu eine Raritaet. Meine Meinung.
(Ich entschuldige mich schonmal im Vorraus fuer meine manchmal wohl unkorrekten Satzstrukturen und Rechtschreibfehler, doch ich lebe momentan im Ausland und habe laenger kein Deutsch mehr geschrieben.)
grossartige review.
seh das ähnlich, würde aber 4 geben.
krasser Einstieg, hätt ich mir vor n paar jahren nie zu Träumen gewagt. Aber war, aufgrund der amazon-charts voraussehbar.
hab's mir noch n paar mal durchgehört und finde es noch immer fresh, hätte auf jeden Fall 4/5 verdient, dafür find ich die 3 für RoG aus heutiger sicht gerechtfertigt.
prinz pi ist wack