laut.de-Kritik

Der Franz Kafka des Raps gibt sich unprätentiös.

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Anders als die beiden Landstreicher aus Samuel Becketts Theaterstück "Warten auf Godot" wird Pyrins kleine, aber treue Hörerschaft erlöst. Nach sechs Jahren Pause erscheint sein viertes Studioalbum "Godot". Der Titel unterstreicht den literarischen Anspruch der Musik. Bereits mit Platten wie "Hero.", "Der Rote Teppich Im Nichts" und "Psychonautik" begeisterte und überforderte pyrin zugleich. "Godot" erweist sich trotzdem als sein bisher zugänglichstes Album.

Die Fremdwortdichte hat Pyrin deutlich zurückgeschraubt. Dennoch bedient er sich an einem Wortschatz, über den der Rest seiner Zunft nur staunt. "Godot" ist nicht das Bilderbuch, sondern der 1000-seitige Schinken unter den Rap-Alben. Nebenher gehört, entfaltet sich die Platte nicht. Wer seine Gedanken um die Inhalte kreisen lässt, interpretiert und Vermutungen anstellt, hat den meisten Spaß.

"Müsste ich meine Gefühle malen, sähen sie aus wie Odradek", heißt es in "Der Undankbare". Der Vergleich mit Franz Kafkas rätselhafter Figur nimmt den Hörerinnen und Hörern den Druck. Nicht alles, was Pyrin rappt, muss sofort verstanden werden. Häufig erwecken die verschachtelten Sätze den Eindruck, als wolle Pyrin gar nicht sagen, was er genau meint. Er bleibt zwar stets der Mittelpunkt seiner Erzählungen, dabei aber so vage, dass sich alle darin wiederfinden können.

Wie gut Pyrin mit Worten umgehen kann, beweist er in "Herz". Der mögliche Tod des eigenen Vaters stellt seine Welt auf den Kopf: "Bitte geh noch nicht, ich weiß nicht, wie ich tschüss sagen soll." Ohne Kitsch erzeugt der Rapper Gänsehaut. Dabei spricht er ein Thema an, mit dem sich viele junge Männer erst beschäftigen, wenn es zu spät ist: die häufig distanzierte Beziehung zwischen Sohn und Erzeuger.

Noch immer zehrt Pyrin von seinen Tagen als Battle-Rapper. Viele Zeilen wirken trotz doppelter Deutungsebene auf Punchlines fixiert: "Ich glaube, ein Hund würde mir gut tun, doch ich glaube, am Ende würde ich nur vergessen, ihn zu gießen." Auch aus dem Kontext gerissen, erzeugen die Lines einen Schmunzler oder ein respektvolles Nicken. Am Stück hat Pyrin die Texte vermutlich nicht geschrieben, stattdessen hat er wohl eher ästhetische Wortkonstrukte wie nach Baukasten zusammengesteckt.

Die Texte entstanden tatsächlich vor den Instrumentalen. Die langjährigen Weggefährten Bromm, Heitech und L.U.I. haben die Raps mit den stets passend düsteren Unterlagen versehen. Die Bandbreite reicht von ansatzweise klassischen Hip-Hop-Beats mit Scrachtes ("(Nicht) Verrückt") bis zu sphärischen Loops ohne Drums ("Reflux"). Die Musik setzt jedoch selten auf feste Strukturen. In "Achteinhalb" wechselt die Snare in der zweiten Strophe. Im fast siebenminütigen "Niemand" entlädt sich das Instrumental in einem elektronischen Klanggewitter.

Die Produzenten ziehen mit der Detailliebe des Texters gleich. Soundeffekte wie Filmprojektoren und das Piepen eines EKGs unterstreichen die theatralischen Dimensionen der Raps. Wenn im Titeltrack dann auch noch die Drums knarzen wie die Dielen einer alten Villa, ist die Immersion perfekt. Mit einem präzisen Flow, durchdachten Beats und hintergründigen Texten schrammt "Godot" nur knapp an der Reizüberflutung vorbei. Dass all das trotzdem unprätentiös und nach guter Musik klingt, zeugt von einer Vision und der Fähigkeit, diese umzusetzen.

Trackliste

  1. 1. Ein Traum (kein Traum)
  2. 2. Der Undankbare
  3. 3. Achteinhalb
  4. 4. Cabaret Voltaire
  5. 5. Absentia
  6. 6. Jim Carrey
  7. 7. Reflux
  8. 8. Godot
  9. 9. Herz
  10. 10. Untot
  11. 11. Niemand
  12. 12. (Nicht) verrückt

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