laut.de-Kritik
Über den Miniaturen hängt ein Schleier der Trauer und des Todes.
Review von Toni HennigRyuichi Sakamoto feierte mit der New-Wave-Band Yellow Magic Orchestra Ende der 70er internationale Erfolge. In den letzten fünf Jahrzehnten schrieb er eine Vielzahl an klassischen Solowerken und Soundtracks.
"Nagasaki: Memories Of My Son" klingt im Rückblick auf das Schaffen des 64-jährigen dabei äußerst schwermütig. In dem Fantasydrama von Filmemacher Yoji Yamada, über sechs Jahrzehnte einer der aktivsten und wichtigsten Regisseure des japanischen Films, sieht man Sayuri Yoshinaga als Mutter. Ihr Sohn stirbt nach dem Atombombenabwurf auf die Stadt Nagasaki am 9. August 1945. Dieser nimmt als Phantom drei Jahre später Kontakt zu ihr auf. Dadurch erleidet sie eine tödliche Krankheit und folgt ihm in den Himmel. Der Film soll an die goldene Ära des japanischen Filmes in den 50ern anknüpfen, die Yamada grundlegend mitprägte.
Auf dem Score hört man daher einige traditionelle Elemente. "Raindrops" mit Flöte, akustisch gezupfter Gitarre und den behutsamen Klaviertupfern Sakamotos orientiert sich an dem klassischen japanischen Kompositionsschema und strahlt deshalb Ruhe und Bedächtigkeit aus. In "Nobuko" arbeitet er mit landestypischen Chorgesängen, obwohl die Musik kaum Stimmen benötigt, um Gefühle zu erzeugen.
Auch wegen seinem Engagement gegen Atomkraft nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima war es dem Japaner ein besonderes Anliegen, den Soundtrack zu dem Film komponieren zu dürfen. Tiefe, trostlose Molltöne prägen den Großteil des Scores. Auf seinen früheren Arbeiten ließ Sakamoto immer noch viele hoffnungsvolle Momente in seinen Kompositionen aufblitzen.
Bis auf ein paar kurze rhythmische und tänzerische Ausflüge ("Sweet Memories") zieht seine Musik in ein melodramatisches, dunkles Tal. Die wenigen hellen Melodien wie in "Koji's Room" und "Machiko's Aria" zum Schluss wirken gerade deshalb um so berührender. Sakamoto setzt in vielen kurzen Sequenzen die Schlüsselszenen des Filmes äußerst veranschaulichend und eindrucksvoll um. Über den häufig nur dreißigsekündigen bis zweiminütigen Miniaturen hängt ein nebelverhangener Schleier der Trauer und des Todes.
Minimalistische Akkordfolgen am Piano ("At The Graveyard", "Funeral"), dunkle Streichercrescendos ("Ghost", "Dr. Kawakami") und am Nervenkostüm zehrende Drones ("B29", "August 9th 11:02am"), die man in ihrer Eindringlichkeit kaum erträgt, prägen das entrückte und zähe Klangbild. Die zerstörerische Realität und die verstörende Geisterwelt der Leinwandbilder verschmilzt der Japaner musikalisch zu einem atmosphärisch dichten Klangbild.
Durch die Titelmelodie zu Beginn und zum Schluss des Scores schließt sich der Kreis. Ein getragenes, auf- und abschwellendes Streicherfundament vermittelt am Anfang eine Wehmütigkeit und Sehnsucht, die kaum unberührt lässt. Zum Ende hin versprüht das Hauptmotiv dagegen eine pastorale Strenge, die sich im Verlauf des Soundtracks als angemessen und wohldurchdacht herausstellt.
Sakamoto schrieb die Filmmusik zu "Nagasaki: Memories Of My Son" letztes Jahr, nachdem er sich von seiner Krebserkrankung erholte. Um so erstaunlicher, dass der Score durch seinem geschlossenen Gesamteindruck an die Höhepunkte in Sakamotos Schaffen nahtlos anschließt.
3 Kommentare mit 5 Antworten
Sakamoto ist ein fantastischer Musiker, ich werde hier sehr gespannt reinhören.
"Ihr Sohn stirbt nach dem Atombombenabwurf auf die Stadt Nagasaki am 9. August 1945. Dieser nimmt als Phantom drei Jahre später Kontakt zu ihr auf. Dadurch erleidet sie eine tödliche Krankheit und folgt ihm in den Himmel."
Eieiei, was ein Schwachsinn.
Kann man so sagen, wenn man keine Ahnung von japanischer Literatur und Film hat.
Da habe ich mich grob an der Kurzbeschreibung orientiert. Habe aber gemerkt, dass ich in Sachen asiatisches Kino im Allgemeinen noch Einiges nachzuholen habe. "A Touch Of Sin" aus China fand ich letztens recht großartig.
"Kann man so sagen, wenn man keine Ahnung von japanischer Literatur und Film hat."
Schon möglich. Kenne nicht allzu viele japanische Filme. Abgesehen von Siono Sono, Takashi Miike u.ä.
Mich hat die Story eher neugierig gemacht. Muss doch nicht immer ein dokumentarischer Kriegsfilm sein.
Eine fiktional-phantastische Metaebene ist ja auch nichts ungewöhnliches, der Film wird ja schließlich auch nicht als Doku verkauft. Ich find es auch ganz interessant.
Hab ich schon. Richtig schön!