laut.de-Kritik
Das halbe Dutzend Klassiker ist voll.
Review von Ingo ScheelEs reicht ein Blick aufs Cover, um sich zu vergewissern, dass bei Spidergawd - allen Umwälzungen, Seuchen und sonstigem Stolpergeröll zum Trotz - alles irgendwie beim Alten geblieben ist. Wie auf den Alben zuvor zogen Émile Morel und Håvard Gjelseth ein Motiv zwischen Fantasy-Futurismus, Heavy Metal-Comic und Eso-SciFi aus dem Computer. Im Hause Spidergawd steht man auf jene Kontinuität, die zuweilen leicht an der Gleichförmigkeit entlangschabt. Was das anbelangt, könnten hier ebenso gut zentrale Passagen der letzten Alben-Reviews recycelt werden, und man würde ein weiteres Mal Nagel und Kopf miteinander in Einklang bringen.
Auch beim Titel bleibt man im Muster, "VI" lautet der Titel. Wozu Worte, wenn es Zahlen gibt. Dezente Brüche gab es rund um Mastermind Per Borten dennoch. So verabschiedete sich etwa Saxophonist Martin Snustad nach der letzten Tour. Er hat Familie, andere Hobbys und überhaupt, der Rock'n'Roll-Zirkus fordert seinen Tribut. Abseits vom Konzerttrubel hat sich der Mann mit der Kanne jedoch eines Besseren besonnen und kehrte in den Kreis der Band zurück.
Dorthin also, wo seit Neuestem mit Gitarrist Brynjar Takle Ohr, dessen Bruder Havard bei Kvelertak trommelt, ein weiteres festes Mitglied zu verzeichnen ist. Bislang lediglich live an Bord, lässt Takle Ohr die Band zum Quintett anwachsen. Und dann bleibt da noch der Umstand, dass Spidergawd erstmals ihre zeitlich so unumstößliche Timeline verlassen haben: Bislang veröffentlichte man fein säuberlich Jahr für Jahr. Corona und die Folgen hoben diese Logik nun aus den Angeln, zum ersten Mal gab es eine längere Pause zwischen zwei Platten.
Das war es dann auch schon mit den Unwägbarkeiten: In dem Moment, da sich die Nadel ins Vinyl senkt, ist alle graue Theorie vom Tisch, der ganze Betriebslärm verflogen. Dazu der überaus passende PR-Kniff, dass die Band im Vorfeld Musiker, Weggefährten und Journalisten die Song-Reihenfolge der Platte tippen ließ. Die höchst unterschiedlichen Ergebnisse sagen vor allem eines aus: Das Material ist so konsistent gut, so dicht geschichtet, dass alles an jeder Stellen passen würde, ob als Curtain Raiser, mittig gesetzte Vehemenz oder rabiater Raussschmeißer.
Wollte, sollte, müsste man Songs picken, ist es dementsprechend völlig gleichgültig, wo man ansetzt: Alles trifft ins Schwarze. Das mächtig schiebende "Morning Star" etwa, so klassisch Britrock-Style, dass Maidens Eddie vor Neid der Qualm aus den verwitterten Ohren schmauchen müsste.
Die Single "At Rainbows End", bereits Anfang des Jahres erschienen, bietet einen prototypischen Aufbau, schichtet Twin-Gitarren auf Midtempo-Fundament. Hallvard Gaardløs' Bass umspielt alles höchst variabel, und wie die Band nach dem zweiten Chorus in dieses epische Solo fällt, anschließend Breakdown-Suspense zum kurzen Luftholen anbietet, um danach ins zweite Solo abzuheben, das ist, man muss es mittlerweile so sagen, classical Spidergawd. "Disidentity", zunächst noch auf der Album-Tracklist, beim Release dann aber von der Tischkante gefallen und als Single-Track ausgekoppelt, haut in die gleiche Kerbe und hat dabei noch diesen extra lässig durchhängenden Groove von Drum-Monster Kenneth Kapstadt.
Damit erübrigen sich auch die Querverweise. Klar schimmern bereits erwähnte Iron Maiden, Judas Priest und Thin Lizzy durch, doch die Norweger verbauen alles zu ihrem eigenen Stil. Die Vocals kommen so vielspurig, verhallt und gut geschichtet, dass es eine wahre Freude ist. Melodiebögen wie skandinavisches Suchtmaterial, ohne dabei auch nur einmal in abgenudelte Metalklischees zu verfallen. Spidergawd sind zurück, und ihr sechstes Album gerät durchweg zum großen Wurf.
4 Kommentare
Hauen einfach kurz vor Jahresende ein völlig geiles Album raus.
Boah. Die Scheibe habe ich nicht kommen sehen. Schockverliebt!
Ich auch nicht! Ich kannte die gar nicht. Genau das, was ich seit Längerem mal wieder suchte. Als Anspieltipp sei "Yours truly" empfohlen (was eine mit Mitpfeif- und Mitgrölnummer. Beim Anschlusstrack Narcissus' Eye weiß ich nicht, ob ich gerade Maiden (Powerslave) oder Sabbath (Anfangsriff) oder später im Song eigentlich Ritchie Blackmore höre. Geil gemacht.
Habe das auch mit der sechsten Scheibe ungebrochene wie -verholene Fanboytum des Autors mal zum Anlass genommen, die Band nachzuholen. Stehe bisher bei 4 und 5 und weil der Stoner-Anteil, der mir besonders auf der 4 den Zugang geebnet hat, ja dem Vernehmen nach auf den ersten Scheiben noch größer war, werde ich wohl erstmal die nachholen, aber die hier kommt garantiert auch noch dran. Finde das nämlich bisher (trotz oder vll. auch wegen einer gewissen Stadion-Rock-mäßigen Theatralik in Text und Gesang) wirklich außerordentlich gut. Merci deshalb schonmal @Ingo Scheel!